Griechischer Staatssender: Der Traum von einer eigenen BBC

Seit einem Jahr ist ERT dicht. Einige Mitarbeiter machen ehrenamtlich weiter, denn der offizielle Nachfolgesender versinkt im Chaos.

Online gibt es die ERT noch. Bild: dpa

ATHEN taz | Hochkonzentriert blickt Kostas Mylonas auf den Bildschirm seines Laptops. Die stetig steigende Anspannung ist in seinem Gesicht abzulesen. In wenigen Minuten beginnen die Hauptnachrichten. Mylonas, 42, kräftige Figur, Bart, ist Vollprofi, vielfach prämiert, ein leidenschaftlicher Perfektionist. Alles muss stimmen. Wie jeden Abend um diese Zeit. Seit gut 20 Jahren ist er beim Fernsehen. Angefangen hat er mit 23 beim griechischen Staatssender ERT. Dort war er bis vor einem Jahr. Heute arbeitet er bei seinem eigenen Sender. Ein Piratensender: ERT 3.

Am 11. Juni des vergangenen Jahres entschied die Athener Regierung unter dem konservativen Premierminister Antonis Samaras, den Staatssender ERT zu schließen. Sie begründete den Schritt mit der „Intransparenz“ und „unglaublichen Verschwendung“, die beim Staatsrundfunk herrsche. Die Regierung wolle mit der „sündhaften ERT“ sofort Schluss machen. Ihr Ziel sei es, stattdessen „die BBC auf Griechisch“ ins Leben zu rufen.

Was sie jedoch verschwieg: ERT war von der Pleite weit entfernt. Der 1938 gegründete Rundfunksender, der sich zuletzt hauptsächlich mit einer jährlichen Gebühr von 40 Euro pro Haushalt finanziert hatte, war zu jenem Zeitpunkt nicht nur schuldenfrei. ERT hatte mit Gesamteinnahmen von rund 300 Millionen Euro im Jahr seit 2011 einen Vorsteuergewinn von mehr als 100 Millionen Euro erwirtschaftet.

Es nutzte nichts: Mit der plötzlichen ERT-Abschaffung verschwanden drei landesweit ausgestrahlte Fernsehprogramme, ein Satellitenprogramm, mehr als zwei Dutzend Radiostationen, ein Webauftritt, eine Fernsehzeitschrift, Orchester und Chöre. Insgesamt 2.656 unbefristet angestellte ERT-Mitarbeiter wurden entlassen – auf einen Schlag. Darunter war auch Kostas Mylonas.

Kostas Mylonas will nicht aufgeben. Bild: Ferry Batzoglou

Doch Mylonas kämpft weiter. Mit mehreren Hundert ehemaligen Mitarbeitern bespielt er seit Monaten das TV-Programm von ERT 3, dem alten Staatssender, einfach weiter – ehrenamtlich. Ihr Programm produzieren sie im alten ERT-3-Gebäude in Thessaloniki. Hinzu kommen landesweit insgesamt 16 lokale Radiostationen.

Nachfolger ist nicht unabhängig

Das gesamte ERT-Angebot ist nur noch online empfangbar, unter www.ertopen.com. Die Resonanz, die die Journalisten bekommen, ist groß. Mehrere Tausend Hörer und Zuschauer folgen dem Medium, kommentieren und diskutieren es in den Sozialen Netzwerken.

Ins mondäne Athener ERT-Hauptgebäude zog Anfang November der von der Regierung geschaffene Übergangssender DT ein. Mit starkem Verzug, erst seit dem 4. Mai, produziert der ERT-Nachfolger Nerit an gleicher Stelle sein Angebot. Die hehre Vorgabe: Nerit soll von der Athener Regierung unabhängig sein – aber das ist der Sender bei Weitem nicht.

Der einzige Nerit-Eigner ist das Athener Finanzministerium, der siebenköpfige Aufsichtsrat wurde von der Athener Regierung bestimmt. Kritiker monieren, Nerit sei ein „Regierungssender“. Doch damit nicht genug: Schon früh knirschte es bei Nerit. Anfang Mai, nur 24 Stunden nach der Senderpremiere, wurde der mit reichlich Vorschusslorbeeren bedachte Nerit-Vorstandschef Georgios Prokopakis vom Aufsichtsrat geschasst. Es habe eine „schwierige Kommunikation zwischen beiden Seiten gegeben, die in eine Sackgasse geführt habe“, ließ der Aufsichtsrat dazu verlauten.

Das Programm wird vom im Sommer eingestellten Personal des Übergangssenders DT erstellt. Die simple Devise: „Schlank sein“, also „schlanker als ERT“. Dies hat Folgen für das Angebot: Gegenwärtig strahlt Nerit nur ein Fernsehprogramm aus, dazu zwei Radioprogramme und zwei Internetauftritte. Kein Wunder: Seit März sollten 356 Mitarbeiter, darunter 132 Journalisten, eingestellt werden – das ist bisher nicht passiert. Mittlerweile ermittelt sogar die Athener Staatsanwaltschaft wegen der dubiosen Personalpolitik.

Auch inhaltlich hat Nerit bis dato nicht viel zu bieten. Ein großer Teil des TV-Programms besteht aus Dauerredesendungen – wie bei der privaten Konkurrenz. Wenn politische Studiogäste auftauchen, kommen diese von den Regierungsparteien. Die Athener Opposition boykottiert den neuen Staatssender – aus Protest gegen die ERT-Abschaffung.

Minimaler Marktanteil

An Publikum mangelt es dem neuen Nerit-Programm ebenfalls: Der Marktanteil dümpelt, je nach Sendung, in der Regel zwischen einem und sieben Prozent. Geht es um Sportübertragungen, lässt sich Nerit indes nicht lumpen: Bei der laufenden Fußball-WM ist der neue Staatssender mit zwei Korrespondenten vertreten. Einer von ihnen ist der Sportjournalist Dimitris Mallisiowas, langjähriger ERT-Mitarbeiter.

Der 52-Jährige ist bei dem Übergangssender DT untergekommen – mit einem Zeitvertrag, der wegen des fortgesetzten Nerit-Chaos wiederholt verlängert worden ist. Auf die unbefristete Einstellung bei Nerit muss er noch warten. Mit stoischer Ruhe sagt er den magischen Satz, der im modernen Hellas nicht nur mit Blick auf das unsägliche Wirrwarr beim ERT-Nachfolger fürwahr eine geradezu sakrosankte Bedeutung genießt: „Ouden monimotero tou prosorinou“ („Nichts ist dauerhafter als das Vorübergehende“).

Im Sendegebäude von ERT 3 in der nordgriechischen Metropole Thessaloniki ist die Nachrichtensendung mittlerweile vorbei. Kostas Mylonas lehnt sich auf seinem Stuhl entspannt zurück. Während seine Mitarbeiter langsam nach Hause gehen, bleibt er noch eine Weile. „Das ist jetzt der schönste Moment. Ich genieße ihn“, sagt er und klingt zufrieden.

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