Haftbefehl gegen Bertulazzi aufgehoben: Ex-Mitglied der Roten Brigaden darf in Argentinien bleiben
Argentiniens Kassationsgerichtshof hebt Haftbefehl gegen Leonardo Bertulazzi auf. Streit um Flüchtlingsstatus erschwert Italiens Auslieferungsversuchen.

Leonardo Bertulazzi wird vorerst nicht an Italien ausgeliefert. Der Kassationsgerichtshof in Buenos Aires hob am Freitag den Haftbefehl gegen das ehemalige Mitglied der italienischen Roten Brigaden auf. Bertulazzi gilt als hochrangiges Mitglied der linken Gruppierung, die in den 1970er Jahren für zahlreiche Entführungen, Anschläge und Morde in Italien verantwortlich gemacht wird. Vor wenigen Wochen hatte der argentinische Oberste Gerichtshof seiner Auslieferung an Italien zugestimmt.
Bertulazzi wurde 1951 in Verona geboren und zog als junger Mann nach Genua. Er wuchs in einer linken Familie auf, sein Großvater gehörte zu den Gründern der Kommunistischen Partei in Venetien. 1976 schloss er sich der Genueser Kolonne der Roten Brigaden an, die in verschiedenen italienischen Städten lokale Ableger, so genannte Kolonnen, hatte.
Dem heute 73-Jährigen wird unter anderem vorgeworfen, 1977 an der Entführung des Geschäftsmanns Piero Costa in Genua beteiligt gewesen zu sein, der nach Zahlung eines Lösegelds in Millionenhöhe freigelassen wurde. Er wurde noch im selben Jahr verhaftet und verbrachte zwei Jahre im Gefängnis, bis ihm die Flucht aus der Haft und außer Landes gelang. In Abwesenheit wurde er zu 27 Jahren Haft verurteilt.
Nach seiner Flucht durch Südamerika kam Bertulazzi 2002 nach Argentinien. 2003 wurde er in Buenos Aires festgenommen und acht Monate inhaftiert, bis eine Richterin ihn freiließ – das argentinische Recht erlaubt keine Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen. 2004 wurde er von der staatlichen argentinischen Flüchtlingskommission (Conare) und dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) als Geflüchteter anerkannt.
Nach jahrzehntelanger Ruhe wurde Bertulazzi Anfang Juli in seiner Wohnung im südlichen Stadtteil San Telmo auf Anordnung einer Bundesrichterin verhaftet. Dort hatte er die letzten 20 Jahre mit seiner Frau gelebt. 2024 wurde Bertulazzi auf Betreiben der Regierung Milei der Flüchtlingsstatus aberkannt und er unter Hausarrest gestellt. Da die Aberkennung rechtlich umstritten ist, hob der Kassationsgerichtshof den Haftbefehl auf. „Mein Mandant hat weiterhin UN-Flüchtlingsstatus“, so sein Anwalt Rodolfo Yanzón.
Eine Vereinbarung zwischen Milei und Meloni
Der Hintergrund soll eine Vereinbarung zwischen Präsident Javier Milei und der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sein, wie die römische Tageszeitung La Repubblica mutmaßte. Demnach sollte der italienisch-argentinische Priester Franco Reverberi wegen mutmaßlicher Verbrechen während der argentinischen Diktatur (1976–1983) nicht ausgeliefert werden, während Bertulazzi im Gegenzug nach Italien überstellt werden sollte, so die italienische Zeitung.
„Die Festnahme des flüchtigen Mitglieds der Roten Brigaden war dank der intensiven und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen den italienischen und argentinischen Justizbehörden und Interpol möglich“, postete Giorgia Meloni damals in den sozialen Medien. Zustimmung kam auch aus dem argentinischen Sicherheitsministerium. Mit Bertulazzi wurde „einer der von der europäischen Justiz am meisten gesuchten flüchtigen Terroristen“ gefasst, heißt es in offiziellen Mitteilungen.
Die Roten Brigaden werden teils als marxistisch-leninistische Stadtguerilla, teils als linke Terrorgruppe bezeichnet. In den 1980er Jahren lösten sie sich auf, auch wegen zahlreicher Verhaftungen. 1978 entführten und ermordeten sie Italiens Ministerpräsidenten Aldo Moro. Bertulazzi soll eine führende Rolle gehabt und an der Logistik beteiligt gewesen sein, saß jedoch zur Tatzeit im Gefängnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!