Hamburg vor der Wahl: Die schönste Stadt der Welt?

Hamburg hat es geschafft, den Eindruck großer Dynamik zu vermitteln. Die Wirklichkeit sieht aber anderes aus. Die Hansestadt im Realitätscheck.

Hamburg, meine Perle? Die Statistik spricht eine andere Sprache. Bild: dpa

HAMBURG taz | An Selbstbewusstsein fehlt es Hamburg nicht. Es sei „eine der schönsten Städte der Welt“, wirbt die Wirtschaftsförderung, und nicht nur die Hamburger selbst glauben daran. Die Stadt hat es verstanden, ihren Ruf in die Welt zu tragen und das Bild einer dynamischen Metropole zu erzeugen. Das Bild der „Boomtown Hamburg“ ist nicht ganz falsch – aber auch nicht ganz richtig. Denn bei einigen Indikatoren kommt Hamburg nicht so schnell voran wie andere Metropolen.

Bei der Hamburger Wirtschaftsförderung liest sich das so: „Hamburg hat alle Voraussetzungen, um im Städtewettbewerb ganz vorn mit dabei zu sein.“ Impliziert ist: Die Stadt muss sie bloß nutzen.

Am 15. Februar wählen die Hamburger die Bürgerschaft – das Landesparlament – neu. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz und seine allein regierende SPD bemühen sich daher, Fortschritte zu verkünden: Es werden fleißig Wohnungen zum Einzug freigegeben; die Hafencity hat einen neuen Großinvestor; für die lieb und teure Elbphilharmonie gibt es einen Fertigstellungstermin; eine neue U-Bahn-Linie soll gebaut und der vernachlässigte Osten entwickelt werden.

Doch Scholz kann auch den Schwung nutzen, den seine Vorgänger erzeugt haben. Dazu zählte in den 90er Jahren die Idee, die Stadt wieder der Wasserkante zuzuwenden. 1997 hob Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) die Hafencity aus der Taufe, die Idee, nicht mehr benötigtes Hafengebiet in Innenstadt zu verwandeln. Eine Aufbruchsstimmung erzeugte aber erst sein Nachfolger Ole von Beust (CDU) mit dem Leitbild „Metropole Hamburg – wachsende Stadt“.

Wachstum wird propagiert

Dass hier überhaupt einer Wachstum propagierte, war revolutionär. Der CDU-geführte Senat peilte – ausgehend von 1,7 Millionen Einwohnern – einen Anstieg auf 1,8 bis 2 Millionen im Jahr 2020 an. Hamburg bewarb sich um die Ausrichtung Olympischer Sommerspiele, scheiterte aber beim nationalen Endausscheid 2003 an Leipzig. Um dem zu Unrecht übel beleumundeten Stadtteil Wilhelmsburg auf die Sprünge zu helfen, initiierte der Senat eine Internationale Bauausstellung und dazu noch eine Gartenschau, die beide 2013 präsentiert wurden.

SPD- und CDU-geführte Senate machten die Erweiterung der Airbus-Fabrik für den Riesenflieger A 380 möglich. Dafür wurde eine künstliche Halbinsel im Elbschlick aufgeschüttet und die Werkspiste musste verlängert werden. Anwohner und Umweltschützer gingen auf die Barrikaden. Das kostspielige und riskante Projekt verlief planerisch so reibungslos, dass Ole von Beust der Realisierungsgesellschaft auch die Planung der Elbphilharmonie übertrug – und sich nicht weiter groß darum kümmerte.

Das Ergebnis ist bekannt: Statt knapp 80 Millionen Euro wie in der allerersten Schätzung wird der Bau knapp 800 Millionen kosten. Den Löwenanteil davon bezahlt die Stadt. Um nach jahrelangen Streitereien zwischen den Architekten, der Baufirma und der Stadt endlich Ruhe im Karton zu haben, hatte Olaf Scholz 2013 noch einmal fast 200 Millionen draufgelegt. Immerhin kam die Stadt dadurch in aller Munde.

Noch zu SPD-Vorzeiten in den 90er Jahren begann der Senat mit seiner Clusterpolitik. Dahinter steckt die Idee, Unternehmen, Ausbildungs-, Forschungs- und Fördereinrichtungen zu einem vielversprechenden Thema zu vernetzen. Heute gibt es acht solcher Cluster – von der Internetwirtschaft über die Luftfahrt bis zu den erneuerbaren Energien. Die Hamburger Hochbahn etwa testet seit Jahren immer neue Generationen von Wasserstoffbussen, bei denen nur Dampf aus dem Auspuff kommt – für eine irgendwann einmal CO2-freie Zukunft.

Durchwachsene Statistik

Trotz dieser Anstrengungen ergibt die Statistik ein durchwachsenes Bild. Seit der Jahrtausendwende gab es von Jahr zu Jahr mehr Hamburger. Allerdings mussten nach dem Zensus 2011 die Zahlen nach unten korrigiert werden: Statt knapp 1,79 Millionen Einwohner hatte Hamburg 2013 knapp 1,75 Millionen. Platz genug gäbe es: Berlin ist nur ein Fünftel größer, hat aber doppelt so viele Einwohner.

Ein Preis für das Wachstum war, dass sich die Leute immer schwerer taten, eine Wohnung zu finden. So schwer, dass Scholz den Wohnungsneubau zu einem seiner zentralen Wahlversprechen gemacht hat. 6.000 neue Wohnungen pro Jahr war 2011 seine Ansage. In der Tat hat der Senat den Wohnungsbau stark angekurbelt – ohne Großsiedlungen auf die grüne Wiese zu setzen. Die Zielzahl 6.000 wurde 2013 und 2014 brutto übertroffen.

Umstritten ist, wie viele hundert Abrisse davon abgezogen werden müssen. Die Linke kritisiert zudem, der Neubau halte mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt: „Es wird in Hamburg deutlich zu wenig Wohnraum neu geschaffen, ganz besonders geförderte, bezahlbare Wohnungen“, kritisiert die Bürgerschaftsabgeordnete Heike Sudmann.

Hamburg ist auch zum Ziel für die Flucht ins Betongold geworden. Die Zinsen sind niedrig, die Zeiten unsicher, also kaufen die Leute Wohnungen an Orten mit guten Perspektiven. Der Quadratmeter einer gebrauchten Eigentumswohnung kostet im Schnitt 3.200 Euro. Die Nettokaltmiete für freifinanzierte Wohnungen lag laut Mietenspiegel 2013 bei 7,56 Euro. In Berlin waren es zuletzt rund 5,50 Euro.

Mieten hoch, Bruttoinlandsprodukt niedrig

Die Qualität der Jobs, mit denen sich solche Mieten bezahlt werden müssen, hat sich nicht in gleichem Maße erhöht. Zwar ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg von 2000 bis 2013 dreimal so stark wie im Bundesdurchschnitt gestiegen. Dagegen wuchs das Bruttoinlandsprodukt Hamburgs unterdurchschnittlich. Das heißt, es sind eher Jobs mit geringer Wertschöpfung hinzugekommen. Bezieht man das Umland mit ein und vergleicht die Metropolregion mit anderen, so zeigt sich, dass die Wertschöpfung pro Kopf bloß im Mittelfeld liegt.

Dabei steht die Stadt in Rankings gar nicht schlecht da: Die unternehmerorientierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat die wirtschaftlichen Stärken und Schwächen der 50 größten deutschen Städte (Stand 2010) verglichen. Hamburg landete auf Platz acht – hinter Düsseldorf, Frankfurt am Main, Stuttgart und dem Spitzenreiter München. Hamburg habe sich zwar entwickelt, so die Forscher, aber nicht ganz so stürmisch wie andere Großstädte. In neun Städten, einschließlich Berlin, ging 2006 bis 2011 mehr als in der Hansestadt.

Hamburg gehöre „noch nicht zur den Boomregionen Deutschlands“, urteilten 2012 das Hamburgische Weltwirtschafts-Institut (HWWI) und die Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PWC). Bis 2020 werde die Wirtschaft des Rhein-Main- und des Rhein-Ruhr-Gebiets sowie der Regionen Stuttgart und München besser gedeihen als in der Metropolregion Hamburg. „Die zukünftige Entwicklung hängt davon ab, ob in den Bereichen Demografie, Arbeitskräfte, Standortattraktivität und Bildung die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden“, sagte Andreas Borcherding von PWC.

Gerade das Thema Bildung hat in jüngerer Zeit ziemliche Wellen geschlagen. Der Asta der Universität hat das laufende Wintersemester zum Semester des Protests erklärt. Die Universität sei „seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert“, kritisieren die Studenten. Hochschulvertreter fordern, die Wissenschaft von der Sparvorgabe auszunehmen, die Ausgaben um nicht mehr als 0,88 Prozent wachsen zu lassen. Bei einer Demonstration zu den Haushaltsberatungen im Dezember liefen Uni-Präsident Dieter Lenzen und die Präsidentin der Hochschule für Angewandete Wissenschaften (HAW), Jacqueline Otten, mit.

Appelle für die Zukunft Hamburgs

Bereits im April vergangenen Jahres appellierten der ehemalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD), der ehemalige Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) und der ehemalige Stadtentwicklungssenator Wilfried Maier (Grüne), der Senat möge die Stadt zu einem führenden Standort für Wissenschaft und Forschung ausbauen. „Hamburg erlebte im Verlauf der vergangenen 100 Jahre im weltweiten Vergleich der Metropolen einen ständigen relativen Bedeutungsverlust“, klagten die drei ehemaligen Amtsträger.

Weltweit werde die Qualität von Universitäten und Forschungseinrichtungen als wichtigster Motor für eine zukünftige Entwicklung gesehen. Hamburg sei hier allenfalls zweitklassig. Immer wieder infrage gestellt wird außerdem, ob es gut sei, weiterhin so viel Kraft in den Hafen zu stecken. Dessen wichtigstes Segment, der Containerumschlag, ist zwar in den Jahren vor der Wirtschafts- und Finanzkrise mit zweistelligen Raten gewachsen.

Die Krise ließ ihn um 30 Prozent einbrechen. Inzwischen hat er fast wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Regelmäßig meldet der Hafen den Besuch des gerade allergrößten Containerschiffs der Welt. Die Stadt treibt einen gewaltigen Aufwand bei dem Versuch, die Elbe für solche Riesen weiter auszubauen. Und sie vermietet große Flächen im Hafen für ’nen Appel und ’n Ei. Flächen, die für Fabriken oder künftige Olympische Spiele gebraucht werden könnten.

Hamburg hat sich jetzt beim Nationalen Olympischen Komitee zum zweiten Mal als deutsche Kandidatin für die Spiele beworben. Das Logo von 2003, „Feuer und Flamme“ für Olympia, wurde wieder ausgegraben, vom Balkon des Altonaer Rathauses aus fingern Strahler in den olympischen Farben in die Winternacht. Unter Marketinggesichtspunkten wäre ein Zuschlag für 2024 sicher ein Coup. Vielleicht käme er ja dann, der große Boom.

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