Grüner Wiederaufbau nach Corona: Elfmeter für das Klima

Die EU kann mit den Konjunkturhilfen nach Corona ein gigantisches Klimaschutzprogramm basteln. Selbst Industrievertreter befürworten das.

Geparkte Flugzeuge mit zugeklebten Triebwerken.

Kredite an die Luftfahrt mit Klimaschutz verbinden wäre möglich Foto: Boris Roessler/dpa

Sven Giegold verschickte am Donnerstag eine lange Alarmliste: „Lobbyisten versuchen, nachhaltigen Weg aus der Corona-Wirtschaftskrise zu verwässern“, schrieb der grüne EU-Parlamentarier und zählte akribisch auf, wie Auto- oder Luftfahrtindustrie die Krise nutzten, um den Klimaschutz zu torpedieren. Der mächtigste Lobbyverband Europas, Business Europe, schaffe sogar das Kunststück, gleichzeitig öffentlich einen grünen Wiederaufbau zu fordern und im Hintergrund für einen Stopp sämtlicher Konsultationen im Umwelt- und Klimabereich auf EU-Ebene zu arbeiten, schreibt Giegold.

Europas Airlines bekommen zudem Milliardenhilfen, die Autobauer wollen eine neue Abwrackprämie. Ohne Bedingungen, denn es scheint zu kompliziert, die Nothilfen jetzt schnell mit dem Thema Klima zu verschweißen. Doch noch stehen die großen Konjunkturpakete aus, mit denen die Wirtschaft nach der Krise wieder angekurbelt werden soll. Noch sei Zeit, darin mehr Klimaschutz zu installieren, glauben nicht nur NGOs, sondern auch viele Finanzmarktexpert*innen.

„Die staatlichen Mittel, die jetzt mobil gemacht werden, können nur einmal aufgebracht werden. Sonst laufen wir in eine staatliche Verschuldung, die nicht finanzierbar ist“, sagt Kerstin Lopatta, die an der Universität Hamburg zur Frage forscht und lehrt, wie Klimakosten in die Wirtschaft eingepreist werden können. Kurzum, wenn jetzt Billionen Euro ohne Berücksichtigung von Klimaschutz ausgeschüttet werden, dann fehlt auch auf absehbare Zeit das Geld dafür.

Schon einmal schnellten die Staatsverschuldungen in die Höhe, um Wirtschaft und Finanzsystem zu retten, in der Krise ab 2008. Damals fanden Klima- oder Umweltschutz so gut wie keine Beachtung. Doch seitdem hat sich die Situation grundlegend geändert: Es gibt ein Pariser Klimaabkommen. Die EU-Kommission will die Klimaziele bis 2030 von 40 auf 55 Prozent Minderung von Treib­haus­gas­emis­sionen erhöhen, bis 2050 bei netto null sein.

Vor allem aber hat die EU in den letzten Jahren Instrumente entwickelt, wie all diese tollen Ziele auch in die harte Sprache der Finanzwirtschaft übersetzt werden können: in Preissignale, in Quartalszahlen Unternehmensberichte, Kreditkonditionen, Aktienfonds. Wer sich an Klimaschutz hält, verdient, wer nicht, schmiert ab. Das ist zumindest die Idee.

Taxonomie? Kennt (noch) niemand

Manche dieser Werkzeuge sind nigelnagelneu. Erst Mitte April verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs das zentrale Element, die sogenannte Taxonomie. Eine EU-weite Definition, was „ökologisch nachhaltiges Handeln“ ist. Grundsatz dabei: Eine Investition muss einem von sechs EU-Umweltzielen dienen – etwa Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder Wiederherstellung der Biodiversität. Außerdem darf sie keinem dieser Ziele zuwiderlaufen. Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten.

Das Besondere an den Regeln ist, dass sie mit NGOs, Wissenschaft und Finanzwirtschaft entwickelt wurden. Genauso wie die Standards für Unternehmen, mit denen die berichten können, wie ökologisch oder nicht-ökologisch sie wirtschaften. Berichten heißt: In für Investoren verständliche Kennziffern übersetzt, wie Umsatz oder Gewinn in Relation zum CO2-Ausstoß. Oder auch für Staaten, die Milliardenkredite vergeben. Eine Task Force on Climate-related Financial Disclosures hat gar global einheitliche Standards erstellt – übrigens unter Leitung von Michael Bloomberg, dem Milliardär, der gerade noch US-Präsident werden wollte.

Wäre es realistisch machbar, bis zum Jahresende aus all dem neue Kreditvergabestandards zu schaffen? „Das wünschte ich mir persönlich und ich glaube, dass es bereits möglich ist, sich auf die Implementierung vorzubereiten. Obwohl die Taxonomie für den Klimaschutz erst bis Ende 2020 erstellt werden soll, ist die Logik klar. Die ökonomischen Akteure haben bereits jetzt einen Rahmen“, sagt Aldo Romani. Er leitet die Abteilung für nachhaltige Anleihen bei der Bank, die Kommissionschefin Ursula von der Leyen zur EU-Klimabank machen will: der Europäischen Investitionsbank (EIB), der größten ihrer Art weltweit.

Eine 1,5-Grad-Strategie hat heute kaum ein Unternehmen. Also einen kategorischen Klima-Imperativ.

Bereits 2007 hat die EIB die weltweit erste grüne Anleihe für Anleger konzipiert, das Geld floss in verschiedene Projekte für Energieeffizienz und Erneuerbare. „Der Markt ist mit nachhaltigen Finanzprodukten aber im Laufe der Zeit an eine Grenze gekommen. Weil viele Menschen eine andere Meinung haben, was das eigentlich ist“, sagt Romani. Diese Ausrede zähle bald nicht mehr.

So sehen das auch viele Mitglieder des Sustainable-Finance-­Beirats der Bundesregierung. Den kennt aber kaum jemand. Leider, denn er hat jetzt einen ziemlich radikalen Vorschlag vorgelegt. In dem Beirat sitzen neben NGOs, Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Öko­no­m*in­nen auch Ex­per­t*innen großer Konzerne: Deutsche Bank, Allianz, BMW, ThyssenKrupp. Vielleicht ist der Vorschlag deshalb so kryptisch formuliert, dass er bisher praktisch kaum Widerhall findet. Die Bundesregierung solle doch Unternehmen einen an „nachhaltige Bedingungen geknüpften Tilgungszuschuss aus staatlichen Mitteln“ geben, am Ende der Kreditlaufzeit. Etwa wenn die Unternehmen 1,5-Grad-Strategien „auf Basis von Benchmarks oder KPIs“ vorlegten.

Der kategorische Klima-Imperativ

Übersetzen wir das mal. Eine 1,5-Grad-Strategie hat heute kaum ein Unternehmen. Also einen kategorischen Klima-Imperativ: Ich wirtschafte so, wie es nach dem Pariser Klimaabkommen nötig wäre, um den ­Klimakollaps zu verhindern. Und würden sich alle daran halten, wäre das Klimaproblem gelöst. Unternehmen, die nun einen solchen Plan vorlegen und umsetzen, sollen einen Teil der Kredite, die der Staat jetzt als Hilfen ausgibt, erlassen bekommen. Der Charme dabei wäre: Das würde alle Branchen betreffen, auch die, die nicht als öko gelten.

Die Bewertung, ob die Ziele erreicht sind, würde nicht einfach das Finanzministerium übernehmen. Dazu wären jene brandneuen Werkzeuge wie die Taxonomie da. Weil die noch nicht komplett fertig sind, würde „ein Schuh daraus“, wenn man den Anreiz an das Ende der Kreditlaufzeit lege, sagt Karl Ludwig Brockmann, der Konzernbeauftragte Nachhaltigkeit der staatseigenen KfW-Bankengruppe. „Das kann Sinn machen, weil ein Unternehmen mit einer klaren Klimastrategie langfristig auch finanziell besser dasteht“, sagt er der taz.

Und die Politik? Aus dem Umweltministerium heißt es wolkig, man werde die Vorschläge gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium prüfen. „In der Tat sieht das Bundesumweltministerium auch in der EU-Taxonomie ein wirkmächtiges Instrument, um perspektivisch ein Post-Corona-Aufbauprogramm mit dem European Green Deal zu verknüpfen“, sagt ein Sprecher. Verweist aber darauf, dass noch Details fehlten, die eigentlich erst bis Ende dieses, teilweise erst des kommenden Jahres fertig sein sollten.

Das Bundesfinanzministerium verweist darauf, dass die KfW bereits Förderkredite für Nachhaltige und klimafreundliche Investitionen vergebe. „Überlegungen für eine transformative Innovations- und Investitionsagenda“ müssten in Konjunkturmaßnahmen nach der Krise mitgedacht werden. Übersetzt heißt das: Eine generelle Verpflichtung auf Klimapläne für alle Unternehmen, die Staatsgelder wollen, lehnt das Ministerium offenbar ab.

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