HARTZ IV UND DIE GRUNDRECHTE: Gutschein für Menschenwürde

Nach einem Urteil des Sozialgerichts bewilligt die Bagis Hartz-IV-Familien Wertmarken für Essen und Hygieneartikel, wenn sie ihre Zahlung als Sanktion kürzt.

Hartes Brot in harten Zeiten: Lebensmittelbezugscheine kommen wieder in Mode. Bild: Archiv

Familien, die von Hartz IV leben, wird die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis) nicht mehr ersatzlos größere Teile der Leistungen streichen. Bei Kürzungen um mehr als 30 Prozent werden ihnen ab sofort automatisch Gutscheine bewilligt. Für kinderlose Hartz-IV-EmpfängerInnen gilt das allerdings nicht. Bei ihnen prüft die Bagis, ob sie Ersatzleistungen gewährt. "Für uns steht im Fokus, dass keinesfalls Kinder unter Sanktionen leiden", sagt Bagis-Sprecherin Katrin Demedts.

Damit setzt die Bagis einen Beschluss des Bremer Sozialgerichts von Anfang Juni um. Vorangegangen war ein Rechtsstreit mit einem arbeitslosen Mann, der mit seiner Partnerin und deren Kind in Bremen-Nord lebt. Die Bagis hatte ihn mehrfach sanktioniert - und ihm wiederholt die Regelleistungen komplett gestrichen. Laut Sozialgericht ist das rechtswidrig. "Es stellt sich schon aus Laiensicht die Frage, wovon Menschen leben sollen, denen die Leistungen zu 100 Prozent gestrichen werden", sagt Gerichtssprecher André Schlüter. Die Bagis hätte ersatzweise Gutscheine oder Sachleistungen ausstellen müssen - "allein um die Menschenwürde und das physische Existenzminimum zu sichern", so Schlüter.

Dazu stehen Hartz-IV-Familien in Bremen nun automatisch Gutscheine zu, die in allen Supermärkten gelten und gegen Lebensmittel und Hygieneartikel eingelöst werden können. Genussmittel wie Zigaretten oder Alkohol sind ausgenommen. Bislang hatte die Bagis lediglich in den Sanktionsbescheiden darauf hingewiesen, man könne Gutscheine "auf Antrag" bekommen. Wie viele Hartz-IV-EmpfängerInnen von der Neuregelung betroffen sind, kann Demedts nicht sagen. Wie oft und in welcher Höhe die Bagis Leistungen kürze, lasse sich nicht ermitteln. Für März 2010 führt die Agentur für Arbeit 1.495 Kürzungen bei erwerbsfähigen Arbeitslosen in Bremen auf. 117,34 Euro wurden ihnen im Schnitt gestrichen.

Wenn es nach dem FDP-Landesvorsitzenden Oliver Möllenstädt ginge, wäre das mehr. "Hinterfragenswert" findet er, "warum jemand, der jegliche Kooperation verweigert, überhaupt etwas bekommt". Möglich ist das durch den so genannten Sanktionsparagraphen im SGB II, der eben das vorsieht. Der sollte "präzisiert" werden, so Möllenstädt. Auch in Hartz-IV-Familien sei es denkbar, Leistungen zu streichen - "so lange keine Kinder davon betroffen sind".

Bagis-Sprecherin Demedts hingegen sagt, man wolle zwar nur "mit Fingerspitzengefühl" sanktionieren, Sanktionen könnten aber einen "heilenden Charakter" haben. Das sieht auch das SPD-geführte Sozialressort: "Wer Eingliederungsvereinbarungen ablehnt, keine Eigenbemühungen zeigt oder zumutbare Arbeit nicht annimmt, der muss mit Sanktionen rechnen", so ein Sprecher. Der Sozialgerichts-Beschluss - nach dem zumindest bei Familien nicht mehr ersatzlos gestrichen werden kann - schränke dabei aber nicht ein.

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