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Hamburgs jüdische Gemeinden vor Gericht„Es kann nur einen geben“ oder Orthodoxe gegen Liberale

Orthodoxe Gemeinde macht liberalem Tempelverband das Namensrecht streitig. Dabei geht es auch darum, wer legitimer Erbe des Vorkriegsjudentums ist.

Apsis erhalten: Ruine des zweiten israelitischen Tempels in der Hamburger Poolstraße Foto: Gregor Fischer/dpa
Gernot Knödler

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Gernot Knödler aus Hamburg

Liberal oder orthodox – einen Streit darüber, wer das Erbe des Vorkriegsjudentums in Hamburg beanspruchen kann, hat am Freitag das Landgericht verhandelt. Konkret ging es um die Frage, wer Rechtsnachfolgerin der 1938 aufgelösten Deutsch-Israelitischen Gemeinde ist. Der beisitzende Richter Christopher Sachse brachte das auf die griffige Formel vom Highlander-Prinzip: „Es kann nur einen geben.“

Die streitenden Parteien sind die orthodox geprägte Jüdische Gemeinde in Hamburg (JGH) mit rund 2.300 Mitgliedern und die Liberale Jüdische Gemeinde in Hamburg mit etwa 340 Mitgliedern, die sich seit 2022 auch Israelitischer Tempelverband nennt. Mit dem Zusatz knüpft sie an den Tempelverband der Vorkriegszeit an und letztlich an den Hamburger Tempelverein von 1817, mit dem die Geschichte des weltweiten reformierten Judentums begann.

Die JGH will dem Tempelverband verbieten, sich darauf zu berufen und verklagte mit einer Strafandrohung von 250.000 Euro. Er habe „Falschbehauptungen zu seiner Entstehungsgeschichte zu unterlassen“.

Zum Hintergrund gehört, dass der Tempelverband den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstrebt, was ihn mit der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und den Kirchen gleichstellen würde. Dieser Status müsste ihm vom Hamburger Senat zuerkannt werden. Das wäre womöglich kein Problem, wollte der Tempelverband nicht die weitergehende Anerkennung als „altkoporierte“ Körperschaft, das heißt, als eine, die bereits vor dem Krieg existierte, wie eben der damalige Tempelverband.

Senat verweigert Tempelverband Anerkennung

Der Senat verweigerte dem Tempelverband diese Anerkennung mit dem Hinweis auf einen langen Bruch in der Geschichte. Der heutige Tempelverband sei 2004 gegründet worden, schon der zeitliche Abstand zum Jahr 1938 spreche dagegen, dass er Rechtsnachfolger des alten Verbandes sei.

Zudem sei nicht der Tempelverband, sondern die Deutsch-Israelitische Gemeinde Körperschaft des öffentlichen Rechts gewesen – unter deren Dach der Tempelverband neben weiteren Gemeinden organisiert war. Der Tempelverband sieht das anders und klagt vor dem Verwaltungsgericht Hamburg gegen den Senat auf Anerkennung als altkorporiert.

Zugleich hat der Tempelverband öffentlich den Anspruch der Jüdischen Gemeinde in Hamburg in Frage gestellt, Rechtsnachfolgerin der Deutsch-Israelitischen (Vorkriegs-)Gemeinde zu sein, was als Kampfansage interpretiert werden könnte.

Vor dem Landgericht ging es um die Frage, ob die Behauptung des Tempelverbandes, er sei Rechtsnachfolger eine Meinungsäußerung oder eine Tatsachenbehauptung sei. Als Meinungsäußerung wäre sie geschützt – ein Anspruch auf Unterlassung bestünde nicht –, als Tatsachenbehauptung könnte sie angegriffen werden.

Für den Charakter einer Meinungsäußerung spreche, dass in dem Verwaltungsgerichtsverfahren des Tempelverbandes gegen die Stadt „umfangreiche Gutachten eingereicht“ worden seien, sagte Sachse. Das Thema lasse sich „auch nicht auf einfach zu beantwortende Fragen reduzieren“.

Wir wollen diesen Streit nicht.

Eike Steinig, Israelitischer Tempelverband

Für eine Nachfolge spreche im Übrigen, dass es nach dem Krieg kaum mehr liberale Juden gegeben habe und der Tempelverband 2004 ausdrücklich mit dem Wunsch gegründet worden sei, an die Vorkriegszeit anzuknüpfen.

Der Anwalt der klagenden Jüdischen Gemeinde in Hamburg argumentierte, wenn jemand sage, er existiere seit 200 Jahren, sei das sehr wohl eine Tatsachenbehauptung. Das Gleiche gelte für den Anspruch, als altkorporiert zu gelten.

„Reformsynagoge“ markenrechtlich schützen lassen

Die Anwältin des Tempelverbandes bezweifelte, dass die Jüdische Gemeinde in Hamburg überhaupt klageberechtigt sei. Schließlich habe sie ja nichts mit dem Tempelverband zu tun. Ein Anknüpfungspunkt wäre gewesen, dass zur JGH seit 2016 auch eine Reformsynagoge gehört und der Tempelverband versucht hatte, sich diesen Begriff markenrechtlich schützen zu lassen. Damit war er jedoch gescheitert, weil der Begriff zu allgemein sei. Folglich könne auch die JGH nicht damit argumentieren.

Soll äußerlich an den 1938 niedergebrannten Vorgängerbau erinnern: Siegerentwurf für die neue Synagoge am Hamburger Bornplatz Foto: Leipziger Architekturbüros Schulz und Schulz

Eike Steinig, der stellvertretende Vorsitzende des Tempelverbandes, versicherte am Rande der Verhandlung: „Wir wollen diesen Streit nicht.“ Dem Tempelverband gehe es lediglich darum, ein buntes jüdisches Gemeindeleben zu fördern.

Dazu gehört für den Tempelverband eine Gleichbehandlung mit der JGH. Vor gut einem Monat hatten der Senat und die Bürgerschaft den Entwurf für einen Wiederaufbau von Hamburgs ehemals größter Synagoge auf dem ehemaligen Bornplatz bekanntgegeben. Der Tempelverband sieht das als ein Projekt der JGH und fühlt sich dort nicht Zuhause. Dabei soll neben der wiederaufzubauenden alten Synagoge für den orthodoxen Teil der Gemeinde ein moderner Bau für die Reformsynagoge entstehen.

Im Gegensatz zur ehemaligen Bornplatz-Synagoge ist die reformierte Synagoge in der Poolstraße noch als Ruine erhalten.

Letztere hält der Tempelverband aber nicht für unabhängig genug. Er kann sich nicht vorstellen, unters Dach der JGH zu ziehen und wünscht sich, dass seine Synagoge aus dem Jahre 1844 wiederhergestellt wird. Im Gegensatz zur ehemaligen Bornplatz-Synagoge ist die reformierte Synagoge in der Poolstraße noch als Ruine erhalten. Aus Sicht des Tempelverbandes ist sie ein lebendiges Zeugnis der weit zurückreichenden Geschichte des liberalen Judentums und sollte deshalb wiederbelebt werden.

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