Heroinvergabe an Schwerstabhängige: "Es geht um Leben und Tod"

Am Donnerstagabend entscheidet der Bundestag über eine Gesetzesvorlage zur Legalisierung der ärztlich kontrollierten Abgabe von Heroin.

Mit der Illegalität steigt das Risiko von giftigen Beimischungen oder Überdosierungen. Bild: dpa

"Es ist ein Hundeleben" sagt Frank. Er ist seit 24 Jahren heroinabhängig. Er tut alles um seine Sucht zu finanzieren. Mehr gibt es nicht in seinem Leben, außer den kurzen Momenten der Ruhe wenn der Schuss wirkt. Er klaut, dealt, verkauft seinen Körper. Er hat eine ganze Reihe von Entzügen hinter sich, die Droge war stets stärker. Frank hat aufgegeben.

Menschen wie Frank könnten ein menschenwürdiges Leben führen. Denn sie sind krank. Und es gibt ein Medikament das ihnen hilft. Diamorphin, das ist der wissenschaftliche Name für synthetisches Heroin.

Am Donnerstag werden mehrere Gesetzesentwürfe zur Freigabe dieses Medikaments diskutiert. Der erfolgversprechendste wurde von 250 Abgeordneten aus den Fraktionen der SPD, FDP, die Linke und Bündnis 90/die Grünen eingebracht.

Er fordert, für eine klar begrenzte Gruppe schwerst Opiatabhängiger eine Behandlung mit injizierbarem Diamorphin zu ermöglichen. Zuvor müssen allerdings ernsthafte Behandlungsversuche mit Substitutionsmitteln wie Methadon und auch Psychotherapien gescheitert, sowie Entzugssymptomatik und Toleranzentwicklung müssen bereits gegeben sein. Die Zielgruppe wird zudem begrenzt auf Patienten im Alter von mindestens 23 Jahren, die bereits fünf Jahre opiatabhängig sind und schwerwiegende psychische und körperliche Probleme haben.

Nur Ärzte in ganz bestimmten Einrichtungen mit einer besonderen Zusatzausbildung dürften das Mittel verabreichen. Bis zu dreimal täglich, da nach acht Stunden die Entzugserscheinungen beginnen. Die Einnahme muss unter Aufsicht des Arztes oder des sachkundigen Personals erfolgen. Junkie Frank begrüßt das: "Es kann schon passieren, das man umkippt und dann ist wenigstens jemand da."

Selbst die gegenüber Legalisierungsbestrebungen eher wenig aufgeschlossene Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing befürwortet den Antrag: "Die diamorphingestützte Behandlung ist für langjährig schwerstopiatabhängige Menschen ein überlebenswichtiges Angebot, um aus dem Kreislauf der Sucht und Beschaffungskriminalität auszubrechen."

Eine breit angelegte Studie mit über 1000 schwerst opiatabhängigen Patienten zeigte, dass die ärztliche Vergabe des Stoffes helfen kann. Der Gesundheitszustand der Probanden verbesserte sich, sie waren teilweise sogar wieder fähig einer geregelten Arbeit nachzugehen.

Doktor Christoph Dilg ist seit 2002 Arzt in Deutschlands erstem Heroinvergabeprojekt in Bonn. Er sagt: "Wenn ich mir den Unterschied ansehe, wie die Patienten gewirkt haben, als wir sie für die Studie rekrutiert haben und wie es ihnen jetzt geht, muss ich sagen, es war ein voller Erfolg." Neben der Entlastung von der Entzugssymptomatik sieht er noch einen positiven Nebeneffekt, den die Arbeit im Heroinvergabeprojekt mit sich bringt: "Dadurch, dass die Patienten bis zu dreimal täglich zu uns kommen, können wir uns auf medizinischer, sozialarbeiterischer und psychosozialer Ebene sehr intensiv um sie kümmern."

Und auch die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Heroinabhängigkeit, die im Zuge von Beschaffungskriminalität und der darauf folgenden Verfahren sehr hoch sind, sowie die negativen Folgen der Drogenabhängigkeit für die öffentliche Sicherheit und Ordnung würden abgemildert. Die Begleitstudie zu den Modellprojekten ärztlicher Heroinvergabe hat ergeben, dass sich die aufgrund von Delinquenz und Inhaftierung entstandenen Kosten bei den ärztlich behandelten Patienten um 4460 Euro pro Patient verringerten.

Und nicht zuletzt verlängert die ärztliche Verabreichung das Leben. Jürgen Heimchen ist Vorsitzender des Bundesverbandes der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit e.V., der in 14 Gruppen 400-600 betroffene Eltern anonym organisiert. Er sagt: "Es geht um Leben und Tod. Und das Überleben unserer Kinder muss doch das Wichtigste sein!" Denn wenn ein Junkie stirbt, dann wegen gepanschten oder überdosierten Stoffes.

Von einem abstinenzorientierten Ansatz hält Heimchen nichts. "Es gibt eine Gruppe, die kann oder will nicht mehr clean werden." Deshalb würde er das Problem gerne aus dem Schattenreich holen: "Die Verabreichung durch einen Arzt erlaubt ja erstmals, so etwas wie einen Beipackzettel dazu zu geben."

Aber selbst wenn das Gesetz durchgeht, sind noch nicht alle Hürden geschafft. Es muss auch noch vom Bundesrat abgesegnet werden, was allerdings keine große Schwelle darstellen sollte, da dieser einen beinah gleich lautenden Gesetzesentwurf eingebracht hat. Und dann müssen sich erst einmal genug Ärzte bereit erklären, die Versorgung durchzuführen. "Wir werden mit Sicherheit noch einige Jahre kämpfen müssen, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen", sagt Heimchen.

Mehr als 120 Parlamentarier von der CDU/CSU-Fraktion halten den Vorstoß jedoch für übereilt. Sie haben einen Antragsentwurf eingebracht, der fordert, die Modellprojekte zunächst weiterzuführen, um zum Beispiel genauer zu klären, wie sich ein Schwerstabhängiger definiert.

Jens Spahn, der Initiator dieses Antrages betont: "Die großen Erfolge des Modellprojekts sind vermutlich vor allem auch der verstärkten psychosozialen Betreuung im Rahmen dieses Projekts zuzuschreiben." Deshalb halten er und seine Mitstreiter an einem abstinenzorientierten Ansatz fest.

Allein von den Unterzeichnerzahlen der Entwürfe und aufgrund der Tatsache, dass die Abstimmung namentlich ist, Rückzieher also bekannt werden, dürfte die Heroinfreigabe eine sichere Sache sein. Aber ein Restrisiko bleibt natürlich. Jürgen Heimchen befürchtet: "Wenn das abgelehnt wird, ist das Ding erstmal weg vom Fenster. Es gibt keine Alternative."

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