Hanau-Opfer in Berlin: „Wir dürfen nicht aufgeben“

Bundespräsident Steinmeier empfängt die Opfer des Hanau-Anschlags und verspricht ihnen Solidarität. Eine Betroffene gibt sich kämpferisch.

Saida Hashemi, Hinterbliebene des Hanau-Attentats, beim Empfang von Frank-Walter Steinmeier in Berlin

Saida Hashemi beim Empfang von Bundespräsident Steinmeier im Schloss Bellevue Foto: Odd Andersen/dpa

BERLIN taz | Es ist eine bemerkenswerte Stärke, mit der Saida Hashemi am Mittwoch dem Bundespräsidenten gegenübertritt. Der Anschlag dürfe „uns nicht in die Knie zwingen“, sagt die 24-jährige Hanauerin am Mittwoch im Schloss Bellevue. „Wir dürfen nicht aufgeben.“ Sie glaube an diesen Staat und an seine demokratischen Werte. „Ich sehe der Zukunft positiv entgegen.“

Es ist ein eindrücklicher Auftritt, und ein nicht unbedingt zu erwartender. Denn vor sieben Monaten, am 19. Februar, wurde der Bruder von Saida Hashemi in Hanau erschossen, Said Nesar, 21 Jahre alt – von einem deutschen Rechtsextremen. Der 43-Jährige hatte zwei Bars in der Innenstadt gestürmt und dabei neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Später tötete der Attentäter auch seine Mutter und sich selbst. In einem Pamphlet hatte er einen Verfolgungswahn offenbart, aber auch einen offen rassistischen Hass auf Migranten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lud am Mittwoch nun Angehörige der Opfer ins Schloss Bellevue nach Berlin, seinen Amtssitz. „Wir vergessen nicht“, versprach er den Hinterbliebenen. Das Leid der Betroffenen müsse „unbeschreiblich groß“ sein. „Wir stehen an Ihrer Seite. Dieses Land, Ihr Land, steht an Ihrer Seite.“

Die Tat kam „nicht aus heiterem Himmel“

Steinmeier räumte ein, dass der Rechtsextremismus in diesem Land weiter „ein ernstes, ein drängendes Problem“ sei. Der Terror von Hanau sei „nicht aus heiterem Himmel gekommen“. Die jüngsten Anschläge auch in München, Halle und auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke seien ein Auftrag, „noch mehr zu tun, damit niemand in unserem Land sich ungeschützt fühlen muss“. Dies sei Aufgabe der Sicherheitsbehörde, aber auch von jedem Bürger und jeder Bürgerin. Steinmeier forderte Achtsamkeit ein, auch gegenüber Vertretern von Verschwörungsmythen. „Wer gleichgültig neben ihnen herläuft, der macht sich ihnen gemein.“

Saida Hashemi dankte Steinmeier. Und sie appellierte ebenfalls: „Es gibt kein Ende des Erinnerns.“ Die Nacht, in der ihr Bruder starb, gehe ihr bis heute nicht aus dem Kopf. „Unser Leben hat sich für immer verändert.“ Sie glaube aber daran, dass die Tat „lückenlos und wahrheitsgetreu“ aufgeklärt werde. Auch wünsche sie sich, dass Hanau, eine Stadt der Vielfalt, wieder zur Ruhe komme. Und, so Hashemi: Jeder müsse sich einbringen, um diese Demokratie zu stützen. „Wir müssen uns aktiv an dem Deutschland beteiligen, das wir uns wünschen.“

Steinmeier lobte das Engagement der Betroffenen. Dieses „sollte jeden beschämen, der in Deutschland weiter Hass und Hetze verbreitet“. Nach dem öffentlichen Auftakt zog sich der Bundespräsident mit den Hinterbliebenen zu privaten Gesprächen zurück. Hieran nahm auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) teil.

Betroffene fordern Aufklärung

Initiativen, die die Betroffenen unterstützen, hatten dagegen zuletzt mehr staatliche Unterstützung für die Opfer eingefordert: Nach wie vor gebe es für einige Familien keine angemessenen Ersatzwohnungen. Auch die finanzielle Absicherung der Betroffenen sei unsicher. Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sagte hier Unterstützung zu.

Einige Betroffenen und Kaminsky beklagen auch, dass die Bundesanwaltschaft zuletzt keine Informationen mehr über den Ermittlungsstand zu dem Anschlag herausgab. Deren Abschlussbericht müsse endlich vorgelegt werden. „Wir wollen wissen, was in dieser Nacht passiert ist, warum und ob es hätte verhindert werden können“, sagte Kaminsky. Die Bundesanwaltschaft ließ zuletzt jedoch offen, wann ihr Abschlussbericht zu dem Attentat zu erwarten ist.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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