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Habeck gibt Bundestagsmandat abHer mit der neuen Idee

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Der Politpromi Robert Habeck sagt zum Abschied laut adieu. Aber was machen die Grünen ohne ihn? Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage.

Sie waren die Zukunft, die Hoffnung, die Menschen, nun wird es Zeit für Neues Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters

D ie Selbsthilfegruppen können jetzt zusammentreten. Robert Habeck hat die Bundespolitik tatsächlich verlassen, seine Jünger müssen ohne ihn klarkommen. Die Zehntausenden, die seinetwegen der grünen Partei beigetreten sind, die seine Webvideos verschlungen haben und im vergangenen Winter euphorisiert die Wahlkampfhallen stürmten: Sechs Monate nach der Wahlniederlage müssen sie sich endgültig damit abfinden, dass es mit Habeck und ihnen gemeinsam nicht weitergeht.

Womit sie sich an den Grünen-Stammtischen trösten können: Ein bisschen was bleibt doch. In den sieben Jahren, in denen Habeck in der ersten Reihe stand, hat er die Grünen nachhaltig verändert. Vor ihm war ungeklärt, wer sie grundsätzlich sein wollen: eine Milieupartei, die sich selbst und den eigenen Leuten genügt? Oder wollen sie darüber hinauskommen, neue Gruppen erreichen, einen politischen Führungsanspruch erheben? Heute ist das nicht mehr der zentrale Konflikt. Trotz der Wahlniederlage aus dem Februar streben auch die führenden Köpfe des linken Flügels selbstverständlich in die Breite. Die Frage ist nicht mehr, ob man in neue Milieus vorstoßen will, sondern wie man das schafft.

Die Entwicklung dorthin hat Habeck nicht angestoßen. Andere haben vor ihm daran gearbeitet, besonders herausgehoben Winfried Kretschmann mit dem Selbstbewusstsein des ersten grünen Regierungschefs überhaupt. Leute wie er blieben aber immer Reizfiguren, wirkten nach innen nicht integrativ und konnten den neuen Kurs nicht nachhaltig verankern.

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Dafür brauchte es erst Robert Habeck im Zusammenspiel mit Annalena Baerbock an der Parteispitze. Überzeugungskraft zog er aus seinem Charme, seinem Erfolg und zu Beginn auch noch mit seiner Rücksicht auf die eigene Basis: Neue Milieus erschloss er nicht, indem er die Grünen inhaltlich in die Mitte verschob. In den Anfangsjahren übernahm er in Teilen links-grüne Inhalte, strich sie aber so an, dass sie für die Mitte attraktiv wurden. So nahm er die Partei mit auf den neuen Kurs.

Irgendwann aber funktionierte die Methode Habeck nicht mehr. Er baute weiter fleißig Brücken, auf der anderen Seite indes wartete bekanntlich niemand mehr – weil Union und FDP nach rechts entschwunden waren und weite Teile der Wählerschaft mit ihnen. Die einzige Kursanpassung, die ihm dazu einfiel: Jetzt auch noch inhaltlich hinterherzulaufen. Damit aber konnte er jenseits der Habeck-Ultras bei niemandem mehr punkten.

Die Herausforderung, an der er gescheitert ist und an der seine Nach­fol­ge­r*in­nen jetzt herumkauen: Wie lässt sich der alte Ansatz doch noch in die neue Zeit transformieren? Wie kann es unter erschwerten Bedingungen und ohne sichtbare Machtperspektive gelingen, die Enttäuschten in den eigenen Milieus zurückzugewinnen und gleichzeitig doch wieder auf neue Wählergruppen auszugreifen? Quasi die Eine-Million-Dollar-Frage.

Vielleicht bleibt sie am Ende unbeantwortet. Aber was bleibt den Grünen anderes übrig? Sie können sich nicht dauerhaft damit begnügen, den Diskurs mit gelegentlichen Beiträgen aus der Opposition anzureichern. Diese Rolle ist durch die Linkspartei inzwischen wieder ordentlich besetzt. Sie können aber auch nicht darauf warten, dass die SPD irgendwann mal wieder eine Wahl gewinnt und sie selbst als Anhängsel mitregieren dürfen. Das ging vor zwanzig Jahren, ist aber vorbei. Es braucht nach Habeck eine neue Idee – oder es braucht die Grünen nicht mehr.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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11 Kommentare

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  • "-oder es braucht die Grünen nicht mehr."



    Was tatsächlich so wirkt.



    Die Grünen sollten Habeck klar und endgültig gehen lassen, um sich neu zu finden.

  • Ich kann Habeck schon verstehen, dass er als gescheiterter Minister jetzt auch den Bundestag verlassen will. Aber geht das einfach so, weil man keinen Bock mehr hat, was ist mit den Wählern von Habeck ?



    Ich dachte man kann nicht gerade mal aus Lust und Laune alles hinwerfen sondern muss einen triftigen Grund, wie z.B. Krankheit oder Pflege eines Angehörigen, was dazu führt, dass dem Mandat nicht mehr nachgekommen werden kann, nachweisen ? Habe ich mich wohl geirrt. Wie hoch ist eigentlich Habecks Ruhegehalt, oder verzichtet er darauf ?

  • Pleitezeiten sind Gründerzeiten.



    Es kann Grünen in anderen Wahlsystemen auch viel schlechter gehen. Einfach Mittwochs um 13 Uhr auf sky news die Fragestunde im UK-Unterhaus ansehen, da sitzt genau 1 Grüne. Und kommt nie dran.



    Nur in Brighton kommen die "first past the post" zum Parlamentssitz. Brighton ist das britische Amsterdam.



    Dass sky news zu Murdoch's news group gehört, weiss ich - das wirkt sich aber hier nicht aus.

  • Die richtige "neue Idee" ist eigentlich alt. Die Grünen sollten sich besinnen, wo sie herkommen.

  • Die These "Robert Habeck hat die Bundespolitik tatsächlich verlassen, seine Jünger müssen ohne ihn klarkommen" - das klingt unüberhörbar an die biblische Abendmahlsgeschichte an. So wie das vorweg positionierte R.H. "sagt zum Abschied laut adieu" an den Schlager "Sag zum Abschied leise servus" erinnert - und hintersinnig [à Dieu!] sogar an die gleiche 'Geschichte'.



    Natürlich zugeschnitten auf die Schlussfolgerung des Kommentators:



    "Es braucht nach Habeck eine neue Figur - oder es braucht die Grünen nicht mehr."



    Aber so ist die ganze Jesus-Metaphorik in meinen Augen maßlos überzogen und wird dem 'von uns Gegangenen' auch nicht gerecht. Er ist ja nun nicht in den (Grünen) Himmel oder in irgendwelche ewigen Jagdgründe - als (Un-)Toter? - entschwunden.



    Er will neue Räume betreten, so habe ich ihn verstanden, und Købnhavn ist da für ihn ja gewissermaßen "gleich nebenan".



    Naheliegend. (Auch Berkeley wäre nicht außerhalb der Welt, selbst wenn Trump dräut.)



    Jemand hat zum taz-Interview kommentiert: "Junge, komm bald wieder...". Für meinen Teil würde ich, wenn schon nostalgisch (und natürlich nur im übertragenen Sinn!) lieber singen und wollen:



    "Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise..."

  • Megapeinlicher Abgang. Wahrscheinlich dachte er, er zahlt es jetzt allen heim, die ihn nie ernst genommen haben. Dass er die Grünen an die Wand gefahren hat, interessiert ihn wohl gar nicht.

  • "Irgendwann aber funktionierte die Methode Habeck nicht mehr. Er baute weiter fleißig Brücken, auf der anderen Seite indes wartete bekanntlich niemand mehr – weil Union und FDP nach rechts entschwunden waren und weite Teile der Wählerschaft mit ihnen."

    Glaskar und richtig analysiert! Habeck und die Grünen wehrten sich nicht gegen den populistischen Grünenhass von AFD, FDP, CDU/CSU und Bild.



    Die SPD und die Wirtschaft schauten bequem zu, als Habeck als Minster mit üblen Vorwürfen überzogen wurde.



    Da die Grünen das Soziale viel zu spät thematisierten, sackten sie sie ab.



    Ausgrechnet Ricarda Lang, aufrechte Vertreterin des Sozialen bei den Grünen, fiel 2024 nichts Besseres ein, als ausgerechnet eine Kolumne beim Grünenhasserverein FOCUS anzutreten. Mein Gott!

    Sozial und grün wäre z. B. zu kritisieren, dass im Windkraftland McPomm Strom sauteuer ist, dass niemand ein 265-Meter-Windrad in seiner Nähe haben möchte, wogegen Bürgergegenwehr fast unmöglich wurde.

    Was es braucht? Eine neue, radikale, unbequeme Umweltbewegung und Partei, die nachhaltigen Umbau und Profite nicht den Stromkonzernen überlässt.

    Habecks Brückenbauerei ist gescheitert!

  • Söder hat genau die richtigen Worte gefunden: Habeck war in der Politik erfolglos unterwegs, bleibt zu hoffen, dass er woanders es besser macht. Glauben tue ich es nicht ...

  • "...oder es braucht die Grünen nicht mehr."



    Doch es braucht die Grünen! Denn die uralte Idee der Grünen ist und bleibt, dass das zentrale Problem der Menscheit ihr Verhältnis zu unserem Planeten ist und soziale Fragen, sowie Fragen der persönlichen Freiheit nur auf der Grundlage dieses Problems gelöst werden können. Bei allen anderen Parteien ist der Umwelt/Klimaschutz auch heute noch nur Anhängsel an ihre zentrale Ideologie... und wird beim Regieren noch schneller geopfert als bei den Grünen.

  • Ich sags mal so: Ist der Rückgang der Umfragewerte bzw. Wahlergebnisse der Grünen ohne die Diffamierungs-, Schmutz- und Lügenkampagnen der konservativen Kampfpresse vorstellbar?



    IMO nicht, in jedem Wahlkampf seit 2013 haben diese eine relevante Rolle gespielt. Angefangen mit dem Veggie-Day (wo bekanntlich die Springer-Schmierblättchen aus dem "[...]Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein „Veggie Day“ sollen zum Standard werden" die Lüge von "Die Grünen wollen uns das Fleischessen verbieten" wurde), der das Image von der Verbotspartei begründete, bis hin zu der Lügenkampage über das "Heizungsgesetz".



    Das Haupt-Problem, und das hat nichts mit der politischen Ausrichtung der Grünen zu tun, ist die Unfähigkeit der Partei, sich gegen solche Kampagnen zu wehren.

  • „Aber was machen die Grünen ohne ihn?“

    Vielleicht holen sie einfach das Wahlprogramm von 2022 raus und versichern glaubhaft, es diesesmal auch umsetzen zu wollen?



    Dh ein Klima-, Umwelt- und Friedenspolitik, die ihren Namen verdient.

    Das wird freilich nicht ohne Distanzierung vom rechts-konservativen Realoflügel gehen, der es ja am Ende auch verbockt hat.