Gysi über Kriegeinsätze und Angeln: „Ich kann auch still sein“

Gregor Gysi will die Linkspartei in den nächsten zwei Jahren regierungsfähig machen. Kompromisse sind nötig.

Bundeswehrsoldaten fahren in Wiesel-Panzern durch Kabul

Zu den Kompromissen bei einer Regierungsbeteiligung kann für Gysi auch ein Ja zu einem Kampfeinsatz gehören. Foto: dpa

taz: Petri Heil, Herr Gysi! Wir haben gehört, Sie haben kürzlich zum ersten Mal geangelt. Was haben Sie denn gefangen?

Gregor Gysi: Zwei Flundern, sechs Klieschen und dann noch einen … Wie heißen diese flachen Fische?

Schollen?

Richtig, eine Scholle.

Gute Ausbeute.

Ich hatte ja auch einen Angellehrer aus meiner Fraktion dabei, den Abgeordneten Jan Korte. Am besten fand ich aber, dass hundert Meter weiter richtige Profiangler standen, die gar nichts fingen. Die pirschten sich mit Neid im Gesicht immer näher an uns ran.

Beim Angeln muss man still sein. Können Sie das?

Ja, das kann ich auch. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis ich von meinem inneren Stress runtergekommen bin, aber dann habe ich mich entspannt und gemerkt: Das ist der eigentliche Reiz. Die Leute angeln nicht wegen der Fische. Sie angeln, um zur Ruhe zu kommen.

ist ehemaliger Parteichef- und Fraktionsvorsitzender der Linken. Der 73-Jährige war zuletzt außenpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag und wird diesen Posten wohl auch in der aktuellen Legislatur übernehmen. Dank seines und zwei weiterer Direktmandate ist die Linke wieder im Bundestag als Fraktion vertreten.

Herr Gysi saß also tiefenentspannt am Meer, hielt seine Angelrute und dachte über die Zukunft nach. Sie müssen schließlich eine Entscheidung treffen: Ihre Fraktion wählt im Herbst einen neuen Vorstand und möchte so langsam wissen, ob Sie noch mal kandidieren.

Darüber denke ich nach. Aber wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, informiere ich als Erstes einen Parteitag, nicht die Medien. Da bitte ich Sie um Verständnis.

Am 7. Juni reden Sie auf dem Parteitag in Bielefeld. Dort verkünden Sie, wie es weitergeht?

Kann sein. Vielleicht sage ich dort, dass ich nicht mehr kandidiere. Vielleicht aber auch erst auf dem nächsten Parteitag. Oder auf dem übernächsten. Spätestens mit neunzig ist aber Schluss.

Wer sich seine Wohnung nicht mehr leisten kann, landet nicht immer am Stadtrand – aber meist in einem anderen Leben. Was passiert, wenn Menschen ihr Viertel verlassen müssen? Und was bringt die Mietpreisbremse? Die Titelgeschichte "Wo die Verdrängten heute wohnen" lesen Sie in der taz.am wochenende vom 30./31. Mai 2015. Außerdem: Im bayerischen Elmau treffen sich sieben Staats- und Regierungschefs, die gern in der Welt den Ton angeben. Soll man gegen G7 protestieren? Und: Dirk van Gunsteren überträgt die großen amerikanischen Romanciers ins Deutsche. Ein Gespräch über Thomas Pynchons Männerfantasien und über Romane, die Geschichtsbücher sind. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Bleiben wir in der Gegenwart: Wo steht die Linkspartei 2015?

Auf der einen Seite haben wir erstaunlich viel erreicht. Uns ist es gelungen, eine bundesweite Partei zu installieren. Wir stehen bei 10 Prozent, und wir haben uns eine gesellschaftliche Akzeptanz erarbeitet, von der wir früher nicht mal zu träumen wagten. Es gibt kaum noch einen Unternehmertag, zu dem ich nicht eingeladen werde. Bei der chemischen Industrie, bei der Metallindustrie: überall soll ich sprechen.

Und auf der anderen Seite?

Wenn sich eine Partei mit dem Erreichten zufriedengibt, gerät sie schnell in Stillstand. Um das zu verhindern, muss sie neue Aufgaben suchen. Deshalb haben wir zum Beispiel im April auf einem Kongress über linke Politik der Zukunft diskutiert. 2017 kommen wir aber nicht über 10 Prozent hinaus, wenn wir sagen: Die Linke will ewig in der Opposition bleiben. Das ist irgendwann nicht mehr spannend. Wir müssen also ohne Anbiederung offensiver werden und deutlich machen, dass wir bestimmte Forderungen in einer Bundesregierung umsetzen können und wollen.

Genau diesen Willen strahlt die Linkspartei aber nicht aus. Auf eine rot-rot-grüne Koalition arbeitet Ihre Fraktion nicht hin.

Viele Leute schon, andere noch nicht. Das ändert sich aber. Wir haben nächstes Jahr fünf Landtagswahlen. In Berlin könnten wir wieder in eine Koalition kommen. In Mecklenburg-Vorpommern vielleicht auch, und wenn wir in Sachsen-Anhalt stärker werden als die SPD, haben wir 2016 vielleicht schon zwei Ministerpräsidenten. Dann drängt auch die Gesamtpartei, diesen Weg auf der Bundesebene ebenfalls zu gehen.

Ach ja?

Ja! Sie muss diese Verantwortung auch übernehmen wollen, weil die meisten ihrer Wählerinnen und Wähler darauf bestehen.

Dann sollte die Bundespartei schleunigst ihr Verhältnis zum Regieren klären. Bis zur Wahl bleiben nur noch zwei Jahre.

Mehr. Zwei Jahre und drei Monate.

Wie sieht Ihr Fahrplan aus?

Eine Partei merkt es, wenn der Stillstand beginnt. Dann werden die Mitglieder unruhig, und es entsteht ein Druck von unten. Deshalb wird der letzte Parteitag vor der Bundestagswahl beschließen, dass wir für eine Regierung zur Verfügung stehen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zusätzlich wird er aber überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen ziehen wollen, obwohl das Wahlprogramm reicht. Überflüssig deshalb, weil man seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen sollte.

Mit SPD und Grünen sollten Sie aber vor 2017 reden.

Wichtige Fragen der Politik können wir nicht erst in Sondierungen klären. Wir müssen jetzt mit Gesprächen beginnen.

Sie treffen sich also mit Sigmar Gabriel zum Mittagessen?

Die erste Reihe kommt später dran. Erst muss die zweite Reihe miteinander sprechen.

Hinterbänkler von SPD, Grünen und Linken treffen sich seit Jahren in Denkfabriken. Bisher ist nichts herausgekommen.

Hinterbänkler haben wir nicht. Ich meine Leute aus der höheren Ebene. Zum Beispiel jemand aus unserem sogenannten linken Flügel und jemand aus dem rechten Flügel der SPD. Die müssen ins Gespräch kommen und ausloten, welche Konflikte bestehen bleiben.

Drängen Sie Ihre Fraktion zu solchen Gesprächen?

Es gab schon interessante Gespräche.

Und?

Tut mir leid, ich habe Vertraulichkeit zugesichert.

Wo sehen Sie die größten Konfliktpunkte?

In der Steuerpolitik.

Sind da keine Kompromisse möglich? Die SPD könnte Ihnen mit dem Spitzensteuersatz entgegenkommen, dafür verzichten Sie auf die Vermögensteuer.

Wir brauchen aber Gerechtigkeit und Geld. Sie müssen sehen, vor welchen Aufgaben wir stehen. Wir haben einen solchen Investitionsstau, dass wir bald Brücken schließen müssen, weil wir uns die Sanierung nicht leisten können.

Worüber könnten Sie sich schneller einigen?

In der Außenpolitik. Im Ukrainekonflikt sogar eher mit der SPD als mit den Grünen.

Ach ja? Die Sozialdemokraten stehen hinter den Russlandsanktionen, Ihre Partei will sie aufheben.

Die Sanktionen schaden unserer Wirtschaft und bringen nichts. Außer dass sich Russland als größtes europäisches Land Schritt für Schritt nach Asien und Südamerika orientiert. Das werden wir noch teuer bezahlen.

Aber irgendwie muss der Westen auf Russlands Aggressionen reagieren. Putin hat das Völkerrecht gebrochen, als er die Krim annektierte.

Der Irakkrieg war auch völkerrechtswidrig und schlimmer. Hat unsere Regierung deshalb Sanktionen gegen die USA verhängt? Nein.

Also Putin gewähren lassen?

Ich sehe Putin auch kritisch, aber Sanktionen sind der falsche Weg. Sie spitzen den Konflikt noch weiter zu. Wir haben viele andere Optionen, aber die hätten wir beim Irakkrieg auch gegen die USA nutzen müssen: Staatsbesuche absagen, Kulturbeziehungen reduzieren, alles mögliche.

Außenminister Gysi würde also einen Moskaubesuch absagen. Wie überzeugt er denn SPD und Grüne von seinem Kurs?

Warten wir mal ab, wie die Situation in der Ukraine im Jahr 2017 aussieht. Auf jeden Fall würden wir in Koalitionsgesprächen für den Weg der Deeskalation plädieren. Die Gewerkschaften und die Wirtschaft hätten wir damit auf unserer Seite. Das könnte die SPD beeindrucken.

Gibt es in der Außenpolitik Positionen, die die Linkspartei dauerhaft aufgeben müsste?

Dauerhaft nicht. Aber klar ist, dass wir in einer Koalition nicht alle Ziele durchbekommen.

Von Ihrem strikten Nein zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr müssten Sie sich verabschieden.

Es ist richtig, dass sich unsere Partei strikt gegen Kriegseinsätze ausspricht. Wir könnten aber darüber reden, um welche es vor allem geht.

Das verstehen wir nicht. Sie wollen also Ihre Partei überzeugen, für Kriegseinsätze zu stimmen?

Nein, aber generell werde ich meinen Leuten sagen: Wir haben nicht 50 Prozent der Stimmen, sondern 10. Wenn wir A, B und C erreichen, ist das eine riesige Menge. Ihr könnt nicht noch D, E und F bekommen. Hauptsache, wir setzen reale Veränderungen durch und verlieren nicht unsere Identität.

Zu Kompromissen werden trotzdem nicht all Ihre Parteifreunde bereit sein.

Stimmt, und ich kann sie verstehen. Hätte mir jemand im Jahr 1990 gesagt, dass ich einmal in die Bundesregierung soll, am besten noch als Verteidigungsminister – ich hätte ihm einen Vogel gezeigt.

Würden Sie nicht eher das Sozialministerium übernehmen?

Kann auch sein. Aber wissen Sie: Ich bin Generalist. Ich kann also über alles reden und muss von nichts etwas verstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.