Hai-Fang vor Indien: Flossen in der Suppe

Durch die hohe Nachfrage nach Haiflossen aus China sind die Bestände zusammengebrochen.

Die indischen Fischer konnten Haie einst direkt vor dem Hafen fangen. Bild: dpa

INDIEN zeo2 | Zakharias ist inzwischen fast blind. Aber wenn der 75-Jährige von seinen Hai-Fischzügen erzählt, leuchten die Augen wieder: Wie sie damals mit einem selbstgebauten Katamaran aus zwei Baumstämmen in See gestochen seien! Zu seiner Zeit, vor einem halben Jahrhundert. Bewaffnet nur mit einer Handvoll Fischerhaken und einer Leine aus Baumwolle. „Haie gab es damals in Hülle und Fülle, direkt vor der Küste“, erzählt der Alte. „Wir mussten nie weit fahren.“

Zakharias ist immer noch Fischer in Thoothoor, einem Dorf an der Südspitze Indiens. Die Fischerei hat in Thoothoor eine lange Geschichte, die Fischer sind berühmt für ihr Geschick bei der Haifischjagd, auch wenn ihre Boote heute Dieselmotoren, Sonar und GPS haben.

„Doch inzwischen müssen wir manchmal wochenlang auf Hoher See bleiben“, klagt Zakharias Sohn Justin. Die Boote tragen zehn bis 15 Mann Besatzung, sie nutzen jetzt Stellnetze und kilometerlange Fangleinen aus Nylon mit bis zu 20.000 Haken für alle Arten von Hai und Thun, erklärt der 53-jährige Sil Verian, der schon mit 16 Jahren zum ersten Mal auf Haifischfang ging.

Mehr Gewinn bringt der hohe Aufwand aber nicht mehr. „Seit einiger Zeit müssen wir weit nach Norden fahren, um einen guten Fang zu machen, bis fast nach Pakistan die Westküste hinauf oder nach Bangladesh im Osten. Fast 2.000 Kilometer weit“, klagt ein anderer Fischer. „Es gibt längst nicht mehr so viele Haie vor der indischen Küste wie früher.“

Indien ist zweitgrößte Haifangnation

Laut einer aktuellen Studie der Europäischen Kommission ist Indien nach Indonesien zwar immer noch die zweitgrößte Haifangnation der Welt. Zwischen 2002 und 2011 lieferten beide Länder zusammen rund 20 Prozent des globalen Fangs. Die Statistik des Forschungsinstituts für Meeresfischerei im indischen Kochi (CMFRI) zeigt aber, dass die Fangzahlen seit Jahren rückläufig sind: Nach einer Anlandung von gut 47.000 Tonnen 1998 wurden 2011 nur noch 26.746 Tonnen in indischen Häfen gelöscht. „Der Grund für den Rückgang ist die wahllose Ausbeutung der Meere durch die Hochseefischerei in den vergangenen zwanzig Jahren“, heißt es bei der CMFRI. „Ins Schleppnetz geraten alle Haifisch- Arten, selbst wenn die meisten Fangschiffe bloß auf Tunfisch aus sind.“

Die Männer von Thoothoor geben zu, dass diese Ausbeutung der Grund für den Rückgang der Bestände ist. „Trotzdem sollte man die Schuld nicht bei bei den Einheimischen suchen“, sagt ein Sprecher der Fischer in Südindien. Nach seiner Ansicht tragen die großen Schleppnetztrawler, die im Auftrag von Konzernen die Weltmeere abfischen, die Schuld am Rückgang der Haie. Mehr als 80 solcher Riesenschiffe sind mit offiziellen Genehmigungen in indischen Hoheitsgewässern unterwegs; sie dürfen hier nicht nur fischen, sie dürfen ihre Beute auch direkt auf See verarbeiten, ohne indische Häfen anzulaufen. Außerdem würden immer wieder Fangschiffe illegal in indische Gewässer eindringen, klagen die Fischer.

In den Gewässern vor Indien leben rund 70 Haiarten. Traditionell wurden Haie wegen ihrer Leber und wegen des Fleisches gefangen, auch wenn das kaum lukrativ war. Die Nachfrage stieg erst Anfang der achtziger Jahre, als China begann, Haifischflossen in industriellem Maßstab zu Suppe zu verarbeiten – eine Delikatesse in der chinesischen Küche.

Haifleisch 1,50 Euro pro Kilo

Um sich Anteile am boomenden Markt zu sichern, stiegen auch Indonesien, Singapur, Taiwan und Malaysia ins Geschäft mit den Flossen ein. Nach Auskunft von Händlern machen die Flossen 40 Prozent des Werts eines Hais aus. Sein Fleisch bringt umgerechnet nur etwa 1,50 Euro pro Kilo ein. Flossen werfen dagegen je nach Größe, Konsistenz und Farbe wesentlich mehr ab: Für etwa 12 Euro verkauft Arul Geethan, ein Fischhändler aus Thoothoor, kleine Flossen von fünf bis zehn Zentimetern an die Händler in Mumbai und Chennai.

Flossen bis 40 Zentimeter Länge bringen ihm über 60 Euro pro Kilo. Den besten Schnitt machen die Großhändler: Sie bekommen schon für kleine Flossen 80 Euro je Kilo von ihren Abnehmern im Ausland. Dass die Preise auf dem Weltmarkt in den letzten Jahren stark gestiegen sind, belegen auch die Zahlen der indischen Bundesbehörde für Ausfuhrkontrolle.

2011 wurden für 195 Tonnen Haifischflossen rund zwölf Millionen Euro erlöst. Zum Vergleich: 960 Tonnen brachten 1998 umgerechnet gerade mal zwei Millionen Euro ein. Damit sind die Flossen dreißigmal teurer geworden. Die hohen Preise treiben auch den internationalen Handel an. Indonesien als größte Haifangnation ist auch der drittgrößte Flossen- Exporteur weltweit. Indien als zweitgrößte Fangnation schafft es in der Exportbilanz jedoch nicht mal unter die ersten zehn auf der Liste der Topexporteure von Haifischflossen.

Nicht nur das deutet auf verdeckte Ausfuhren hin. 2011 etwa wurden zwar 25.000 Tonnen Hai gefangen. Am Gewicht eines Hais macht eine Flosse etwa sieben Prozent aus, danach müssten mindestens 1.500 Tonnen pro Jahr exportiert werden. Offiziell wurden tatsächlich nur 195 Tonnen ausgeführt. Und schon 2004 hatten Stichproben amerikanischer Forscher gezeigt, dass fünf mal mehr Haifischflossen aus Indien auf dem internationalen Markt sind, als der indische Zoll vorgibt.

Finning soll verboten werden

Gleichzeitig führen die hohen Profite zur Tierquälerei auf den Schiffen. Chemudupati Samyukta von der Tierschutzorganisation „Humane Society International“ erklärt: „Den Haien werden die Flossen bei lebendigem Leibe abgetrennt, dann wirft man sie wieder über Bord. Da sie ohne Flossen aber nicht mehr schwimmen können, sinken sie ab und verenden auf dem Meeresgrund.“ In Indien ist diese Praxis eigentlich per Gesetz schon seit 1960 verboten. Doch konkret fallen nur vier der siebzig indischen Hai-Arten unter diesen Schutz.

Erst jetzt und durch den Druck von Tierschützern soll das so genannte Finning endlich verboten werden. Das indische Umweltministerium hat im August ein Gesetz erlassen, wonach alle gefangenen Haie mit intakten Flossen angelandet werden müssen. „Das ist ein erster Schritt“, sagt Samyukta, „doch es reicht bei Weitem nicht aus.“

Denn Experten warnen, dass das Gesetz nicht ohne strenge Kontrollen greifen wird. Zumal die großen ausländischen Trawler vor den Küsten, die keine indischen Häfen anlaufen, gar nicht kontrolliert werden. Die Behörden wollen sich hier allein auf die Redlichkeit der Betreiber verlassen. „Die Regierung müsste Kontrolleure auf die Schiffe entsenden oder verlangen, dass alle Schiffe indische Häfen anlaufen, bevor sie den Fang exportieren“, fordert Y.S. Yadava, Leiter des „Bay of Bengal“-Programms der Vereinten Nationen.

Immerhin haben sich im Rahmen des „Bay of Bengal“-Programms Indien, Bangladesh, Sri Lanka und die Malediven verpflichtet, einen Managementplan für Haie zu erarbeiten, der gleichzeitig den Lebensunterhalt der lokalen Fischer sichert. Die Malediven haben inzwischen ihre Hoheitsgewässer zum Schutzgebiet erklärt. Sri Lanka hat einen Entwurf für einen nationalen Aktionsplan vorgelegt.

„In Indien wollen wir eine Reform nicht von oben verordnen, weil das bei den vielen Kleinfischern nicht funktioniert. Wir wollen Fischergemeinden wie Thoothoor, Veraval und Porbandar einbinden und an der Erarbeitung des Plans beteiligen“, meint Yadava. Noch in diesem Jahr soll ein Entwurf für das Hai-Management vorliegen.

M. SUCHITRA

Übersetzung BETTINA SEIFRIED, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.