Heiliger Rasen: Zum Wohle der Grasnarbe

Hamburg verbietet ein Zirkuszelt, in Hannover könnte eine lädierte Wiese das Ende eines Flüchtlingscamps einleiten. Rasen ist offenbar mehr als die Summe seiner Halme.

Wenn einmal alles kaputt ist, hilft nur noch Rollrasen. Foto: Patrick Pleul/dpa

HAMBURG taz | Wer kennt diese Flecken nicht. Flecken, die im Rasen bleiben, wenn die Zelte längst abgebaut wurden. Wie Negative erinnern platt gedrückte gelbe Grashalme und kahle Stellen an das, was hier mal stand. An einen schönen Sommer vielleicht. Nicht schlimm, denkt man sich. Eigentlich ganz nett sogar, wächst ja wieder Gras drüber und bald ist alles wieder ganz sattgrün als sei nichts gewesen. Aber ganz so einfach ist das wohl doch nicht.

Der Hamburger Bezirk Nord hat jedenfalls gerade sein Herz für intakte, ungefleckte Rasenflächen entdeckt. Am Dienstag hätten eigentlich 200 Kinder aus den Grund- und Stadteilschulen einen Tag im Mitmach-Zirkus statt in der Schule verbringen sollen. In einem Park sollte dafür eigens ein Zirkuszelt aufgestellt werden. Aber das zuständige Bezirksamt machte sich Sorgen um den schönen Rasen, der werde durch eine solche Aktion doch zu sehr in Mitleidenschaft gezogen. Die Grasnarbe sei in Gefahr und darum gab es keine Erlaubnis für das Zirkuszelt. Mal sehen, vielleicht ja im Herbst, das müsse man erst noch prüfen. LehrerInnen und Eltern reagierten mit Unverständnis und schimpften, hier werde ja wohl das Wohl einer Grasnarbe über ein wertvolles Projekt für Kinder gestellt.

Was ist hier bloß los? Ist eine schön grüne Rasendecke wichtiger als ein spielerischer Tag im Park? Vielleicht muss man das so pathetisch sagen. Doch so sehr muss die Entscheidung des Bezirks auch nicht verwundern, hält man sich die Symbolik des Rasens vor Augen. Eine geschlossene Rasendecke, die man Wildkräutern, Moos, Blumen und dem übrigen Naturgezuppel immer wieder aufs neue mühevoll abtrotzt, ist schließlich immer noch ein Indiz dafür, wie sehr jemand die Sache im Griff hat. Je perfekter, also je ausgeprägter die teppichartige Gleichmäßigkeit der Rasenfläche, desto lauter ruft es: Sehr her, hier ist doch alles in Ordnung!

Der zivilisierte Mensch erhebt sich mit Rasendünger und Mäher und einem sattgrünen, glatten Rasen über die wuchernde Natur. Genau dafür mühen sich Wochenende für Wochenende RasenbesitzerInnen ab - die Visitenkarte muss schließlich stimmen. Wer es mit seinem Rasen hingegen gern mal schleifen lässt, der macht sich verdächtig und setzt sich Gemurre aus. Zu faul, oder was? So heißt es schnell, wenn der Rasen im Vorgarten ungemäht, ungewässert und unvertikutiert herumwuchert oder sich Flecken auf der Wiese abzeichnen. Guck mal, da läuft es wohl nicht, hm? Dieser Argwohn gilt für Privatleute wie für die öffentliche Hand.

Letztere muss sich bei zu viel unordentlichem Grün im Zweifel noch sagen lassen, dass niemand für einen so strubbeligen Park Steuern zahlen wolle. Denn schauen Sie, wenn die es nicht mal hinkriegen, das bisschen Rasen in Ordnung zu halten, ja, wie wollen die wirklich Wichtiges hinbekommen? Schließlich rangiert so ein scheckiger Rasen etwa auf der gleichen Stufe wie, sagen wir, schmutzige Fingernägel. Die sind auch nicht wirklich schlimm, aber leicht zu vermeiden und wer sich da schon nicht drum kümmert, der wäscht sich doch auch sonst bestimmt nicht.

So empfindlich jedenfalls, dass ein Zirkuszelt ihr etwas anhaben könnte, ist so eine Grasnarbe nicht. Das ist also ein eher schwaches Argument gegen ein Zelt. Meistens sind eher Pflegefehler, Pilzkrankheiten und Schädlinge dafür verantwortlich, dass ein Rasen nicht mehr aussieht, wie man sich so einen vernünftigen Rasen so vorstellt.

Ein Beispiel aus Hannover zeigt, was passiert, wenn Flüchtlinge drohen, die grüne Visitenkarte zu beschädigen. Bei Kindern als Konkurrenz hat der Rasen noch verhältnismäßig schlechte Karten. Aber bei Flüchtlingen sieht das schon anders aus. Mitte Mai jährte sich der Tag, an dem Flüchtlinge aus dem Sudan ein paar Zelte auf dem 200 Meter mal 50 Meter großen, bewiesten, von Bäumen umstandenen und etwa einen Meter abgesenkten Weiße-Kreuz-Platz in Hannover aufstellten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.

Am 16. Mai schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Jetzt muss aber auch mal gut sein.“ Gut sein muss es mit dem Flüchtlingscamp, mit dem die Hannoveraner ja bislang Geduld bewiesen hätten. Sogar hergerichtet wurde der Platz von der Stadt vor nicht allzu langer Zeit für viel Geld. Aber nun ist Schluss, denn, so die Hannoversche Allgemeine, jetzt wüchse auf dem Zeltplatz zwischen Volxküche, Gemeinschaftszelt und den etwa zehn Schlafzelten kein Gras mehr. Es gehe hier langsam aber sicher der Grasnarbe an den Kragen. Damit sei eine Schwelle überschritten. In Wahrheit wird hier eine andere Schwelle überschritten. Schön wäre, wenn man sich über die eigentliche Visitenkarte der Stadt verständigte.

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