Helbich: Ein Leben für die Musik

Wolfgang Helbich ist an den Folgen eines schweren Schlaganfalls gestorben. Der Bremer Domkantor hatte bundesweit einen exzellenten Ruf als Interpret von klassischer und romantischer Musik.

Wolfgang Helbich Bild: Achim Bokermann

Am 25. März 2013 stand Wolfgang Helbich abends gegen 23 Uhr in der Kirche Saint-Louis-en-l‘Ile im Zentrum von Paris. Der letzte Chorsatz der Johannes-Passion war gerade verklungen: „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“. Wolfgang Helbich wollte mit dem Konzertveranstalter mal eben noch ein oder zwei weitere Konzerte verabreden, er auf deutsch, der Franzose auf englisch. Zwei Busse mit Orchester und Chor standen nach einem 16-Stunden-Tag abfahrbereit und warteten. „So ist er eben, dass muss man akzeptieren“, pflegten die, die 30 oder 40 Jahre lang mit Wolfgang Helbich gesungen haben, in solchen Situationen zu sagen.

Er brannte für die Musik. Wenn er spätabends in seinem Studierzimmer über einer alten Handschrift aus der Bach-Zeit saß, dann wurde er richtig wach. Die Nacht war gelaufen, drei Schachteln Zigaretten, das Überlebensmittel für den wachen Musikergeist. Rücksichtslos gehe er mit seinem Körper um, haben ihm seine Freunde manchmal gesagt.

Und wenn er dann in die Probe kam und der Funke seiner Begeisterung übersprang, dann war klar: Musik kann verzehrend sein – und ist auch ansteckend. Nein, etwas dezenter, mehr „k“ an dieser Stelle, das „Fis“ bitte etwas höher nehmen – unermüdlich konnte Helbich in den Proben seine SängerInnen und Instrumentalisten auf den Klang trimmen, den er im Kopf hatte. Und dann das Konzert. Am liebsten hätte er noch sechs Stunden Probe vorher angesetzt, aber er war Realist genug, um zu wissen, dass das nicht geht mit einem Laien-Chor und dass zumindest 30 Minuten vor dem Konzert, wenn die Zuhörer hineinströmen, Stille sein sollte. Wie er im Konzert mit seinem ganzen Körper, mit Gesten und Gesichtszügen, noch einmal das letzte aus seinen „Klangkörpern“ herauszuholen versuchte, das haben alle, die ihn von vorne sehen durften, immer wieder bewundert und als faszinierend erlebt.

„Ein eigenwilliger Kollege“ war er schon damals, erinnert sich Hermann Max, der renommierte Leiter der „Rheinischen Kantorei“, der mit Wolfgang Helbich gemeinsam in Berlin studierte. Das war Anfang der 60er- Jahre. 1969 wurde Helbich Kantor in Alsfeld und gründete das Alsfelder Vokalensemble. 1976 wurde er Kantor am Bremer St. Petri Dom. Nach seinem altersbedingten, aber nicht ganz freiwilligen Abschied vom Dom im Jahr 2008 gründete er neben den „Alsfeldern“ den Bremer Raths-Chor. Dienstags fuhr er nach Bielefeld, wo er den Chor des dortigen Musikvereins dirigierte.

Rastlos lebte er für die Musik, hunderte Sängerinnen und Sänger prägte er mit seinem musikalischen Stil. Im Jahre 2002 wurde seine Einspielung des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Als Professor für Chorleitung lehrte er an der Hochschule für Künste Bremen sowie an der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Als „Entdecker“ vergessener Werke der Chormusik genoss er hohe Anerkennung. 1976 hat er das „Abendlied“ von Josef Gabriel Rheinberger ausgegraben, ein Juwel romantischer Chormusik. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit war zudem die Erarbeitung und Aufführung apokrypher Bach-Werke.

Helbich liebte nicht nur große Chöre mit vollem Klang, er liebte natürlich auch voll besetzte Konzertsäle, den Dom oder später die Glocke. Aber die kriegt niemand gefüllt mit den kleinen alten Kostbarkeiten. Im Sommer 2013 wollte er das „Dixit Dominus“ von Baldassare Galuppi in Worpswede aufführen. Dafür ging Wolfgang Helbich gern in die kleinen Kirchen im Bremer Umland, zumal ihm in den letzten Jahren die großen Innenstadtkirchen verschlossen blieben.

An seinem 70. Geburtstag ist Wolfgang Helbich im Kreise von Frau und Kindern an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.

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