Habeck gibt Bundestagsmandat ab: Her mit der neuen Idee
Der Politpromi Robert Habeck sagt zum Abschied laut adieu. Aber was machen die Grünen ohne ihn? Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage.

D ie Selbsthilfegruppen können jetzt zusammentreten. Robert Habeck hat die Bundespolitik tatsächlich verlassen, seine Jünger müssen ohne ihn klarkommen. Die Zehntausenden, die seinetwegen der grünen Partei beigetreten sind, die seine Webvideos verschlungen haben und im vergangenen Winter euphorisiert die Wahlkampfhallen stürmten: Sechs Monate nach der Wahlniederlage müssen sie sich endgültig damit abfinden, dass es mit Habeck und ihnen gemeinsam nicht weitergeht.
Womit sie sich an den Grünen-Stammtischen trösten können: Ein bisschen was bleibt doch. In den sieben Jahren, in denen Habeck in der ersten Reihe stand, hat er die Grünen nachhaltig verändert. Vor ihm war ungeklärt, wer sie grundsätzlich sein wollen: eine Milieupartei, die sich selbst und den eigenen Leuten genügt? Oder wollen sie darüber hinauskommen, neue Gruppen erreichen, einen politischen Führungsanspruch erheben? Heute ist das nicht mehr der zentrale Konflikt. Trotz der Wahlniederlage aus dem Februar streben auch die führenden Köpfe des linken Flügels selbstverständlich in die Breite. Die Frage ist nicht mehr, ob man in neue Milieus vorstoßen will, sondern wie man das schafft.
Die Entwicklung dorthin hat Habeck nicht angestoßen. Andere haben vor ihm daran gearbeitet, besonders herausgehoben Winfried Kretschmann mit dem Selbstbewusstsein des ersten grünen Regierungschefs überhaupt. Leute wie er blieben aber immer Reizfiguren, wirkten nach innen nicht integrativ und konnten den neuen Kurs nicht nachhaltig verankern.

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Dafür brauchte es erst Robert Habeck im Zusammenspiel mit Annalena Baerbock an der Parteispitze. Überzeugungskraft zog er aus seinem Charme, seinem Erfolg und zu Beginn auch noch mit seiner Rücksicht auf die eigene Basis: Neue Milieus erschloss er nicht, indem er die Grünen inhaltlich in die Mitte verschob. In den Anfangsjahren übernahm er in Teilen links-grüne Inhalte, strich sie aber so an, dass sie für die Mitte attraktiv wurden. So nahm er die Partei mit auf den neuen Kurs.
Irgendwann aber funktionierte die Methode Habeck nicht mehr. Er baute weiter fleißig Brücken, auf der anderen Seite indes wartete bekanntlich niemand mehr – weil Union und FDP nach rechts entschwunden waren und weite Teile der Wählerschaft mit ihnen. Die einzige Kursanpassung, die ihm dazu einfiel: Jetzt auch noch inhaltlich hinterherzulaufen. Damit aber konnte er jenseits der Habeck-Ultras bei niemandem mehr punkten.
Die Herausforderung, an der er gescheitert ist und an der seine Nachfolger*innen jetzt herumkauen: Wie lässt sich der alte Ansatz doch noch in die neue Zeit transformieren? Wie kann es unter erschwerten Bedingungen und ohne sichtbare Machtperspektive gelingen, die Enttäuschten in den eigenen Milieus zurückzugewinnen und gleichzeitig doch wieder auf neue Wählergruppen auszugreifen? Quasi die Eine-Million-Dollar-Frage.
Vielleicht bleibt sie am Ende unbeantwortet. Aber was bleibt den Grünen anderes übrig? Sie können sich nicht dauerhaft damit begnügen, den Diskurs mit gelegentlichen Beiträgen aus der Opposition anzureichern. Diese Rolle ist durch die Linkspartei inzwischen wieder ordentlich besetzt. Sie können aber auch nicht darauf warten, dass die SPD irgendwann mal wieder eine Wahl gewinnt und sie selbst als Anhängsel mitregieren dürfen. Das ging vor zwanzig Jahren, ist aber vorbei. Es braucht nach Habeck eine neue Idee – oder es braucht die Grünen nicht mehr.
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