Großbritannien: Starmer stellt Anerkennung Palästinas in Aussicht
Der britische Premierminister will im September einen palästinensischen Staat anerkennen. Es sei denn, Israel ändere sein Verhalten radikal.

Starmer begann seine Ansprache mit Erwähnung des „schlimmsten Massakers in der israelischen Geschichte“ am 7. Oktobers 2023 durch die Hamas und den anhaltenden täglichen Horror, sowohl für die Geiseln als auch für palästinensische Menschen, bevor er über das katastrophale Versagen von Hilfe und hungernde Babys und Kinder sprach: „Das Leid muss ein Ende haben!“, forderte er.
Dabei machte Starmer klar, was genau das für ihn bedeute: Täglich müssten mindestens 500 Lkws mit humanitärer Hilfe nach Gaza kommen. Zudem unterstrich er, dass es zu keiner Annexion des Westjordanlands kommen dürfe. Es bedürfe einer Waffenruhe, die zu einem Friedensplan führe, mit Sicherheit und einer richtigen Regierung in Gaza, welche dann den Weg für eine Zweistaatenlösung öffne, mit dem Ziel eines sicheren Israel neben einem souveränen palästinensischen Staat.
Er sei schon immer der Ansicht gewesen, einen palästinensischen Staat im Moment maximaler Wirkung für einen wahren Friedensprozess anzuerkennen, sagte Starmer. Die Ansage am Dienstag erfolge nun, weil dies gefährdet sei.
Prüfung der Bedingungen im September
Was die Terroristen der Hamas betreffe, hätte sich die Botschaft an diese nicht geändert, warnte Starmer. Sie müssten sofort alle Geiseln freilassen, ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnen, sich entwaffnen und akzeptieren, dass sie keine Regierungsrolle in Gaza einnehmen könnten. Inwiefern beide Seiten diesen Schritten entgegengekommen, werde man im September prüfen.
Währenddessen würde man mit internationalen Partnern weiter daran arbeiten, das Leid zu beenden, Hilfsgüter nach Gaza und eine stabilere Zukunft für den Mittleren Osten zu liefern. Er tue dies, weil er wisse, dass sich die britische Bevölkerung danach sehne.
Die Ankündigung ist eine Reaktion auf die Notlage in Gaza der vergangenen Wochen – und womöglich auch auf den daraus resultierenden politischen Druck. 255 fraktionsübergreifende Abgeordnete, darunter 147 (mehr als die Hälfte) der Labourfraktion und sogar einige Tories, hatten in einem gemeinsamen Brief die sofortige Anerkennung eines palästinensischen Staates gefordert. Es wird angenommen, dass auch Kabinettsmitglieder wie die stellvertretende Premierministerin Angela Rayner, die Innenministerin Yvette Cooper und Gesundheitsminister Wes Streeting eine Anerkennung fordern.
Am Montag waren sich Starmer und der US-Präsident Trump nach Gesprächen in Schottland einig, dass mehr Hilfe nach Gaza gelangen müsse. Zudem führte Starmer ein Telefongespräch mit dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas.
Gaza als linkes Spaltthema auch im Vereinigten Königreich
Starmers Ansprache folgte zudem auf eine außerordentliche Kabinettsitzung zu Gaza am Dienstagmittag. Zunehmend wurde Gaza auch zum Hauptthema der Differenzierung zwischen der Labourregierung und anderen linken Parteien, etwa der schottischen Nationalpartei, den Grünen, den Liberaldemokrat:innen, und der neu entstehenden linken Partei von Jeremy Corbyn und Zahra Sultana.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu verurteilte die Entscheidung als Belohnung der monströsen Hamas und Bestrafung ihrer Opfer. Der dschihadistische Staat, der heute an der Grenze Israels stehe, werde in der Zukunft Großbritannien bedrohen. „Beschwichtigungspolitik gegenüber dschihadistischen Terroristen ist immer verfehlt“, sagte er und versicherte, es werde nicht dazu kommen.
US-Präsident Donald Trump sagte, dass die Briten hier Macron folgten, was nicht bedeute, dass er dem zustimmen müsse. Klarer war die Sprecherin des US State Departments, Tammy Bruce. Hier werde die Hamas belohnt, was ein Schlag ins Gesicht der Opfer des 7. Oktober sei. Die Ankündigung bedeute, dass es sich auszahle, lange genug nicht zu kooperieren, anstatt wie sonst bei einer so verheerenden Niederlage zu kapitulieren.
Zu Hause wurde die Entscheidung auf der einen Seite von Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn kritisiert. Das Recht auf einen Staat dürfe nicht an Bedingungen geknüpft werden, sondern sei unveräußerlich. Die rechte Partei Reform UK ließ dagegen verlauten, dass die Entscheidung die Hamas belohne.
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