Große Koalition nach dem SPD-Parteitag: Viele Wege zum 12-Euro-Lohn

Der SPD-Parteitag hat gefordert, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Erste Reaktionen der Union klangen ablehnend, aber Bewegung ist möglich.

Kellner mit Teller

Bald mehr Geld? In der Gastronomie würden viele Beschäftige vom 12-Euro-Mindestlohn profitieren Foto: Evgeniy Kleymenov/imago images

BERLIN taz | Die Beißreflexe funktionieren wie immer wunderbar. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kanzelte Forderungen des SPD-Parteitages zum Beispiel prompt als „Linksträumereien“ ab. Doch jenseits des Theaterdonners wird in der Großen Koalition bereits überlegt, wie Kompromisse aussehen könnten. Sie sind, anders als es die Drohgebärden vermuten lassen, durchaus möglich.

Beispiel Mindestlohn. „Unser Ziel ist die perspektivische Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro“, heißt es im Beschluss des SPD-Parteitages. Das Wort „perspektivisch“ ist wichtig, es öffnet Raum für Verhandlungen. Auch kleine Schritte über einen längeren Zeitraum sind denkbar. Der Mindestlohn wird von einer Kommission festgelegt, in der Vertreter von Arbeitgebern, Gewerkschaften und aus der Wissenschaft sitzen.

Für eine Erhöhung des derzeit bei 9,19 Euro liegenden ­Mindestlohns kommen zwei Wege in Frage: Die Koalition könnte die Kommission übergehen und die Aufstockung politisch festlegen. Oder sie könnte die Erhöhung der Kommission überlassen, die dafür einen geänderten Arbeitsauftrag bräuchte. Die SPD tendiert in die zweite Richtung. Die Sozialpartner bräuchten „einen besseren Rahmen, um ihrer Aufgabe für die Aushandlung eines angemessenen Mindestlohns (…) gerecht werden zu können“, heißt es in dem Beschluss.

Wichtig ist, dass eine Nachverhandlung sowieso ansteht. Eine Koalition aus CDU, CSU und SPD hatte das Gesetz, das den Mindestlohn regelt, im Jahr 2014 beschlossen. Darin heißt es: „Dieses Gesetz ist im Jahr 2020 zu evaluieren.“ Der Gesetzgeber hatte also die Verabredung eingebaut, den Mindestlohn zu überprüfen. Die SPD interpretiert den Satz so, dass auch vereinbart wurde, den Mindestlohn weiterzuentwickeln.

CDU-Arbeitnehmer dafür

Damit ist sie nicht allein. Der Arbeitnehmerflügel in der CDU, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), macht sich ebenfalls für eine Erhöhung stark – und wirft der Mindestlohn-Kommission Versagen vor. „Die Entwicklung des Mindestlohns ist eine Riesenenttäuschung“, sagte CDA-Chef Karl-Josef Laumann der Bild-Zeitungvor dem CDU-Parteitag im November. Eine Erhöhung des Mindestlohns um 69 Cent in 5 Jahren sei beschämend. „Wer jeden Tag schuften geht, hat mehr als 9,19 Euro die Stunde verdient.“

Die Minierhöhungen kommen zustande, weil sich die Kommission an der Entwicklung der Tariflöhne orientiert. Der Rest ist Mathematik: Ein prozentualer Aufschlag, der für ein Facharbeitergehalt ordentlich ist, wirkt sich bei einem niedrigen Lohn weniger aus.

Die CDA setzte auf dem CDU-Parteitag Ende November deshalb einen Kurswechsel durch. Die Delegierten beschlossen, die Mindestlohn-Kommission aufzufordern, „sich eine neue Geschäftsordnung zu geben und von der geübten Praxis einer quasi-automatischen Erhöhung anhand des Tarifindexes abzurücken“. Heißt: Auch die CDU will offiziell einen höheren Mindestlohn, den allerdings die Kommission beschließen soll.

Arbeitgeber sperren sich

Aber täte sie das? CDA-Chef Laumann sagte am Montag, dass es in der Mindestlohn-Kommission keine Mehrheit gebe, um die Geschäftsordnung zu ändern. Das müsse nun aufgebrochen werden.

Die Mitglieder der Mindestlohn-Kommission könnten mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen, über die Tarifentwicklung hinauszugehen. Doch die drei Arbeitgebervertreter verfügen über eine Sperrminorität. Und jene haben kein Interesse an großen Aufschlägen.

Durch eine außerordentliche Erhöhung würden „zahlreiche vor allem regionale Branchentarifverträge außer Kraft gesetzt“, argumentierte Steffen Kampeter, Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Solch ein Vorgehen würde den Sinn von Tarifverträgen und der Sozialpartnerschaft aushöhlen und damit die Tarifbindung schwächen.“ Die Kommission blockiert sich also selbst.

DGB fordert Entscheidung

Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der ebenfalls den 12-Euro-Lohn fordert, ist deshalb die Politik gefragt. Die Evaluierung des Gesetzes 2020 „sollte die Politik nutzen, um eine einmalige Niveauanhebung auf 12 Euro durchzusetzen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Aber auch der DGB ist kompromissbereit. Ob dies in mehreren Schritten oder auf einen Schlag passieren solle, „ist noch zu diskutieren“, sagte Körzell. „Danach sollte die Kommission ihre Arbeit fortsetzen.“

Für Union und SPD gibt es viele Wege, einen Kompromiss zu finden. Sie können auf die Kommission bauen – und lediglich einen Appell verfassen. Oder sie greifen politisch ein. In moderaten Schritten und zeitlich so gestreckt, dass es für beide Seiten tragbar ist.

Freuen könnte sich die Erfinderin des 12-Euro-Mindestlohns, die Linkspartei, die ihn schon 2013 im Wahlprogramm forderte. Damit betrage er 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns, so das Argument. Der Linke-Abgeordnete Klaus Ernst hatte dann im April 2016 eine gute Idee. Er fragte das Arbeitsministerium, wie hoch ein Lohn sein müsste, um nach 45 Beitragsjahren eine Rente über der Grundsicherung zu bekommen. Antwort: Im Jahr 2016 wäre ein Stundenlohn von 11,68 Euro erforderlich gewesen. Die Bundesregierung musste also erklären, dass ihr eigener Mindestlohn in die Altersarmut führt.

Auch aus dieser Anfrage leitete sich die Forderung nach 12 Euro ab. Auch diese ist schon wieder veraltet. Die Bundesregierung rechnete 2018 auf Anfrage der Linke-Fraktion vor, dass ein Mindestlohn von 12,63 Euro nötig wäre, um im Alter über die Grundsicherung zu kommen.

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