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Grüne Vize-Fraktionsspitze Misbah KhanDie neue Sachliche

Habeck und Baerbock sind Geschichte, ansonsten änderte sich nicht viel an der Spitze der Grünen. Misbah Khan ist die einzige neue Vize-Fraktionschefin.

Als ­Abgeordnete schon länger im Dienst der Grünen: Misbah Khan wurde 2021 in den Bundestag gewählt Foto: Nils Leon Brauer

Berlin taz | Viel Deko muss Misbah Khan nicht einpacken, wenn sie demnächst aus ihrem kleinen Abgeordnetenbüro in ein größeres umzieht. Nur ein kleines Bild hängt an der Wand neben dem Schreibtisch, eine Stadtansicht von Jerusalem – ohne tiefere Bedeutung, Khan fand sie einfach hübsch. Auf dem Boden stehen eine Zimmerpflanze, die lebt, und eine, die es wohl nicht mehr schafft. Das war es.

So nüchtern sie sich eingerichtet hat, so nüchtern erklärt die 35-Jährige in einem Gespräch mit der taz ihren Aufstieg. Wie sie es in den Fraktionsvorstand geschafft hat? „Der Vorstand soll die Fraktion in ihrer Breite abbilden. Ich bin ein Puzzleteil, das gepasst hat“, sagt Khan. Keine knallige Geschichte, keine Prahlerei. Ihr Profil habe sich eben gut eingefügt: die richtige Generation (seit 2021 im Bundestag), der richtige Flügel (Realo), der richtige Landesverband (Rheinland-Pfalz), ein passender Schwerpunkt (Demokratieförderung) und gute Arbeit in der letzten Legislaturperiode („Wie andere auch“).

Seit Ende April ist Misbah Khan stellvertretende Fraktionsvorsitzende und damit die einzige Neue in den ersten beiden Reihen der Grünen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es bei einigen in der Partei: Es hätten gerne ein paar weitere frische Gesichter sein können. Robert Habeck und Annalena Baerbock haben sich nach der Bundestagswahl zwar zurückgezogen. Der Parteivorstand ist aber komplett im Amt geblieben. Die Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann wurden in ihren Postionen bestätigt, vier ihrer fünf Vizes ebenfalls.

Nur den Platz der Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink, die nicht wieder für den Bundestag kandidiert hatte, hat die Fraktion neu vergeben. Als ihre Nachfolgerin ist die studierte Politikwissenschaftlerin Khan gewissermaßen die Spitze der personellen Erneuerung nach der Wahlniederlage. Wechsel gab es sonst nur an weniger herausgehobenen Stellen und auf dem grünen Platz im Bundestagspräsidium, den mit Ex-Parteichef Omid Nouripour aber ein alter Bekannter bekommen hat.

Warum ausgerechnet die Grünen?

Ich wollte nicht Teil einer Partei werden, die regelmäßig der Versuchung erliegt, pauschal über Gruppen zu urteilen

Misbah Khan über ihren Eintritt bei den Grünen

Nouripour war schon seit zwei Jahren Abgeordneter, als Khan 2008 Grünen-Mitglied wurde. Auch über ihren Weg in die Partei, damals als Zwölft­klässlerin, erzählt Khan lakonisch. Zu Hause sei Politik am Frühstückstisch oft Thema ­gewesen und nicht mit allen politischen Entwicklungen sei sie zufrieden gewesen – mit der Präsidentschaft von George W. Bush in den USA zum Beispiel. „Und dann habe ich mir gedacht: Schadet ja nicht, parteipolitisch aktiv zu werden, da mal ­hinzugehen, meine Meinung zu sagen und zu gucken, was passiert.“

Warum ausgerechnet die Grünen? Natürlich: Den einen Grund habe es nicht gegeben. Ein Faktor war aber ihre Migrationsgeschichte. Der Großvater kam in den 1950ern für sein Medizinstudium aus Pakistan nach Heidelberg und blieb danach im Land. Die Mutter zog als Erwachsene für einige Zeit nach Pakistan und kehrte in den 1990ern mit der 4-jährigen Misbah in die Pfalz zurück. Vor diesem Hintergrund fielen für Khan später einige Parteien direkt durch das Raster: „Eine Grundbedingung war für mich, nicht Teil einer Partei zu werden, die regelmäßig der Versuchung erliegt, pauschal über gesellschaftliche Gruppen zu urteilen“, sagt sie.

Khan blieb bei den Grünen, machte Kommunalpolitik, baute die Grüne Jugend in der Vorderpfalz auf und leitete bald deren Landesverband. In der Nachwuchsorganisation dominieren eigentlich die Parteilinken, aber in Rheinland-Pfalz sind die Grünen so überschaubar, dass Flügelfragen keine große Rolle spielen.

Erst nach ihrem Einzug in den Bundestag – da lagen schon zweieinhalb Jahre als Chefin der Landespartei hinter ihr – musste sich Khan für eine der beiden Strömungen entscheiden. Nachdem sich Khan ­Treffen beider Flügel in der ­Fraktion angeschaut hatte, blieb sie bei den Realos. „Das hatte unterschiedliche Gründe“, sagt sie. „Für mich war es ein gutes Angebot durch die Art und Weise, wie dort debattiert wird. Ich bin aber niemand, der durch Flügelfragen emotionalisiert ist.“

In ihrer ersten Legislaturperiode saß Khan im Innenausschuss, verhandelte mit Abgeordneten der anderen Koalitionsfraktionen über Gesetzesentwürfe. Fragt man sie nach ihren Erfolgen, fällt Khan zuerst ihre Mitarbeit am Onlinezugangsgesetz ein („Klingt nicht so sexy, ist aber die Grundlage für einen funktionierenden Staat im 21. Jahrhundert“). Dann nennt sie die Modernisierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, über dessen genaue Ausgestaltung die Ampel lange gerungen hatte. Und schließlich: den Bereich Rechtsextremismus und Demokratieförderung. Unter anderem setzte sie sich für die Errichtung eines NSU-Dokumentationszentrums ein.

Eine breite Öffentlichkeit hat sie damit in der ersten Legislaturperiode nicht erreicht. Es gibt keinen Tweet von ihr, der Debatten auslöste, und kein Video einer Bundestagsrede, das viral ging. Kein Wunder: Zur Zuspitzung neigt Khan nicht. Ihre Wortwahl bei öffentlichen Auftritten wirkt kontrolliert. „Differenziert“, korrigiert sie im Gespräch. „Es ist eine absolute Notwendigkeit, sachlich, evidenzbasiert, differenziert zu arbeiten. Es hilft niemandem in der Gesellschaft, wenn alle auf Verkürzung und Populismus setzen.“

Khan kann auch anders

Intern fiel ihre Arbeit dagegen sehr wohl auf. „Sie ist sehr kooperativ, sehr zugewandt und in der Sache sehr engagiert“, sagt Fraktionschefin Britta Haßelmann über Khan. „Wenn sie sich etwas vornimmt, macht sie es verlässlich, hartnäckig und gut vorbereitet. Statt laut und raumgreifend zu sein, überzeugt sie mit ihrer ruhigen Art.“ Damit schaffe sie es, „auch unterschiedliche Positionen zu verbinden und alle mitzunehmen.“

„Man sollte sie nicht unterschätzen“, sagt eine andere Fraktionskollegin. Khan selbst hat dazu dann doch mal eine prägnante Anekdote. Sie geht damit nicht hausieren, hat sie aber einmal in einem Podcast der Koblenzer Grünen erzählt, als sie gerade ein Jahr im Bundestag saß. Vor einer Gesetzesverhandlung hat sie sich demnach mit dem zuständigen Abgeordneten der FDP ausgetauscht. Der Mann war deutlich älter und nahm sie – Anfang 30, nicht-weiß, nicht größer als 1,60 Meter und im direkten Kontakt sehr freundlich – offenbar nicht für voll. Zumindest hatte sie das Gefühl, dass er sie von oben herab behandelte. So extrem, dass sie irgendwann aufstand und das Gespräch in ruhigem Ton für beendet erklärte.

„Hat funktioniert“, sagt Khan im Rückblick. „Es hat ein bisschen gedauert, aber dann ist es ein netter Umgang geworden.“

Ohne Durchsetzungskraft hätte sie es wohl auch in der Grünen-Fraktion nicht nach oben geschafft. Es stimmt schon, dass ihr Profil gut auf die freie Stelle gepasst hat. Dazu gehört auch ihr Migrationshintergrund, denn so vielfältig, wie sie es gerne wären, sind die Grünen an ihrer Spitze sonst nicht. Es gab für die Position aber auch andere Interessenten, die ihrerseits gefragte Merkmale mitgebracht hätten. Ostdeutsche Grüne warben zum Beispiel massiv dafür, dass auch Leute aus ihren Landesverbänden an prominente Stellen kommen. Ausreichend Unterstützung konnte sich am Ende aber offensichtlich nur Khan organisieren, bei der Wahl in der Fraktion trat sie schließlich als einzige Kandidatin an.

Jetzt ist sie für den Fachbereich 5 der Fraktion zuständig und damit nicht mehr für die Innenpolitik im klassischen Sinne, sondern für Familie, Bildung, Forschung und Gesundheit. Als „Gesellschaftspolitik“ fasst Khan selbst den Bereich zusammen. „Das ist ein zentrales Schlachtfeld und eine Angriffsfläche der extremen Rechten“, sagt sie. „Daran versuchen sie, diese Gesellschaft zu spalten. Ich sehe eine zentrale Rolle darin, an der Stelle in die Verteidigung zu gehen.“

Keine schmutzigen Finger bei der Linken

Ob das aber mit dem gleichen Stil wie bisher funktionieren wird? Jetzt, nach der Regierungszeit, geht es nicht mehr um Verhandlungserfolge im Hinterzimmer. Viel wichtiger ist plötzlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, von der für die Opposition nicht viel abfällt – und um die links der Koalition auch noch eine andere Partei kämpft, die mit Zuspitzungen und lauten Auftritten viel weniger Probleme hat.

In Umfragen hat die Linke mittlerweile zu den Grünen aufgeschlossen. Sie profitiert auch von der Glaubwürdigkeit, die sie im Kampf gegen rechts hat: In den vergangenen Jahren hat sie sich nicht die Finger schmutzig gemacht – im Gegensatz zu den Grünen, die in der Ampel Asylrechtsverschärfungen zustimmten. Anders als einzelne Grünen-Abgeordnete, die hin und wieder abwichen, folgte Khan bei jeder Abstimmung der Fraktionsdisziplin.

„Wir leben nun mal in einem System, das auf Kompromissen beruht“, sagt sie im Rückblick. „Unterm Strich gab es bei fast jeder Abwägung, die wir getroffen haben, einen Grund, mit Ja zu stimmen.“ Und sei es, dass für die Verschärfung an der einen Stelle eine Liberalisierung an einer anderen in Aussicht stand.

Nüchtern und abgewogen eben. Könnte aber wirklich schwer werden, in diesen Zeiten mit diesem Stil durchzudringen?

„Aber das macht es ja nicht falsch, oder?“, antwortet Khan unter den weißen Wänden ihres Büros zurück. „Bloß weil die Linke und die extreme Rechte gerade Aufwind haben, müssen wir da nicht nachziehen. Meine Mutter würde sagen: Wenn der Nachbar aus dem Fenster springt, musst du nicht hinterher springen.“

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1 Kommentar

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  • Ich wünsche Frau Kahn viel Erfolg bei den Grünen. Ich hoffe sie behält sich diesen nüchternen und abgewogenen Charakter. Eine Eigenschaft die ich im Großen und Ganzen an den Grünen sehr zu schätzen gelernt habe