Herschkowitz-Konzert in Wien: Das noch nicht gerettete Werk

Philip Herschkowitz war Schüler von Alban Berg und Anton Webern. Aber Schoah und Stalinismus haben sein Werk überschrieben.

Bildnis eines gut aussehenden jungen Mannes

Philip Herschkowitz in den 1930er Jahren Foto: Courtesy Sara Hershkowitz

Wenige nur kennen Philip Herschkowitz. Kaum jemand hat je seine Musik gehört. Und das hat Gründe. Schlechte Gründe. Selbst Sara Hershkowitz, die in L. A. geborene Sopranistin, die am Donnerstag im großen Sendesaal des ORF in Wien zwei seiner Lieder nach Gedichten von Paul Celan singen wird, hatte ja vor Kurzem noch gar nichts von ihm gewusst. Dabei ist sie doch, anderes Exilland, andere Schreibweise, direkt mit ihm verwandt: „Er war wohl der Neffe meines Urgroßvaters“, sagt sie.

Genealogisch näher wird man ihm kaum kommen. „Er hatte keine direkte Erben“, sagt Musikhistoriker Michael Haas, der am exil.arte forscht, der österreichischen Koordinationsstelle für Exilmusik. Der Rest der Familie war in Iași geblieben. „Bei uns zu Hause wurde nie über Rumänien gesprochen“, sagt die Sopranistin. „Das war in der Vorstellung ein dunkler Ort.“ Ein Ort, über den ein Kind noch nichts wissen soll.

Iași liegt im Nordosten Rumäniens: Ab 1940 war es Hauptstadt der rumänischen Faschisten. Hier hatte Staatsführer General Ion Antonescu seinen Sitz. Ein fester Begriff ist der Todeszug von Iași: Das Pogrom gilt als ein Beginn der Schoah. Hier, zu Hause, hatte Philip Herschkowitz seine frühen Kompositionen deponiert, beim Knopfmacher Moise Herşcovici, seinem Vater, in einem Koffer. Nichts ist erhalten. Nichts und niemand.

„The Webern pupil Philipp Herschkowitz ended up in the Soviet Union“, heißt es in Michael Haas’ 2013 erschienenem Buch „Forbidden Music“. Es verschafft einen Überblick über die von den Nazis verbotenen jüdischen Komponisten, deren Auslöschung klassische Konzertprogramme durch Ignoranz oft fortführen: Manchmal wirkt’s, als blühe und gedeihe der von ihnen gesäte Hass auf eine Musik, die ihren ZuhörerInnen nicht erlaubt, sich im bloßen Wohlklang in eine gleichberauschte Masse aufzulösen.

Herschkowitz im Programm schreckt Kunden

Und wenn Klavier-Weltstar Elisabeth Leonskaja, die auch am Donnerstag den Piano-Part übernimmt, in London vor ungewohnt dünn besetzten Reihen spielt, ist dem Kritiker klar, woran es liegt: Dass die Virtuosin ihren Lehrer Philip Herschkowitz aufs Programm gesetzt hat, war der Fehler. So was schreckt Kunden. Denn dessen „serialism negates itself“, wie jedes Produkt des Formalismus. Das wusste doch schon Stalin.

findet am 23. Januar um 19.30 Uhr im Großen Sendesaal des ORF Radiokulturhauses in der Argentinierstraße 30a in 1040 Wien statt

Bis zu seinem Tod ist Philip Herschkowitz der Zwölftontechnik treu geblieben, diesem von Arnold Schönberg entwickelten, von seinen Schülern wie Alban Berg und Anton Webern übernommenen, strengen Tonsatz. Der befreit die Töne der Oktave aus ihrer harmonischen Funktion, schafft Gleichberechtigung, während er sie im selben Schritt unerbittlich organisiert: Erst wenn alle zwölf erklungen sind, tritt der erste wieder auf. Die Herrschaft des göttlichen Grundtons wird ersetzt durch das Gesetz der totalen Reihe.

Herschkowitz vermag, sie zu kristallinen Klangstrukturen zu formen, klar und radikal reduziert – und bisweilen erfüllt von verzweifelter Komik. „Espenbaum“ etwa, das Gedicht, in dem Celan die Ermordung der Mutter erinnert: die Vertonung steht im flotten Zweier-Rhythmus, ein Marsch. Der erste Takt bringt im Piano die ganze Reihe in nur drei zarten Klaviertupfen.

Dann zittert die Sopranstimme in drei Sechzehnteln chromatisch abwärts, denn Espenbäume zittern, um schließlich in sich stetig weitenden Sprüngen, den Horizont zu öffnen: „Dein Laub blickt weiß ins Dunkel“. Gespielt werden soll das „quasi allegretto“ also „gleichsam fröhlich“. Nicht jede Fröhlichkeit ist Ausdruck von Glück.

Anton Webern empfiehlt Herschkowitz auf wärmste

Als der 21-Jährige Philip Herschkowitz 1927 in Wien ankommt, wird ihm die Dodekaphonie zur kompositorischen Sprache: Er nimmt Unterricht bei Berg bis zu dessen Tod 1935. Dann übernimmt ihn Anton Webern. „Filip Herzcovici, der nun schon seit einer ganzen Reihe von Jahren bei mir Komposition studierte, sei hiermit auf das wärmste empfohlen“, gibt er ihm 1939 ein Empfehlungsschreiben mit.

Das wird er auf der Flucht stets bei sich führen. Ein Heiligtum. „It’s a concert about ­lineage“, sagt Sara Hershkowitz, also über Verwandtschaft – aber mehr noch über künstlerische Abstammung. Auch, weil das Verhältnis von Philip Herschkowitz zu seinen Lehrern so innig war. Zu Berg etwa. Den besucht er am Ende täglich im Hospital, und witzelt mit ihm über dessen Sorge, bei einer Transfusion das Blut eines Operettenkomponisten erhalten zu haben. Berückend zärtlich klingen die Briefe an die Meister: fast wie Liebesbriefe.

Von Berg stehen am Donnerstag frühe Lieder auf dem Programm, und „im Grunde müsste man auch Webern spielen“, sagt Haas, „der war sehr prägend“, aber ein Konzert kann nicht alles leisten. Auch auf der anderen Seite, der Nachfolge: Edisson Denissow und Jelena Firsowa, von denen Werke erklingen, repräsentieren eine Vielzahl SchülerInnen.

Wie sie sind auch Sofia Gubaidulina und Andrei Wolkonski einst zu Herschkowitz’ kümmerlicher Moskauer Wohnung gepilgert, auch Natalja Gutman, Alexei Ljubimow, Oleg Kagan, all die großen Namen, um sich verbotenerweise von ihm unterrichten zu lassen, die Stunde à drei Rubel. „Es ist schwer, jemanden zu finden, der mehrere Komponisten-Generationen so stark beeinflusst hat“, wird Großkomponist Alfred Schnittke 1989 in einem Nachruf auf Filip Moiseevich Gershkovich schreiben, seinen Lehrer.

Erst 1939 gelingt ihm die Flucht

Erst am 8. September 1939, viel zu spät eigentlich, war Philip Herschkowitz die Flucht aus Wien gelungen. Sein Ziel ist Italien. Er landet in der Bukowina, in Czernowitz, das sowjetisch ist. Er bekommt dort einen Job als Dirigent. Okay, es ist nur ein Schülerorchester, aber was ein Glück! Ein Konzert wird angesetzt, für den 22. Juni 1941, eine grausame Pointe: Am 22. Juni 1941 überfallen die Deutschen die Sowjetunion.

Herschkowitz packt ein Paar Schuhe ein und zieht sich, es ist herrlichstes Sommerwetter, den Wintermantel an und geht los. In Taschkent, 4.500 Kilometer weiter östlich, wird er erst anhalten. Dort überlebt er den Krieg. Danach will er nach Wien. Er landet in Moskau. Will weg. Darf aber nicht. Will veröffentlichen. Darf aber nicht. Komponieren – darf er erst recht nicht. Leben? Wird ihm schwer gemacht: Als Antwort auf einen Ausreiseantrag wird Herschkowitz 1979 die Mitgliedschaft im Sozialfonds für Musiker gekündigt. Begründung: das „Nichtvorhandensein schöpferischer Tätigkeit“. So lacht der Sowjetmensch.

Am Ende, Gorbatschow regiert schon seit zwei Jahren, lässt man ihn doch ziehen, früh genug, um im geliebten Wien zu sterben. Einen Grabstein stiften ihm Jahre später treue SchülerInnen. Sein musikalischer Nachlass liegt in der Wienbibliothek, in zwei Archivboxen, unediert: Man hat Philip Herschkowitz vernichten wollen, seine Musik auslöschen wollen und ungeschehen machen sein Werk. Gerettet ist es noch nicht.

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