Grüne Selbstgeißelung im Wahlkampf: Zweifel statt Optimismus

Nur wer an den Sieg glaubt, hält die Partei zusammen. Viele Grüne sind nicht so klug. Ihre Nörgelei wirkt kaum attraktiv für die Wähler.

Mehr Zuversicht wagen: Jürgen Trittin blickt nach oben. Bild: dpa

BERLIN taz | Es zeugt nicht von politischer Klugheit, dass manche Grüne jetzt öffentlich Fehler analysieren. Vollblutwahlkämpfer wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder kannten vor der Wahl nur eine Haltung zu miesen Umfragewerten: Sie waren ihnen herzlich egal. Sie hätten gesagt: Neun Prozent, so what? Noch ist nicht Sonntagabend.

Fischer und Schröder betrieben notwendige Autosuggestion. Sie verboten sich Zweifel, und kultivierten stattdessen lieber den Glauben an sich selbst. Nie wäre ihnen wenige Tage vor der Entscheidung ein skeptisches Wort über den eigenen Kurs über die Lippen gekommen.

Nur wer unbedingt an den eigenen Sieg glaubt, hält die Partei zusammen, mobilisiert die eigene Klientel und nimmt die Binsenweisheit ernst, dass sich heutzutage ein Drittel der Wähler erst ganz kurz vor der Wahl entscheidet.

Viele Grüne von heute sind nicht so klug. Sie geißeln sich öffentlich selbst, obwohl die Zeugnisvergabe durch den Wähler erst noch ansteht. Diese selbstzerstörerische Nörgelei wirkt auf Unentschlossene kaum attraktiv. Wer vertraut gerne einer Partei das Land an, die sich schon durch Umfragewerte panisch machen lässt?

Billige Eigen-PR

Sicher, es hat bei der Steuer- und Umverteilungspolitik ein „kommunikatives Problem“ gegeben, wie es nun – neben anderen – der hessische Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir feststellt. Kurz vor dem Parteitag warnte der Vorzeigerealo Winfried Kretschmann die Grünen eindringlich, den Bogen nicht zu überspannen. Er unterließ es aber, einen Kurswechsel im Finanzkonzept zur Abstimmung zu stellen. Kretschmann, Regierungschef eines reichen Bundeslandes, ging es um billige Eigen-PR, nicht um die Sache.

Solche Profilierungsversuche haben den Grünen früh das Image einer Steuererhöhungspartei verpasst. Dadurch wurden Themen wie die Energiewende, die Bildung oder die Ökologie, die mit dem zusätzlichen Geld finanziert werden sollen, an den Rand gedrängt.

Hinter dem Streit über solche Pannen verbergen sich aber andere, analytisch viel interessantere Fragen. War es grundsätzlich falsch, Gutverdienern moderate Belastungen zuzumuten, um zum Beispiel bessere Kitas zu finanzieren? Sollen sich die Grünen das Soziale sparen, Aufschläge für Hartz-IV-Empfänger etwa, weil ihnen sonst die Besserverdiener von der Fahne gehen?

Es geht um das Wesen der Partei

Eine solche Analyse ist bisher von keinem Grünen zu hören, und zwar aus gutem Grund. Denn dies zu fordern hieße, eine über mehrere Jahre von der Partei demokratisch beschlossenen Linie zu konterkarieren. Es hieße, das Klischee der Latte-macchiato-Partei, die sich nur um die Biobürgerlichkeit kümmert, zu bestätigen. Und es hieße, die schmerzhafte Diskussion zu führen, welche sozialen Anliegen die Grünen opfern sollen, um in der politischen Mitte ein paar Prozentpunkte mehr zu erwirtschaften.

Bei der Debatte, die jetzt zögerlich beginnt und sich nach der Wahl verstärken wird, geht es also um mehr als um Kommunikationsfehler. Es geht um das Wesen der grünen Partei.

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