Hamburger Piratenprozesses: Piraten-Unterstützer befreien Geisel

Beobachter des Hamburger Piratenprozesses bringen das Lösegeld für den gekidnappten Sohn eines der Angeklagten auf.

Mit diesem Büchlein brachten Unterstützer das Lösegeld für den Sohn eines inhaftierten Piraten auf. Bild: taz

HAMBURG taz | Das Tatmotiv wollte der Vorsitzende der Großen Strafkammer 3 des Hamburger Landgerichts Bernd Steinmetz nicht strafmildernd gelten lassen: Der somalische Fischer Bari Ibrahim* hatte im sogenannten Hamburger Piratenprozess ausgesagt, er habe an der Kaperung des Hamburger Frachters „Taipan“ im Jahr 2010 nur deswegen teilgenommen, weil er mit seinem Anteil der Beute das Lösegeld für seinen entführten fünfjährigen Sohn aufbringen wollte.

Eine „Schutzbehauptung“, sagte Steinmetz – weil Ibrahim seine persönliche Leidensgeschichte nicht in seinem Schlusswort wiederholte. „Wir sind sicher, dass es eine geplante Tat war, dass keiner von Ihnen gezwungen worden war.“

Was Steinmetz nicht wusste: Noch vor der mündlichen Urteilsverkündung hatte eine Unterstützergruppe, die Steinmetz schon mal als „Fluchthelfer“ bezeichnete, damit begonnen, das Lösegeld für das Kind aufzubringen. Mehrere Journalisten und Prozessbeobachter waren von Ibrahims Aussage vor Gericht so betroffen, dass sie ein kleines Heft erstellten, in dem Ibrahims Lebensgeschichte dokumentiert ist. Die Zeichnungen fertigte die Journalistin Marily Stroux an, die für eine philippinische Seemanns-Zeitschrift in Griechenland das Verfahren verfolgte. Das Heftchen wurde dann, handsigniert, für eine Solidaritätsspende von fünf Euro verkauft.

Ibrahim hatte vor Gericht ausgeführt, wie er bereits mit sechs Jahren Waise wurde, weil seine Eltern 1992 im Bürgerkrieg ermordet wurden. „Wenn andere nach ihren Eltern riefen, habe ich nur geweint“, sagte er, als Stroux ihn im Untersuchungsgefängnis besuchte. Vor Gericht schilderte er, wie er sich in einem kleinen Dorf an der Küste als kleiner Fischer durchschlagen musste.

„Wir sind zum Fischen rausgefahren und als wir zurückkamen, gaben wir dem Besitzer das Boot zurück – der bezahlte uns dann einen Lohn, dem entsprechend, wie viel Fisch wir gefangen haben.“ In dem Dorf habe es einen kleinen Lebensmittelladen gegeben, in dem seine Frau eingekauft habe, und wenn er den Lohn für die Fischerei bekam, habe er im Laden die Rechnung bezahlt, sagt Ibrahim.

1.600 Dollar Schulden

Doch dann seien immer mehr fremde Fischer mit großen Schiffen gekommen. Die Fischer auf den großen Schiffen seien bewaffnet gewesen; hätten ihre Netze zerstört und Jagd auf sie gemacht, berichtet Ibrahim. Zudem habe ein Tsunami große Fässer an den Strand gespült. Ibrahim wusste damals nicht, was heute bekannt ist: Es waren vor der Küste illegal verklappte Giftfässer, die der Tsunami zum Platzen gebracht hatte.

„Es gab immer weniger Fisch, ich verdiente sehr wenig. Es reichte nicht aus, um meine Familie zu ernähren“, sagt Ibrahim. Der Ladenbesitzer habe ihnen zwar immer wieder Kredit gegeben, doch als Ibrahim 1.600 Dollar Schulden hatte, verlangte er sein Geld. „Weil ich die Schulden nicht bezahlen konnte, hat er meinen Sohn gekidnappt und in sein Haus eingesperrt.“ Eine Methode, die in Somalia nicht unüblich ist.

Dann hätten ihm Leute auf einem großen Fischerboot Arbeit angeboten. „Es ging darum, Geld zu bekommen, und nicht, Menschen zu töten“, schwört Ibrahim. Nach der Enterung der „Taipan“ wurde er vom Holländischen Militär verhaftet. Dafür ist Ibrahim als Pirat in Hamburg der Prozess gemacht worden. Er sitzt seither und wohl noch für die nächsten vier Jahre in Hamburg-Fuhlsbüttel im Gefängnis.

Ibrahims Sohn dagegen ist wieder freigelassen worden: Im Januar waren mehr als 300 Exemplare des Piraten-Büchleins verkauft und die Organisatoren konnten das Lösegeld bezahlen. „Wir waren uns nicht sicher, ob sich der Lebensmittelhändler an die Abmachung hält und keine Nachforderungen stellt“, sagt Stroux. „Aber er hat sein Wort gehalten.“ Ibrahim konnte seinen Sohn mittlerweile am Telefon sprechen. „Er ist überglücklich“, sagt Stroux.

*Name geändert, der richtige Name ist der Redaktion bekannt

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