Happy Birthday Knut: Ödipus im Freigehege

Langsam wird das Niedliche tödlich: Der Eisbär Knut feiert seinen ersten Geburtstag.

Ganz schön frech für sein Alter: Knut der Eisbär Bild: dpa

Die Zitrone, die gerade dieses Medium seit dem Frühjahr auszuquetschen sucht, scheint nun wirklich keinen Saft mehr zu haben. "TV-Schwindel um Knut", ereifert sich die aktuelle Ausgabe der Bild-Zeitung. Und nur Dauerdebile oder in den vergangenen Monaten Komatöse wie ins sehr ferne Ausland Verreiste werden nicht auf Anhieb wissen, um wen es geht, spricht der Republik schrillstes Straßenblatt von einem, der heißt wie ein Bilderbucheisbär - und im wirklichen Leben auch einer ist.

Knut - der Eisbär: Das war für dieses Jahr das Niedlichkeitsobjekt des Landes schlechthin. Einer, der durch seine Drolligkeit einzunehmen wusste. Der trollte und tobte, purzelte und tapste: Das Publikum liebte dieses Tier wie einen Menschen. Alles war in den sommers zubereiteten Geschichten fein angeordnet. Geboren wurde er, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mag man im Nachhinein bedauern, am 5. Dezember 2006 in diesem Tierpark. Wir erfuhren umgehend, dass der Vater, Lars aus dem Münchner Tierpark Hellabrunn, nach Neumünster exiliert werden musste, um dem möglicherweise tödlichen Konflikt mit dem eigenen Nachwuchs zu entgehen. Knuts Mutter Tosca, Hinterbliebene aus dem abgewickelten DDR-Staatszirkus, desinteressiert nach der Niederkunft, kümmerte sich nicht um ihr Kind der Rest der Überlieferung basiert auf dem allzu menschlichen Zug der Projektion: Knut ein Spiegel unserer guten wie schlechten Abgründe.

Wir erkannten im Schicksal des kleinen Eisbären eigene Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen. Knut - ein von der Mutter abgelehntes Kind? Kennt man doch, passiert öfter unter Menschen, als jede Mutti-Ideologie wahrhaben will; Knut - ein dennoch Überlebender? Klar, wir bangten alle mit, und Tierpfleger Thomas Dörflein war unser Entsandter, Stellvertreter im Kontakt zum besten Baby des Jahres. Ein Mann, der sich wie eine Mutter mühte - schön, dass diese Rolle im Sinne bester Geschlechtsrollenkritik von einem bärtigen Kerl übernommen wurde. Und wie er sich mühte! Sich die Nächte um die Ohren schlug und keine Gewerkschaften gegen dessen Überstundenanhäufelei protestierte, Knut gar schmiegte und schmuste, ihn selbstverständlich mit knuddeligem Streicheln tröstete und, albträumte dieser, ihn, wie es sich elterlich gehört, mit der Welt vertraut machte und fütterte, sogar ökologisch astrein und abwechslungsreich.

Insgesamt also ein bildersatter Roman über die Menschen mit einem wuscheligen Tier als Akteur in der Hauptrolle. Kinder nötigten ihre Eltern, weil sie von Knut erfuhren wie von einer Erscheinung, mit ihnen nach Berlin, in den Zoo; Väter (und auch Mütter) übten im Pulk der vor dem Gehege Knuts Versammelten den akkuraten Umgang mit Handkameras, die Nachwelt soll staunen können über diese Zeit, als man sich aufmachte, einen Hoffnungsträger live zu sehen.

Selbstverständlich hat der Zoo in Berlin mit Knut auch schöne Geschäfte gemacht; wer dies übel nimmt, hat keine Ahnung von den Kosten, die so ein Kleiner verursacht. Aufzucht und Erziehung kosten eben, das wussten wir ja ohnehin. Nun allerdings sieht man in vielen Berliner Geschäften viele Knuts als Stofftiere - Kopien des Lebenden zwar, tote Ware aber nur, die dem Grabbeltisch entgegenwartet.

Muss das wundern? Wo ist die Liebe zu Knut geblieben? Ach, kein Wehgeschrei bitte, denn alle Eltern wissen doch: Kinder sind natürlich niedlich, aber sie kosten auch Zeit und Nerven - auch deshalb war Knut doch ein feines Objekt der Verehrung, denn man musste ihn ja nicht aushalten, nachts, wenn er lieber toben als schlafen will. Nun wird Knut ein Jahr alt, und die Putzigkeit ist längst dahin. Er pinkelt, wohin er will, aber das tat er ja immer, doch nun ist er auch geschlechtsreif, "hes got balls", sozusagen.

Und das bringt viel Kraft, allzu viel Kraft. Pfleger Thomas Dörflein - wer kümmert sich um seinen Trennungsschmerz? - darf längst nicht mehr ins Gehege zu seinem Anvertrauten. Denn Knut ist ja ein Raubtier, seinem Adoptivpapa über den Kopf gewachsen, insofern auch jeder Ödipuskonflikt im Sinne des einst Kleinen entschieden ist: Will der kleine Eisbär nun raufen, könnte es für jeden Menschen lebensgefährlich sein.

Auch dies weiß doch jeder, dass eben Knut nun ein echtes Kind ist, nicht mehr artig und brav, bald ein Jugendlicher. Subjekte mit eigenem Willen, Begierden. Nix mit niedlich mehr, Schluss mit Schmuserei. Kinder, nicht mehr allzu hilfsbedürftig, werden dann als normale Menschen erkannt. Solche, die Ärger machen, nicht mehr das, was man will, die sich wehren und verweigern. Die nicht mehr aus der Flasche nuckeln, sondern von selbst zu Nahrung greifen, gierig, schamlos: Hunger ist ein Gefühl, das null Spaß versteht.

Knut hat seine Rolle perfekt gegeben, tolles Kino von ihm. Nun darf er wieder Tier sein. Und sich, ganz im Sinne Ödipus, seiner Muttergeschichte widmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.