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Hetero-Trend AlertDer Mann außerhalb des Bildmittelpunkts

Donata Künßberg

Kommentar von

Donata Künßberg

Auf Social Media zeigen heterosexuelle Frauen immer seltener ihre Partner. Liegt das etwa daran, dass es jetzt peinlich ist, einen Boyfriend zu haben?

Männer verschwinden aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit – zumindest auf Social Media Foto: Bert Brown/getty images

D er Autorin Chante Joseph ist aufgefallen, dass Frauen in hetero Beziehungen ihre Partner seltener in den sozialen Medien zeigen. Da ist noch eine Männerhand am Bildrand zu sehen oder vielleicht ein Hinterkopf: Der Mann ist aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit verschwunden.

Dass das vorher anders war, und insbesondere Tiktok ein Abbild des Patriarchats darstelle, hatte rund zwei Jahre zuvor der Blogger „Tell the Bees“ im Artikel „Boyfriendland“ dargelegt: Jede Woche ging da ein neues Skript für Videocontent als „Tiktok-Trend“ um die Welt. Immer wieder wurde das Schema aus Absenderin und männlichem Protagonist neu geremixt: Seht euch meinen Mann an! Seht seine Spezialinteressen, seine Golden-Retriever-Energie. Hier bereite ich ihm ein gesundes Mahl zu, hier lege ich seine Kleidung raus.

Aber jetzt, so Chante Joseph, ändert sich etwas: Der Exodus aus dem „Boyfriendland“ hat begonnen. Mehr noch: Einen Mann zu haben, ist peinlich geworden. Offenbar hat sie einen Nerv getroffen: Nur eine Woche, nachdem „Is Having a Boyfriend Embarrassing Now?“ Ende Oktober erschien, hat die Autorin 300.000 Tiktok-Follower*innen hinzugewonnen.

Es zeugt geradezu von Medien­kompetenz, seinen Partner nicht mehr zu posten

Beziehungen nicht in die sozialen Medien zu übertragen, ist dabei eigentlich schon länger Common Sense: Alle, die in den letzten 15 Jahren online waren, haben mal irgendwo gelesen, dass Paare, die sich online als besonders verliebt darstellen, weniger stabile Verbindungen haben als die, die keine Validierung von außen brauchen.

Ist es „republican“ einen Freund zu haben?

Es zeugt also geradezu von Medienkompetenz und digitaler Literarizität, seinen Partner nicht (mehr) zu posten. Wer will schon unsicher wirken? Außerdem, aus dem Publikum heraus beobachtet, ist das Thema auserzählt. Individuelle Beziehungen mögen hochgradig verschieden sein, die Formate, mit denen mitgeteilt wird, in eine solche verwickelt zu sein, sind es nicht.

Die Scham aber, überhaupt eine Beziehung zu einem Mann zu haben, ist neu. Auf der Suche nach Gründen dafür fand Joseph verschiedene Antworten. Besonders einprägsam klingt das Zitat einer nicht namentlich genannten Person, die schreibt, es fühle sich „republican“ an, einen Freund zu haben. Gemeint ist die US-amerikanische Partei der Republikaner, die Abtreibungsrechte einschränken, offen über die Abschaffung des Wahlrechts von Frauen nachdenken und Rollenbilder propagieren, die auf einer idealisierten oder sogar ausgedachten Version der Vergangenheit beruhen.

„Wir reden wirklich weniger über Typen als früher“, sagt meine Freundin, als ich ihr von dem Artikel erzähle. „Aber wenn ich neue Leute kennenlerne, haben die eigentlich alle jemanden. Es wird viel so getan, als gäbe es keinen Freund. Aber am Sonntagabend sitzen dann doch alle mit jemandem auf dem Sofa und schauen Trash-TV.“ Sie hat auch jemanden. Ich bin sogar mit einem Mann verheiratet! Und ich mag ihn!

Tradwife- und Manosphere-Content

Chante Joseph hat viele solcher Nachrichten erhalten, nachdem ihr Text erschien. Das Bedürfnis danach, sich vom Boyfriendland abzugrenzen, ist verständlich. Klar ist, dass der Trend, Männer aus dem Fokus zu nehmen, unter anderem in Tradwife- und Manosphere-Content seine regressiven Gegenstücke hat und keinesfalls die Gegenwartskultur als Ganzes abbildet. Im Internet trennen nur ein paar Scrolls die Sätze „Dating als Frau ist ein Ritual der Erniedrigung“ und „Ich ordne mich freudvoll meinem Ehemann unter, denn er ist der Anführer und Beschützer unserer Familie“ voneinander.

Irgendwo auf diesem Spektrum sitzt die eigene hetero Beziehung. Missverständnisse darüber, wo genau, lassen sich bildkompositorisch verringern. Der männlich gelesene Hinterkopf am Bildrand bedeutet also weniger, dass wirklich der Partner selbst peinlich ist, sondern eher, dass die verpartnerte Frau nicht für eine Befürworterin der eigenen Entmündigung gehalten werden möchte.

Es ist ein visuelles Signal über sie selbst: Ich passe mich nicht an die Bedürfnisse und Ansprüche eines Typen an, liebe keinen Mann bedingungslos, ich werde nicht in wenigen Wochen meine Persönlichkeit ändern, um einem Mann das sichere Gefühl zu geben, bedingungslos geliebt zu sein. Wenn wir uns unterhalten, besteht das Gespräch den Bechdel-Test, denn es wird sich nicht um den Mann drehen, an dem ich interessiert bin. Kurz gesagt: Ich habe andere Themen als eine Cis-Hete zu sein.

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Donata Künßberg
Social Redakteurin
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1 Kommentar

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  • Wenn ich solche Artikel lese, bin ich einfach nur froh, 2018 sämtliche Plattformen des Social Media (war eigentlich nur Facebook) verlassen zu haben.



    Was sich die Leute für ihre Selbstdarstellung nach außen überlegen, ist einfach nur ungesund.