Hartz-IV-Zwangsumzüge: Arbeitslose können einpacken

Die Zwangsumzüge bei Hartz IV haben sich 2010 mehr als verdoppelt. Der Senat verweist auf gestiegene Wohnkosten. Der Mieterverein fordert höhere Mietobergrenzen.

Wohin dieser junge Mann zieht, ist nicht bekannt. Bild: Reuters

Die Zahl der Zwangsumzüge hat sich in Berlin innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt: 1.195 Haushalte, die von Hartz IV leben, mussten 2010 die Wohnung wechseln, weil ihre Miete zu teuer war. Das sagte die Sprecherin der Senatsverwaltung für Soziales, Karin Rietz, der taz. 2009 packten noch 579 Bedarfsgemeinschaften wegen zu hoher Wohnkosten die Kisten. Im Vorjahr waren es ähnlich viele. Rietz macht vor allem höhere Mieten für den sprunghaften Anstieg der Umzüge verantwortlich. "Der Wohnungsmarkt wird enger. Das geht auch an Hartz-IV-Empfängern nicht vorbei."

Arbeitslose und Nicht-Erwerbsfähige bekommen die Miete vom Amt bis zu einer Obergrenze bezahlt. Diese richtet sich nach den sogenannten Ausführungsvorschriften Wohnen (AV Wohnen): Demnach darf die Wohnung eines Alleinstehenden nicht mehr als 378 Euro im Monat inklusive Heizung kosten, Paare können 444 Euro ausgeben. Drei Personen wird eine Miete von 542 Euro bezahlt, einem Vier-Personen-Haushalt 619 Euro. Wer teurer wohnt, muss seine Miete runterhandeln, einen Untermieter suchen oder die Differenz selbst begleichen. Ist das nicht möglich, haben die Betroffenen ein halbes Jahr Zeit, sich nach einer billigeren Bleibe umzusehen.

Kein leichtes Unterfangen: Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Wohnen in Berlin teurer geworden ist. Vor allem bei Neuvermietungen, aber auch nach Sanierungen in bestehenden Mietverhältnissen steigen die Preise. "Offenbar sagen sich auch viele, ich ziehe lieber jetzt um, bevor der Markt in ein paar Jahren noch enger wird", vermutet Rietz. Trotz allem bezeichnete sie die Vorschriften des Landes als "realitätsgetreu". "Die Anzahl der Umzüge liegt, gemessen an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften, immer noch unter einem Prozent." Insgesamt gebe es in Berlin rund 330.000 Haushalte, die von Hartz IV lebten.

Frank Steger vom Berliner Arbeitslosenzentrum evangelischer Kirchenkreise (BALZ) überrascht der Anstieg der Zwangsumzüge nicht. "Die Wohnkosten sind in unseren Beratungen eines der Hauptthemen", berichtet er. Reiner Wild vom Berliner Mieterverein hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Es komme inzwischen häufiger vor, dass Hartz-IV-Empfänger in kleinere Wohnungen wechselten, weil sie die alte nicht mehr bezahlen könnten, sagt er. "Vier-Personen-Haushalte suchen nach einer Zweizimmerwohnung. Fünf Personen suchen eine Dreizimmerwohnung."

Wild spricht aufgrund der gestiegenen Mieten von "Wanderbewegungen" innerhalb der Stadt. Viele Betroffene wollten in einem ähnlichen Sozialgefüge bleiben. "Migrantenfamilien beispielsweise ziehen von Kreuzberg, wo das Mietniveau extrem angestiegen ist, nach Wedding oder Neukölln." Friedrichshainer wichen eher nach Lichtenberg aus, Bewohner von Prenzlauer Berg nach Weißensee.

Wild macht noch einen anderen Grund für die vielen Zwangsumzüge aus: Bis 2009 hatten Hartz-IV-Empfänger ein Jahr Zeit, um sich eine günstigere Wohnung zu suchen. Nachdem der Bund gegen Berlin klagte, wurde diese Frist auf ein halbes Jahr verkürzt. "Da haben wir eine Welle vor uns hergeschoben, die sich 2010 bemerkbar machte."

Die Konsequenz aus den gestiegenen Zahlen ist für Wild klar: "Wir brauchen dringend eine Korrektur der AV Wohnen", fordert er. Lediglich für Ein-Personen-Haushalte sei die Mietobergrenze in den vergangenen Jahren etwas angehoben worden, ansonsten bezögen sich die Vorschriften auf Mietwerte von 2005. "Das muss angepasst werden." Die Sozialverwaltung wolle das Thema möglichst noch in dieser Legislaturperiode angehen, sagt Karin Rietz. Allerdings müsse man zunächst die Verhandlungen über die anstehende Hartz-IV-Reform im Bund abwarten. "Erst danach können wir diskutieren, ob und wie sich die Richtwerte verändern."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.