Hamburger Urteil: Neue Nachbarn zumutbar

Das Hamburger Oberverwaltungsgericht gibt grünes Licht für Bau und Betrieb des Flüchtlingsquartiers in Klein Borstel.

Flüchtlinge willkommen: Das Gros der Anwohner in Klein Borstel ist für das Flüchtlingsquartier „Am Anzuchtgarten“ Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | Bei der Aufhebung des Baustopps für das Flüchtlingsquartier in Klein Borstel durch das Hamburgische Oberverwaltungsgericht handelt es sich zwar nicht um ein Grundsatzurteil, wohl aber um ein Urteil von grundsätzlicher Bedeutung. „Es wird in der späteren Fachdiskussion eine Rolle spielen“, sagt Anne Groß, Sprecherin des Oberverwaltungsgerichts. Denn die Verfassungsmäßigkeit des neuen Sonderparagrafen 246 des Baugesetzbuchs, der die sonst üblichen Bebauungsplanverfahren aushebelt, bleibt weiter umstritten.

Dennoch hatte das Oberwaltungsgericht (OVG) am Mittwoch im Eilverfahren beschlossen, dass die sogenannte Folgeeinrichtung „Am Anzuchtgarten“ gebaut werden darf. Diese soll aus 13 zwei- bis dreigeschossigen Gebäuden für rund 700 Geflüchtete bestehen. Das Gericht befand, dass die vom Bezirksamt Nord für zehn Jahre erteilte Bau- und Betriebsgenehmigung die Rechte der Anwohner nicht verletze, da der gültige Bebauungsplan, der für das Areal eine gärtnerische und friedhofsbezogene Nutzung vorsieht, nicht zum Schutz der Anwohner festgelegt worden sei. Das Bauvorhaben, das einer Wohnbebauung gleichkäme, verstoße ebenfalls nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Denn konkrete Auswirkungen wie spielende Kinder seien für die Anwohner zumutbar.

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) lobte das Urteil des Gerichts. Er habe stets gehofft, die „gesetzgeberischen Innovationen, die der Bundestag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beschlossen hat, auch tatsächlich anwenden dürfen“, sagte Scholz. Er habe nicht glauben wollen, dass der neue Expressbau-Paragraf, der auf Initiative Hamburgs ins Baugesetzbuch aufgenommen wurde, nicht zur Anwendung komme. Dieser gibt der Stadtentwicklungsbehörde und den Bezirksämtern die Möglichkeit, in gültige Bebauungspläne einzugreifen. Doch mit diesem Aspekt hatte sich das OVG nur peripher auseinandergesetzt.Ob der Expressbau-Paragraf verfassungskonform sei, habe in diesem Verfahren keine Rolle mehr gespielt, so das Gericht.

Der Sonderparagraf 246 im Baugesetzbuch mit seinen 14 Absätzen ist auf Initiative Hamburgs und im Zusammenhang mit dem neuen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes im Oktober 2015 im Baugesetzbuch eingefügt worden.

Er soll es ermöglichen, in gültige Bebauungspläne einzugreifen, um schnell Unterkünfte für Geflüchtete zu schaffen.

Die Unterkunft Fiersbarg in Lemsahl-Mellingstedt billigte das Oberverwaltungsgericht im April ausdrücklich nach Paragraf 246 Absatz 12, da es sich um eine temporäre und mobile Einrichtung für drei Jahre handelt.

Das Quartier in Klein Borstel ist nach Paragraf 246 Absatz 14 genehmigt worden und soll für zehn Jahre bestehen.

Doch gerade darauf hatten in der Vergangenheit die Baustopp-Urteile des Verwaltungsgerichts abgezielt. Das Gericht stellte es vielmehr infrage, ob aus dem neuen Vorgehen generell das Recht abgeleitet werden könne, gültige Bebauungspläne auszuhebeln.

Ob der Passus im Baugesetzbuch verfassungskonform sei, könnte laut OVG-Sprecherin nun im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht ist dann auch eine Klage vorm Bundesverfassungsgericht möglich. Bis dahin gehen laut Gerichtssprecherin Groß aber sicherlich noch einige Jahre ins Land.

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