Groko und Berliner Sozialdemokraten: Verhaltener Optimismus

CDU, CSU und SPD wollen die Groko. Zumindest ihre Spitzenpolitiker. Nun entscheiden die SPD-Mitglieder. Ein Stimmungsbild aus Berlin.

Viele SPD-Parteibücher

20.904 Berliner SPD-Mitglieder dürfen nun ihre Stimme erheben Foto: dpa

Nach der Einigung von Union und SPD über die Bildung einer neuen Großen Koalition geht bei der Basis der SPD das Ringen um Zustimmung oder Ablehnung des 177 Seiten starken Koalitionsvertrags los. Allein in Berlin sind über 20.000 Sozialdemokratinnen und So­zial­demokraten stimmberechtigt. Mit 2.290 Neueintritten seit Januar hat die SPD in Berlin so viele Mitglieder wie seit 1998 nicht mehr.

Noch ist unklar, inwieweit sich die Erfolge, die das Verhandlerteam der SPD für sich reklamiert, beim Mitgliederentscheid auswirken werden. Bundestagsabgeordneter Fritz Felgentreu – er hatte bei der Bundestagswahl im letzten Jahr das Direktmandat in Neukölln für die SPD geholt – ist aber optimistisch. „Das genaue Ergebnis kenne ich zwar noch nicht, aber ich denke, dass wir damit beim Mitgliederentscheid bestehen können“, sagte er am Mittwoch der taz. In Neukölln soll es am 12. Februar ein Mitgliederforum zum Koalitionsvertrag geben – zum Austausch und zur Diskussion.

Wer darf abstimmen?

Insgesamt 463.723 SPD-Mitglieder dürfen darüber abstimmen, ob es zu einer Großen Koalition kommt. In Berlin sind es 20.904 Genossinnen und Genossen. Erstmals dürfen sich auch SPD-Mitglieder, die im Ausland leben, an der Abstimmung beteiligen.

Wann wird abgestimmt?

Erster Schritt ist die Versendung des Koalitionsvertrags an die SPD-Basis. In den Bezirken plant die SPD zahlreiche Mitglieder­foren. Ob es auch zu einer Regionalkonferenz in Berlin kommt, bei der die Parteispitze um Zustimmung wirbt, ist offen. Bis Redaktionsschluss war nicht bekannt, bis wann dann das Votum abgegeben werden muss. Insgesamt sind drei Wochen für Entscheidung und Auswertung geplant. (wera)

Am Mittwoch um kurz nach zehn hatten sich die Bundesspitzen von CDU, CSU und SPD grundsätzlich auf eine Koalition geeinigt, aber noch waren zu diesem Zeitpunkt nicht alle Details bekannt. Auch der Koalitionsvertrag trug am Mittag noch die Signatur „Entwurf“.

Die Bundestagsabgeordnete Eva Högl, die ihr Direktmandat in Mitte verteidigt hatte, wollte sich daher noch nicht zu Einzelheiten des Vertrags äußern. Das Gesamtergebnis aber sei gut. „Ich werde deshalb mit Ja stimmen“, erklärte Högl. „Die Verhandlungen haben viele gute Ergebnisse gebracht, bei der Pflege, bei Innenpolitik und Recht, wo ich selbst verhandelt habe.“ Vor allem beim Thema Mieten, das für Berlin besonders wichtig sei, habe der Regierende Bürgermeister Michael Müller „exzellent verhandelt“: „Mit der Verschärfung der Mietpreisbremse und der Begrenzung der Modernisierungsumlage bin ich superzufrieden.“

Auch für den Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup aus Pankow ist die Mietenpolitik entscheidend. „Ich habe immer gesagt, wenn bei Bauen und Wohnen nichts rauskommt, dann stimme ich dagegen“, so Mindrup zur taz. Nun aber habe man die Wende geschafft, dass sich der Bund wieder im so­zialen Wohnungsbau engagiert. „Dafür habe ich vier Jahre gekämpft. Ich wäre ja bescheuert, da jetzt dagegen zu stimmen.“ Auch in Pankow soll am kommenden Dienstag ein Mitgliederforum über den Vertrag mit CDU und CSU debattieren.

Die Stimmen für die Neuauflage einer Großen Koalition mehren sich also. Noch vor dem Bundesparteitag am 21. Januar in Bonn, bei dem 362 von 642 Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gestimmt hatten, hatte es anders ausgesehen. Der Landesvorstand der traditionell eher linken Berliner SPD hatte vor dem Parteitag ein Votum gegen eine Neuauflage der Groko abgegeben.

Bauchschmerzen bei Jusos

Auch Annika Klose, die Vorsitzende der Berliner Jusos, hatte damals mit Nein gestimmt. Dass die SPD bei den Koalitions­verhandlungen nun mehr erreicht hätte als in den Sondierungsgesprächen, sieht sie nicht. „Das bleibt alles im Rahmen des Sondierungspapiers“, bekräftigte sie am Mittwoch. „Wir haben keine unserer wichtigen Punkte durchgesetzt. Stattdessen stehen weitere Jahre des Stillstands vor uns.“

Vor allem der designierte Innenminister Horst Seehofer (CSU), dessen Ministerium noch um das Thema „Heimat“ erweitert werden soll, bereitet Klose Bauchschmerzen. „Ich finde das sehr bedenklich“, sagte sie. „Wenn von den SPD-Verhandlern nun eine Erfolgsmeldung nach der anderen kommt, trauen wir dem nicht.“

Ob sich die Jusos mit ihrer ablehnenden Meinung bei der Parteibasis durchsetzen werden? „Das wird schwierig“, sagte Klose. Sie frage sich auch, ob die ablehnende Haltung der Jusos in die Publikationen des Bundesvorstands Eingang finden werde. Deshalb wollen die 6.000 Berliner Jusos nun versuchen, in den Kreisen und Abteilungen mit der Basis ins Gespräch zu kommen. Nachdem der Bonner Parteitag für Koalitionsverhandlungen gestimmt hatte, hatten die Jusos eine Kampagne gestartet, in die SPD einzutreten und bei der Mitgliederbefragung mit Nein zu stimmen.

Mehr Realismus und weniger Fundamentalpositionen wünscht sich dagegen SPDler Carl Wechselberg, ehemals Mitglied des Abgeordnetenhauses. „Mehr als dieser Vertrag ist zurzeit nicht drin“, schrieb Wechselberg, der einst von der Linkspartei zur SPD wechselte, auf Facebook. „Es reicht für einige gute Reformansätze – mehr geht mit der CDU nicht. Leider sind andere Alternativen noch weit schlechter.“

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