Härtere Gangart in Niedersachsen: Abschiebung per Rollkommando

Der Flüchtlingsrat verlangt von Niedersachsen, die Änderung des Asylverfahrens auf menschenfreundliche Weise umzusetzen.

Da geht schon der Flieger: Bund und Länder wollen schneller abschieben. Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

HAMBURG taz | Auch nach der Verschärfung des Asylrechts sollte Niedersachsen seinen Spielraum für eine humane Abschiebungspolitik nutzen, fordert der Flüchtlingsrat. Die rot-grüne Landesregierung habe sich auf die Fahnen geschrieben, Flüchtlingen menschlich zu begegnen. Deshalb müsse sie ihren Rückführungserlass so anpassen, dass diese Absicht bei der Umsetzung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, das seit Samstag gilt, nicht untergehe.

Mit seinem Rückführungserlass vom September vergangenen Jahres hatte Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Abkehr von der Politik seines Vorgängers Uwe Schünemann (CDU) vollzogen und unter anderem die unangekündigten Abschiebungen gestoppt. Angesichts der Flüchtlingswelle hat Pistorius den Erlass im September diesen Jahres allerdings wieder verschärft. Seither müssen Asylbewerber, die absehbar nicht länger als 18 Monate im Land bleiben werden, nicht mehr über ihren Abschiebetermin informiert werden.

„Allzu leichtfertig und schnell räumt der Innenminister jetzt das Feld und bereitet den Boden für eine Rückkehr zu überwunden geglaubten Methoden des Vollzugs“, kritisierte der Flüchtlingsrat die Entscheidung und sah sich wenige Wochen später in seinen Befürchtungen bestätigt: In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober drangen fünf martialisch ausgerüstete Polizisten ohne zu klingeln oder zu klopfen in die Unterkunft des herzkranken iranischen Asylsuchenden Wahid B. in Gnarrenburg ein, um ihn abzuschieben.

Er sei geschockt gewesen und wegen starken Herzklopfens in Ohnmacht gefallen, berichtet B. Erst in einem Polizeiauto sei er wieder aufgewacht. Die Polizisten hätten keine Abschiebeentscheidung des Bundesamtes für Migration vorgezeigt und ihn weder seine Brille noch andere notwendige Dinge mitnehmen lassen. Insbesondere hätten die Polizisten sich nicht um die Herzoperation geschert, die in seiner Akte vermerkt sei. Wegen der Herzkrankheit müsse er wöchentlich untersucht werden.

Im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist vorgesehen:

den Bau von Unterkünften durch Senkung der Standards zu beschleunigen,

diejenigen, die langfristig bleiben dürfen, besser zu integrieren

Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern zu erklären,

in Erstaufnahmeeinrichtungen Bargeldzahlungen so weit wie möglich durch Sachleistungen zu ersetzen

Weil B. über Schmerzen in der Brust klagte, sei seine Abschiebung nach Ungarn auf dem Frankfurter Flughafen gestoppt worden, teilte der Flüchtlingsrat mit. Es stelle sich die Frage, ob B. überhaupt flugreisetauglich gewesen sei. Der behandelnde Facharzt habe das im Nachhinein verneint und „eine Gefährdung des Patienten“ befürchtet.

Das Beispiel mache deutlich, was mit dem Inkrafttreten der neuen Asylrechtsverschärfung drohe, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Denn darin heißt es: „Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.“ Wegen der Bedenken der Grünen hatte sich Niedersachsen anders als andere rot-grün regierte Länder bei der Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat enthalten.

Trotzdem sehe sich die Landesregierung an das Gesetz gebunden, sagte Jörg Mielke, der Chef der Staatskanzlei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Wir haben da keinen Spielraum.“ Die Verhältnisse seien völlig andere, als vor zwei Jahren zu erahnen gewesen sei. Ein konsequenter Kurs entlaste die Einrichtungen der Flüchtlingshilfe. Er sagte aber auch: „Unsere politische Haltung haben wir in unserem Rückführungserlass festgehalten.“

Genau darauf will nun Weber ihn festnageln. Auch die zukünftige Rechtslage hindere die Landesregierung nicht daran zu prüfen, ob „anderweitige Gründe“ für eine Aufenthaltserlaubnis vorlägen. Sie könne der freiwilligen Ausreise den Vorrang geben, Härtefallanträge ermöglichen, die Trennung von Familien verbieten und ebenso das unangekündigte gewaltsame Eindringen in Wohnungen. Nach Auskunft des Innenministeriums rennt der Flüchtlingsrat damit offene Türen ein.

„Vorfälle wie in Gnarrenburg dürfen sich nicht wiederholen“, findet der Flüchtlingsrat. Zu dem Vorfall stehe eine ausführliche Stellungnahme der Ausländerbehörde noch aus, teilte das Ministerium mit. Allgemein gelte, dass die Ausländerbehörden die Reisefähigkeit von Abzuschiebenden untersuchten, sofern Erkrankungen bekannt oder erkennbar seien.

Erhebungen darüber, wie viele Flüchtlinge bei angekündigten Abschiebungen nicht angetroffen wurden, lägen nicht vor. Insgesamt seien die Betreffenden bei einem Drittel der Abschiebeversuche nicht angetroffen worden.

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