Großkundgebung in Polen: „Die Freiheit verteidigen“

Redner beim „Marsch der Freiheit“ kritisieren die PiS-Regierung hart. Die Regierungspartei spielt das Ausmaß des Protestes herunter.

Ein Mann mit Europa-Sternchen auf der Backe

Europa nicht abgeschminkt: Demonstrant in Polen Foto: dpa

WARSCHAU taz | In Warschau fiel am Samstag ein absurder Rekord: 90.000 aufgebrachte Bürger aus ganz Polen demonstrierten gegen die nationalpopulistische Regierung der Recht und Gerechtigkeit (PiS) – verkündete das Warschauer Stadtamt. Dort stellt die liberalkonservative Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) die Mehrheit. 9.000, höchstens 12.000 Polen hätten am Sonntag am Freiheitsmarsch der PO teilgenommen, stellte hingegen Polens Polizei offiziell fest. Die Polizei ist seit Regierungsbeginn der PiS im Oktober 2015 stark politisiert und untersteht der PiS. Polnische Journalisten, die sich nicht zwischen alle Stühle setzen wollten, informieren daher ihre Leser, Zuhörer und Zuschauer, dass am Freiheits-Marsch „viele Polen“ teilgenommen hätten.

Neu war nicht nur der Rekord verzerrter Wahrnehmung von 9.000 zu 90.000 durch die beiden wichtigsten polnischen Parteien. Neu waren auch die vielen grünen Fahnen der Bauernpartei PSL auf der Demonstration. Zum ersten Mal seit dem Regierungsantritt der PiS im Oktober 2015 kamen Polens Bauern nach Warschau, um für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. Dabei hatte nicht die Bauernpartei, sondern die liberalkonservative Bürgerplattform zu dieser ersten Großkundgebung nach der Winterpause aufgerufen.

„Gegen Pol-Exit! Für PiS-Exit!“ skandiert begeistert die ganze Familie Grabowski. Die neunjährige Zofia und die elfjährigen Zwillinge Tomek und Marek sind zum ersten Mal in Polens Hauptstadt. Mutter Danuta bindet EU-Ballons an ihren Handgelenken fest und lässt sie in die große Provianttasche schauen: Butterbrote, Orangensaft, Tee, Äpfel und Gürkchen stehen zur Auswahl. „Wenn die PiS wieder die achtjährige Hauptschule einführt, verbaut sie unseren Kindern die Zukunft“, empört sich Vater Karol. Die Familie hat einen Bauernhof in der Nähe von Poznan (Posen) in Westpolen.

„Heute gehen die Kinder sechs Jahre lang in die Grundschule bei uns im Dorf, dann drei Jahre in die Mittelschule in der Kreisstadt und danach in die Oberschule in Posen, wo sie gemeinsam mit den Stadtkindern das Abitur machen und dann sogar im Ausland studieren können.“

Danuta nickt, reibt ihre abgearbeiteten, rauen Hände und zeigt auf die vielen grünen Bauern- und blauen EU-Fahnen: „Seit 2004 sind wir in der EU. Für uns Bauern hat sich viel zum Besseren gewendet. Unsere Kinder haben alle Chancen der Welt. Aber nach acht Jahren Dorfschule müssen sie dann die Prüfung zur Oberschule zusammen mit den Stadtkindern machen. Das schaffen sie nie. Da bleibt dann nur die Berufsschule. So wie bei Karol und mir.“

Familie Grabowski profitiert von EU-Zuschüssen für die Landwirtschaft, bekommt aber auch monatlich 1000 Zloty (umgerechnet 240 Euro) Kindergeld, das die PiS eingeführt hat. „Ja, natürlich ist das Geld wichtig, aber die Schule ist noch wichtiger“, sagt der 42 jährige Karol Grabowski. „Und wenn Polen wegen der PiS aus der EU fliegt, gibt es auch kein Kindergeld mehr. Dann sind wir da, wo wir 1989 schon mal waren.“ Zofia und den Zwillingen dauert das Gespräch der Eltern schon zu lange. Sie hüpfen ungeduldig und rufen: „Für PiS-Exit!“. Und so zieht die Familie im großen Demonstrationszug gegen Polens Regierung weiter. Am Abend wollen sie zurück in ihrem Dorf in Westpolen sein.

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