Hamburger Moschee gegen Salafisten: „Kein Freiraum für Extremisten“

Hamburgs Al-Nour-Moschee ist Hauptanlaufstelle für arabischsprachige Flüchtlinge. Salafisten kommen selten – auch weil die Gemeinde systematisch gegensteuert.

Abdellah Benhammou in der Moschee

Plädiert für noch mehr Gastfreundlichkeit in der eigenen Gemeinde: Abdellah Benhammou. Foto: Hannes von der Fecht

taz: Herr Benhammou, seit Neuestem bieten Sie zwei Freitagsgebete für insgesamt 2.000 Leute an, weil so viele muslimische Flüchtlinge dabei sind. Wie integriert die Al-Nour-Gemeinde all diese Menschen?

Abdellah Benhammou: Bei uns im Vorstand funktioniert das perfekt: Wir haben seit vier, fünf Monaten zwei Beisitzer, die als syrische Flüchtlinge herkamen. Sie kamen regelmäßig zum Gebet und fragten, wie sie uns unterstützen könnten. Inzwischen haben sie Wohnung und Bleibeperspektive und arbeiten tatkräftig mit.

Und wie stehen die übrigen Gemeindemitglieder zu den Flüchtlingen?

Zwischen den beiden Gruppen gibt es bislang wenig Kontakt, und anfangs hieß es durchaus: „Wie lange wird das dauern?“ Oder: „Wie viele müssen wir aufnehmen?“ Wir versuchen unseren Leuten dann klarzumachen, dass sie niemanden ausschließen sollen, im Gegenteil: Solange die Deutschen so viel Hilfsbereitschaft zeigen, müssen wir genauso viel tun – oder noch mehr.

Predigt das auch Ihr Imam?

Selbstverständlich. Es ist seit drei Monaten Thema jeder Freitagspredigt. Kürzlich haben wir zum Beispiel Neujahr nach dem arabischen Kalender gefeiert. Es basiert auf der Auswanderung des Propheten Mohammed aus Mekka nach Medina, wo er und seine Leute sehr hilfsbereit empfangen wurden. Auf diesem Ereignis basiert die islamische Zeitrechnung. Diese Tradition der Selbstlosigkeit müssen wir fortsetzen und Flüchtlingen die Tür öffnen. Das predigt unser Imam wieder und wieder.

48, Ingenieur, kam 1993 aus Marokko. Er ist seit zehn Jahren im Vorstand der Hamburger Al-Nour-Moschee und deren Flüchtlingsbeauftragter.

Sind die Flüchtlinge religiös oft konservativer als die hiesige Gemeinde?

Ja, und das ist völlig normal. Ich selbst bin aus Marokko zum Studium hergekommen, und da ist man schon anders geprägt. Man ist konservativ aufgewachsen und kommt in eine Gesellschaft, die komplett offen ist. Da muss man schon eine gewisse Festigkeit mitbringen, sonst driftet man ab.

Wohin?

Entweder wird man extrem religiös oder extrem lax und offen. Entgegenwirken können da nur Moschee-Gemeinden, die einem Weg der Mitte folgen. Die offen sind, sich aber nicht komplett assimilieren, sondern integrieren – und das beste aus beiden Kulturen zusammenbringen. Aber die Angst, dass Menschen, die hierher kommen, in eine extremere Gemeinde eintauchen, ist groß. Deswegen sagen wir den Flüchtlingen, dass Deutschland erfreulich offen ist, dass sie aber trotzdem nicht ihre eigenen Werte verlieren sollen. Und dass sie weder ihre Wut auf Andersgläubige noch andere Lasten ihrer Vergangenheit hierher transportieren sollen.

Fürchten Sie, dass Menschen zu den Salafisten abdriften?

Ja. Momentan erleben wir eine Art Boom: Jeder, der Internet und Webcam hat, wird Prediger. Das sind Leute, die weder Basiswissen über den Islam noch einen religiösen Hintergrund haben. Sie waren jahrelang auf der schiefen Bahn, entdecken plötzlich den Islam für sich und wollen, dass ihnen alle folgen.

Was oft funktioniert.

Ja, das ist das Problem, das wir bei vielen Jugendlichen haben. Die gehen los und hören sich irgendwelche Videos von irgendwelchen Predigern an. Das kann natürlich auf die schiefe Bahn führen – im Sinne religiöser Extreme.

Betrifft das auch Kinder der hiesigen Al-Nour-Gemeinde?

Unsere Gemeinde hat das im Griff, weil wir seit Jahren gegensteuern. Wir bieten Wochenend-Religionsunterricht für Kinder, um keinen Freiraum für salafistisches Gedankengut zuzulassen. Für die Älteren veranstalten wir ein „Training for Trainers“. Das ist keine theologische Ausbildung, sondern ebenfalls eine Schutzmaßnahme gegen extremistisches Gedankengut.

Wer besucht die Trainer-Kurse?

Jugendliche, bei denen wir das Potenzial sehen, als Multiplikatoren zu wirken und verunsicherten Gläubigen Antworten zu geben. Diesen 20-, 24-Jährigen versuchen wir das, was wir als „Islam der Mitte“ betrachten, nahezubringen. Das machen wir allerdings nur mit Jugendlichen, die friedliche Tendenzen haben.

Und die anderen? Werden die Salafisten?

Die gibt es in anderen Gemeinden durchaus. Uns meiden sie, weil sie uns für zu lax halten, und ich habe auch noch keine Anwerbeversuche beobachtet. Für die bin ich – westlich gekleidet und bartlos – nicht würdig, über den Islam zu reden. Mit solchen Leuten kann man nicht ins Gespräch kommen, die sind gar nicht bereit zuzuhören.

Geben Sie salafismusgefährdete Flüchtlinge letztlich auf?

Nein, aber uns bleibt da momentan nur die Freitagspredigt. Unser Integrations- und Partizipationsprojekt ist leider gescheitert.

Inwiefern?

Wir haben vor ein paar Monaten versucht, ein „Forum syrischer Flüchtlinge“ zu gründen. Wir wollten ihnen die Chance geben, Jugend- und Frauengruppen, Fußballteams und Gesprächskreise zu organisieren, sich auch ihrerseits um Neuankömmlinge zu kümmern. Für diese „Hilfe zur Selbsthilfe“ hatten wir Räume besorgt, deren Miete sie sich hätten teilen können. Zur ersten Präsentation kamen 150 Leute, aber es hat nicht funktioniert. Wer selbst keine Hilfe mehr brauchte, kam nicht wieder. Wir blieben auf der Miete sitzen und haben die Räume schließlich gekündigt.

Was tun Sie stattdessen, um etwa jugendliche unbegleitete Flüchtlinge zu mäßigen?

Diese Gruppe ist auch hier im Stadtteil ein Problem. Sie sind oft nicht bereit, sich zu integrieren, weshalb es eine Zeitlang einen runden Tisch mit Vertretern christlicher Gemeinden, der Sozialbehörde, der Polizei und unserer Gemeinde gab. Ich war das Bindeglied und habe einige dieser – anfangs extrem skeptischen – Jugendlichen während des Ramadan in unsere Moschee geholt, habe sie zum Helfen animiert. Nach einigen Wochen waren sie regelrecht aufgetaut.

Was wurde aus ihnen?

Nach dem Ramadan war ich im Urlaub, und seither habe ich sie nicht mehr gesehen. Später kam eine zweite Gruppe, die komplett anders ist. Es sind Nordafrikaner, und wenn ich mit ihnen rede, kommen ein oder zwei, einen Stock in der Hand, provozieren und sagen „Was willst du, wer bist du?“ Solche Leute kann man nicht in die Gemeinde integrieren, die lehnen das von vornherein ab. Inzwischen sind sie für uns eine echte Bedrohung.

Weswegen?

Abends, wenn die Flüchtlinge hier übernachten, können sie reinkommen, Sachen stehlen.

Bewachen Sie die Moschee?

Die Moschee ist 24 Stunden geöffnet, und hier sind immer sechs Leute, die organisieren und helfen. Vor Kurzem hat allerdings der Stadtteil-Pastor die Wiederbelebung des runden Tisches angeregt. Wir hatten das Problem dieser Jugendlichen wegen der vielen syrischen Flüchtlinge etwas aus den Augen verloren.

Könnten geflohene Imame eigentlich etwas tun?

Auch darüber haben wir nachgedacht, zumal wir – da alle Ehrenamtler – bei weitem nicht genug Personal für die so wichtigen Gespräche mit in Kleingruppen haben. Deshalb haben wir eine Kartei von all jenen Flüchtlingen angelegt, die ein Bleiberecht in Hamburg und ein islamisches Studium absolviert haben. Das sind überraschend viele, und für sie wollen wir Seminare veranstalten, in denen wir zum Beispiel den Verhaltenskodex in Deutschland erklären, damit sie als Multiplikatoren wirken können. An diesen Integrationskonzept arbeiten wir derzeit, das geht step by step.

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