"Hausbesuch" bei Herrmann: Echt alle Maßstäbe verloren

Politische Hausbesuche sind ein umstrittenes, aber genutztes Instrument linker Aktivisten. Wieso bringen sie die Grünen mit der NS-Zeit in Verbindung?

Kreuzbergs Bürgermeisterin Herrmann und die Flüchtlinge, hier im April 2014. Bild: dpa

Ein Dutzend Pappkartons vor der Wohnungstür. Der zynische Gruß „Frohes Fest“ ins Treppenhaus gesprüht. Mit ihrem „Besuch“ im Wohnhaus von Kreuzbergs grüner Bürgermeisterin Monika Herrmann hat die Aktivistengruppe „autonome zelle umzug“ am Sonntag die Kreuzberger Flüchtlingspolitik kritisieren wollen. Und im Wortsinn eine Schwelle überschritten.

Die Reaktionen waren entsprechend. Über den „Anschlag“ stöhnten Presse und Politiker aller Parteien. Der Grünen-Landesverband echauffierte sich auf Facebook: „Wir dachten immer: Diese Art der politischen Hausbesuche sind seit 1945 beendet.“ Nun ja, Nazi-Vergleiche rutschen schnell mal raus bei großer Empörung. Sinnvoll sind sie selten. Kritisch wird es, wenn sie auch noch falsch sind.

Politische Hausbesuche sind ein umstrittenes, aber dennoch genutztes Instrument linker Aktivisten. So organisierte der FU-Professor Peter Grottian 2002 einen Grunewald-Spaziergang zu den Privathäusern von Bankern und Politikern, um sie an ihre Verantwortung im Berliner Bankenskandal zu erinnern. 1.500 Leute kamen. Die Grünen-Fraktion begrüßte die Aktion.

Vorläufer war ein Grunewald-Spaziergang 1981. „Demonstranten besuchen Spekulanten“ hieß damals das Motto beim Protestzug von 5.000 Sympathisanten der Hausbesetzer. Wer sich daran nicht mehr erinnert, kann ganz aktuell die West:Berlin-Ausstellung im Ephraim-Palais besuchen. Dort findet sich ein Plakat zu der Demo, samt Stadtplan mit Adressen und Namen aller Spekulanten. Als Erstaufrufer steht darunter die AL. Also: die Alternative Liste. So hießen damals die Berliner Grünen.

Nun kann man streiten, was schlimmer ist: wenn jemandem ein paar Kartons vor die Wohnungstür gestellt werden oder wenn Tausende vor der Villentür defilieren? Doch der Effekt ist der gleiche. Der Spiegel warf damals in einem Interview den Früh-Grünen vor, sie hätten „21 Bürger an den Pranger gestellt“ und „Angst und Schrecken verbreitet“. Die angesprochenen ALer hielten das für „überzogen“. Schade, wenn die heutigen Grünen vergleichbare Aktionen in die Nähe des Faschismus rücken.

Und unnötig. Denn tatsächlich alle Maßstäbe verloren haben diese Autonomen, die der einzigen Politikerin auf die Füße treten, die etwas für die Flüchtlinge tun wollte. Nähme man die Papp-Aktivisten ernst, hieße das, dass man es als verantwortlicher Politiker nicht einmal mehr versuchen sollte.

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