Hamburger Kunsthaus Westwerk: Jeder ist Kurator

Vor 30 Jahren kämpften Mieter auf der Fleetinsel dafür, dort Möglichkeiten zum Wohnen und Arbeiten für Kreative zu schaffen. Raus kam dabei das Westwerk

Ein Ort des gemeinsamen Schaffens und Wohnens: das Künstlerhaus Westwerk im Jahr 1991. Foto: Westwerk

HAMBURG taz | „Senat fressen Straße auf“, stand vor 30 Jahren auf einem riesigen Transparent, das an der Fassade der Admiralitätstraße 74 hing. Als Bonmot des Protests ging es bald durch alle Medien. 1986 wollte die Stadt Hamburg die historischen Kontor- und Speichergebäude auf der Fleetinsel an eine niederländische Versicherungsgesellschaft verkaufen.

Doch die damaligen Mieter – ein loses, aber energisches Kollektiv aus Malern, Musikern, Fotografen und Filmemachern – wehrten sich. Zwei von ihnen reisten nach Rotterdam, präsentierten dem Investor Portfolios und Konzepte. Die Niederländer brachen ihre Verhandlungen mit der Stadt ab – aus Respekt vor einem Haus voller Künstler.

Als Geschäftsführer der Fleetinsel GmbH & Co KG kaufte der Rechtsanwalt und Mäzen Hans-Jochen Waitz 1989 die Häuser in der Admiralitätsstraße 71 bis 76 mit dem Ansatz, „Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für kreative Menschen zu schaffen“. Er verpflichtete sich, eine kulturelle Nutzung über zehn Jahre zu garantieren. Aus zehn Jahren sind heute 27 Jahre geworden. Das Künstlerhaus Westwerk, eine selbstverwaltete Hausnutzung für Kultur und künstlerische Produktion, ist einer seiner Mieter. In Hamburg ist es legendär – und definitiv Vorreiter in Sachen Anti-Gentrifizierung.

Unter dem Motto „Solange wir hier sind“ feiert das Westwerk im Februar jetzt sein 30-jähriges Bestehen. Ein „Festmonat“, wie es in der Pressemitteilung heißt, „der den Blick auf 30 Jahre eigensinnige Kulturarbeit richtet.“ Im Zentrum steht dabei die Ausstellung „ge/Schichten:kollektiv“. Darin werden frühe Geschichte(n) des Westwerks gezeigt, historische Zeugnisse und Gedächtnisfragmente, kaleidoskopische Interviews und Projektionen von Fotos und Filmmaterial.

„Die Ausstellung wird die Klammer bilden, in deren Rahmen alle anderen Veranstaltungen stattfinden“, erläutert Bühnenbildnerin und Westwerk-Mitglied Sabine Flunker. Eine von ihnen ist das Konzert „Anriss“: ein Live-Musikmix, der sich über das gesamte Gebäude verteilt, „ein gigantomanisches Konzert mit mindestens 40 beteiligten Musikern, das sicherlich vier oder fünf Stunden dauern wird“, so Flunker. Mit dabei sind unter anderem Szenegrößen wie niedervolthoudini, Zucker, Jens Rachut, Tobias Levin, Christian Naujoks, Heffels, Kristof Schreuf, Tornado, Passierzettel und Carsten Dane.

Aktives Westwerk-Mitglied ist Flunker seit 1992. „Als ich hierher zog, war es hier fast wie ein Nachkriegsgebiet“, erzählt sie. „Hier war überhaupt nichts los. Auf dieser Insel gab es kein Café, keinen Supermarkt, kein Restaurant, kein Kiosk, gar nichts.“ Umso stärker drängt sich – nicht nur für Flunker – heute die Frage auf: Was wäre aus der Fleetinsel geworden, wenn es das Westwerk nicht gegeben hätte? Was wäre aus dem Westwerk geworden, wenn es Waitz nicht gegeben hätte? „Wenn man so zurückdenkt“, sagt Flunker, „entsteht eine ganz eigene Verkettung.“

Das Westwerk über all die Jahre am Leben zu erhalten: ein finanzieller Drahtseilakt. Seit 1988 wird der Kunstort immerhin mit einer zwar überschaubaren, aber jährlichen Fördersumme – aktuell 18.000 Euro – von der Kulturbehörde bezuschusst. Damit kann der Verein gerade seine laufenden Kosten decken und organisiert doch unermüdlich Ausstellungen, Konzerte, Performances und Lesungen – mindestens 30 Veranstaltungen jährlich.

Denn im Westwerk ist jedes Mitglied auch Kurator. Durch dieses Konzept entsteht Kulturarbeit auf hohem Niveau, ehrenamtlich und engagiert. „Und dabei gibt es seit 30 Jahren kein Geld dafür, keine Entlohnung im eigentlichen Sinn“, sagt Fotograf André Lützen, der seit 1989 in der Admiralitätstraße lebt.

„Außer eben, dass man dort wohnt, sein Atelier hat und Teil dieser besonderen Wohnsituation ist.“ Natürlich wäre es schön, mehr Geld für das Programm zu haben. Und dringend notwendig wäre es, die Technik zu erneuern und auszubessern. „Im Grunde“, sagt Lützen, „den ganzen Standard zu sichern und auch anzuheben.“

Aber das Wesentliche am Westwerk sei letztlich „das Konstrukt der Leute, die hier leben“, findet Lützen: zu allen eine persönliche Verbindung zu haben. „Ohne diese Beziehungen kann es kein Westwerk geben.“ Ob das Engagement der Anfangsjahre im Verlauf der Jahre nachgelassen hat? Lützen reagiert gelassen: „Unser Leben ist mit den Jahren, in denen wir dort wohnen, natürlich komplexer geworden. Wir haben viel mehr Verpflichtungen.“

Arbeit und Familie zusammenzubringen und darüber hinaus auch für die Vereinsarbeit noch Zeit zu finden, sei nicht einfacher geworden. „Aber wäre ich nicht noch immer idealistisch“, sagt Lützen, „wäre ich da nicht mehr.“

Mittlerweile liegt das Altersspektrum der etwa 20 aktiven Westwerk-Mitglieder zwischen 40 und 60 Jahren. „Wir dachten, es bleibt ein Ort für junge Künstler,“ gestand Hans-Jochen Waitz bereits 2009 in einem Gespräch mit der taz. Aber Sabine Flunker sieht das realistisch: „Wenn man das Haus bewahren will, und damit die besondere Energie dieses Hauses, dann sollte man wahrscheinlich irgendwann Jüngeren Platz machen. Oder das Modell eines durchlässigen Mehrgenerationenhauses anstreben.“

Doch jetzt wird erst einmal gefeiert und zwar: „Solange wir noch tanzen können“. So lautet das selbstironische Motto der Westwerk-Partynacht, die am 20. Februar nicht nur das Jubiläumsprogramm, sondern höchst vermutlich einen weiteren legendären Abend in der Admiralitätstraße beschließen wird.

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