Hilde Schramm über ein schwieriges Erbe: Kontaminiertes Geld

Versuch, zurückzugeben: Hilde Schramm, die Tochter von Hitlers Chefarchitekt Albert Speer, über ihr lebenslanges Engagement von AL bis zur Stiftung „Zurückgeben“.

Aus der Bildersammlung Albert Speers: Arnold Böcklins Darstellung der Campagna (1859, Ausschnitt). Bild: Arnold Böcklin

Dr. Hilde Schramm, Erziehungswissenschaftlerin, studierte Germanistik, Latein, Soziologie u. Erziehungswissenschaften. Sie arbeitete nach dem 2. Staatsexamen als Soziologin u. habilitierte Erziehungswissenschaftlerin i. d. Lehrerbildung a. d. Freien Universität Berlin. 1961 heiratete sie den späteren FU-Germanistikprofessor Ulf Schramm (er starb 1999), bekam 2 Kinder. 1968 Gründung der Großfamilien-Hausgemeinschaft in Lichterfelde West (zur strikten Vermeidung der üblichen Kleinfamilienstrukturen).

Für die AL war sie mehrere Jahre Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und 1989/90 dessen Vizepräsidentin. Im Lauf ihres Lebens initiierte und unterstützte sie viele Projekte, vor allem solche, die sich auf vergessene Nazi-Opfer beziehen (auf Zigeuner, Homosexuelle, sog. Asoziale u. a.). 1994 Mitbegründerin der STIFTUNG ZURÜCKGEBEN zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft. Anlass war eine Erbschaft. 2004 wurde sie Vorsitzende des Vereins KONTAKTE/KOHTAKbI e.V. Gemeinsam mit dem Gründer Eberhard Radczuweit setzte sie sich ein für ehemalige sowjetische kriegsgefangene Zwangsarbeiter, die keinerlei Ansprüche geltend machen konnten. (Sie ist noch heute im Beirat).

2004 erhielt sie von der Stadt Berlin den Moses-Mendelssohn-Preis (für ihr Lebenswerk). Ihr Preisgeld von 10.000 Euro gab sie KONTAKTE e. V. und der STIFTUNG ZURÜCKGEBEN. Sie ist Herausgeberin und Verfasserin mehrerer Bücher, zuletzt „Meine Lehrerin Dora Lux“ (Hamburg 2012). Hilde Schramm wurde 1936 in Berlin geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie von 1938–1945 auf dem Obersalzberg (innerhalb des „Führersperrgebietes), 1946–1955 lebte sie mit der Mutter und den 5 Geschwistern zusammen im Heidelberger Haus ihrer Großeltern väterlicherseits.

Ihr Vater, Albert Speer, war Hitlers Chefarchitekt u. ab 1942 der Manager d. deutschen Kriegswirtschaft u. Rüstungsproduktion. Er hat das Zwangsarbeitersystem perfektioniert und benutzte fast 8 Millionen Zwangsarbeiter, um die Rüstungsproduktion um das 3- bis 6fache zu erhöhen. (1946 wurde er im Nürnberger Prozess gegen d. Hauptkriegsverbrecher zu 20 Jahren Haft verurteilt und saß im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis d. Alliierten bis zur Entlassung 1966.)

Hilde Schramm wohnt quasi bei uns um die Ecke, in einer dieser großen alten Villen mit Ziegelornamenten und Kutscherhäuschen im Garten hinter dem Haus. Das repräsentationslüsterne, in der Gründerzeit reich gewordene Bürgertum hat sich diese Häuser zwischen 1860 und 1900 in der Lichterfelder Villenkolonie bauen lassen. Sie war übrigens die erste durchgeplante Villenkolonie des Deutschen Reiches und zeichnet sich durch eine derartige architektonische Vielfalt aus, dass man sich heute fragen muss, wo eigentlich der Einfallsreichtum und die Originalität der Architekten geblieben ist.

Im düsteren Flur riecht es nach Weihrauch und Myrrhe. Wir folgen Frau Schramm eine gewundene Holztreppe hinauf in die seitliche erste Etage, wo sie drei ineinander übergehende, große Räume bewohnt. Einer dient mehr der Repräsentation, der mittlere ist Arbeitsraum mit Bücherregalen, Ordnern und rundem Tisch, und nebenan, im hellsten, hat sie ihr privatestes Reich und auch einen Balkon zum Garten hin. Wir werden an den runden Tisch gebeten, mit Tee und Süßem bewirtet und fragen, ob die WG noch existiert.

Ungleichheit ruiniert jedes Zusammenwohnen

„Im Prinzip ja, aber nicht mehr in der alten Konstellation natürlich. Einige sind gestorben, eine bekam Alzheimer – die haben wir hier gepflegt bis zum Tod, was sehr schwierig war, aber wir haben durchgehalten. Man kann sagen, unser Konzept hat funktioniert, auch mit anderen Bewohnern später. Wir haben von Anfang an gesagt: Kein Zwang, keine Ideologie. Und wir waren uns klar, Ungleichheit ruiniert jedes Zusammenwohnen.

Ungleichheit in der Art, dass die einen, denen das Haus gehört, die es gekauft haben, keine Miete zahlen – insofern Nutzen bzw. Profit aus dem Haus ziehen –, während die anderen, denen nichts gehört, dadurch auch noch eine höhere Miete zahlen müssen. Wir haben uns entschlossen, dass die, die dieses Haus besitzen, gleich viel an Miete zahlen wie die anderen auch. Damals hatten wir noch die Formel: Wir haben Privateigentum und wir vergesellschaften es. Aber das hat sich gehalten bis heute, wo das Haus mir alleine gehört und andere Mieter hier wohnen. Es hat sich bewährt!

Wir haben ausgesprochen bezahlbare Mieten, 3,34 Euro mit allen Betriebskosten, also bruttokalt. Leider steigen die Heizkosten wieder im Moment. Ich liege so bei insgesamt 600 Euro warm im Moment. Wir haben jetzt eine ökologische Sanierung der Fenster gemacht und wir wollen unsere Heizung umstellen auf Kraft-Wärme-Koppelung, wenn sich wieder Geld angesammelt hat. Und, was uns noch sehr nützlich war, wir hatten immer mehrere Küchen, so dass man sich ausweichen kann, wenn man das möchte, oder wenn andere Leute nachziehen.

Ungeheures Privileg

Also das war ein ungeheures Privileg, dass mir dieses Erbe zugekommen ist, schon in so jungen Jahren. Nein, nicht von meinem Vater! Es stammt von den Eltern meines Vaters, die sehr wohlhabend waren, ein großes Haus in Heidelberg hatten, Gründerzeit – nicht geerbt, sondern selbst gebaut. Mein Großvater war Architekt. Aber das Erbe hat mein Vater – der ja im Gefängnis war – nicht bekommen. Er wurde übersprungen nach dem Krieg, damit es nicht konfisziert wurde. Es ging gleich an uns und wir haben relativ früh ziemlich frei drüber verfügen können, so dass wir vorzüglich studiert haben und ich auch einen Teil in das Hausprojekt stecken konnte. So ein Haus, das ist doch was Gescheites?!

Als mein Vater dann wieder da war, hatte er erst mal keine Einnahmen, das Vermögen seiner Eltern hatten ja wir, und eine Pension hat er aus verständlichen Gründen nicht erhalten. Wir hätten ihm ja was gegeben? Aber er hat dann bald von seinem Buch, den ERINNERUNGEN gelebt, sehr gut, sehr komfortabel gelebt. Das geht uns aber nichts an.“ (Er war einer der bestverdienenden Bestsellerautoren der Nachkriegszeit, alleine die 1969 erschienen „Erinnerungen“ wurden in 16 Sprachen übersetzt. Ähnlich die 1975 erschienenen „Spandauer Tagebücher“, Anm. G. G.)

„Ich will es mal kurz darstellen, so gut ich es kann: Er hat sich ein Haus gekauft im Allgäu, weil ihm der Trubel um seine Person oft zu viel wurde, und er hatte den Heidelberger Hausstand, dafür brauchte er auch Geld und für viele andere Dinge … er hatte einen sehr hohen Lebensstandard gehabt. Keine Frage. Er hat verschwenderisch gelebt, aber das ist ein anderes Thema. Und ja, es stimmt, er hat viel Geld gespendet, auch an jüdische Wohlfahrtsorganisationen, regelmäßig, anonym! Und er hat auch viele Leute unterstützt, auch seinen Bruder. Er hat viel Geld weggegeben, Summen kann ich nicht nennen, aber ich weiß, dass er großzügig war. Es wurde allmählich aber weniger und weniger, es gingen auch die Auflagen zurück. Ich denke, er hat es verbraucht, von Resten abgesehen.

Aber wie dem auch sei. Ich habe von meinem Vater, also aus dem, was er während der NS- Zeit erworben hat – Vermögen oder was immer –, nur die Bilder geerbt. Nachher kam noch Geld aus dem Haus im Allgäu – das hat mein Bruder übernommen – und meinen Anteil habe ich voll und ganz an KONTAKTE gegeben. Das Geld kam aus dem Buch und damit wollte ich nichts zu tun haben. Mit den Bildern war es so, mein Vater hatte damals, bis 1943, eine Reihe von Bildern gekauft. Dann galten sie als im Krieg verschollen, verbrannt. Nachdem sie wieder aufgetaucht sind – vorher waren sie ja bei Herrn Frank ’untergetaucht‘ –, hat mein Vater dann auch verkaufen lassen, anonym, über das Auktionshaus Lempertz in Köln. Und was dann übrig blieb … das einzig richtig wertvolle Bild war ja eins von Böcklin, davon hatte ich auch einen Anteil … Ach, es war alles sehr kompliziert …“

Anhand meiner Recherchen, versuche ich mal die Geschichte der Bildersammlung – die hier ja eine zentrale Rolle spielt – kurz zu skizzieren: A. Speer kaufte zwischen 1937 und 1943 eine stattliche Anzahl von Gemälden (vor allem aus der Frühromantik) bei HABERSTOCK, dem Hauptkunsthändler des NS (Lieferant für Hitler, Goebbels, Göring, Bormann, und Beschaffer für das „Führermuseum Linz“. Er profitierte von den jüdischen Zwangsverkäufen und war ab Kriegsbeginn auch als „Aufkäufer“ in den überfallenen und besetzten Ländern unterwegs. Bilder, die durch seine Hände gegangen waren, trugen eine Kennzeichnung auf der Rückseite des Rahmens. 1943 allerdings fiel er in Ungnade und trat aus der Partei aus).

Recherchen in Mexiko

In den letzten Kriegstagen übergab Speer seine Sammlung zu treuen Händen an Robert Frank (Jahrgang 1879 und von 1927 bis 1933 Generaldirektor der Preußischen Elektrizitätswerke. Er war ihm so eine Art väterlicher Freund). Frank und seine Frau Marguerite wanderten nach dem Krieg mit den Bildern nach Mexiko aus. Er hat die Sammlung später als verbrannt und verschollen erklärt. Franks lebten später wieder in Deutschland, in Bad Honnef. Dort starb er 1961, seine Frau starb 1978. Der Testamentsvollstrecker fand bei der Durchsicht zufällig regelmäßige jährliche Überweisungen an ein Speditionshaus in Mexiko, Mietzahlungen für 2 Container.

Bei seinen Nachforschungen in Mexiko fand er die Bildersammlung Speers in diesen Containern (u. a. Böcklins Campagna-Landschaft, Gemälde seines Lehrers Schirmer oder auch von Architekten wie Schinkel und Klenze). Es gab dann 1979 zwischen Franks Erben und Speer (er hatte keinen Eigentumsnachweis) eine private Vereinbarung, die inzwischen nach Deutschland geholte und beim Auktionshaus Lempertz gelagerte Sammlung zu teilen. Speer bestand u. a. auf dem Böcklin. Die Erben verkauften sofort.

Speer ließ peu à peu und in aller Diskretion einige Bilder über Lempertz verkaufen, wobei das Auktionshaus vorsichtshalber prüfte, ob die Bilder „restitutionsverdächtig“ sind. Albert Speer starb 1981. Seine Frau Margarete starb 1987. Danach wurden die verbliebenen Bilder, bzw. deren Erlös, unter seinen 6 Kindern aufgeteilt (darunter der von Böcklins Campagna-Landschaft von 1859).

Hilde Schramm sagt: „Ich habe das Bild nie gesehen. Es hängt jetzt irgendwo im Museum, als Stiftung. Ich selbst habe auch damals noch mal nachgeforscht, bei den Bildern jedenfalls, die ich hatte, ob da nicht doch ehemaliges jüdisches Eigentum mit dabei ist, aber im Berlin-Museum konnte mir auch niemand weiterhelfen. Es war mir dann auch egal. Ich hätte es gerne gewusst. Keine Frage, aber das war nicht mein Kriterium. Selbst wenn es stimmen sollte, dass diese Bilder und alles, was mein Vater sonst noch an Antiquitäten und Stoffen usw. erworben hat, nun zufällig nicht aus jüdischem Besitz stammen sollte, dann hat er dennoch das Geld dafür ’verdient‘, indem er einem Unrechtsstaat gedient hat.

Mein Vater, der Hauptkriegsverbrecher

Mein Vater war einer der Hauptkriegsverbrecher. Das war für mich entscheidend. Ich wundere mich allerdings manchmal, dass ich vorher nie über die Bilder nachgedacht hatte. Aber die gingen mich ja nichts an. Ich lebte ja nicht mehr in Heidelberg. Und wie mein Vater sein Leben bestritt, das war doch nicht mein Thema. Und nach seinem Tod wollte ich mit seinem ganzen Erbe nichts zu tun haben! Auch als dann nach dem Tod meiner Mutter das plötzlich mit seinen Bildern kam, saß ich da und sagte: Nein, davon will ich nichts! Aber da hat mein Bruder Albert gesagt: ’Nimm’s, du kannst doch was anderes daraus machen!‘ Und ich muss sagen, er hat Recht gehabt.

Es waren dann so etwa 150.000 Mark, die ich aus dem Verkauf bekam. Im Grunde kein großes Vermögen. Aber mir war klar, ich will es nicht verbrauchen, nicht verkonsumieren, nicht vererben. Ich will damit etwas Vernünftiges machen! Damals war dieser Krieg in Jugoslawien – ich war ziemlich aktiv in der Friedensbewegung, sobald der Krieg losging, gleich am Anfang – und ich hatte zusammen mit einer Frau, Bosiljka Schedlich (macht seit 1991 den Verein Südost-Europa-Kultur e. V. in Berlin, Anm. G. G.) und Leuten aus Ex-Jugoslawien und mit Leuten aus der Friedensbewegung eine Initiative gegründet, zur Unterstützung der Friedensbewegung dort.

Auf alle Fälle habe ich dann Faltblätter gemacht und Geld eingeworben, das hat alles hier stattgefunden“, sie pocht auf die Tischplatte, „an diesem ehemaligen Kinderladentisch. Und im Niemöller-Haus. Wir haben Veranstaltungen gemacht, Geld hin geschickt – ich habe mein eigenes auch immer dazugegeben. Das waren keine riesigen Summen, aber es war der richtige Weg. Damals dachte ich, warum gebe ich nicht das ganzes Geld da rein?!

Dann habe ich aber, bevor ich diesen Entschluss gefasst habe, mit ein paar Freundinnen zusammengesessen – wieder hier an diesem Tisch! Ich sagte, helft mir, sagt mir, wie ich mein Geld sinnvoll verwenden kann. Es war Birgit Rommelspacher dabei, Marlis Dürkop, Christine Holzkamp war, glaube ich, auch dabei. Und da kam dann von Birgit die Idee für solch eine Stiftung. Sie hatte damals grade ein Projekt Antirassismus, wohl auch mit Frauen. Die Idee für die Stiftung wird immer mir zugeschrieben, aber das ist falsch. Manches war in meinem Leben meine Idee, das mit Ex-Jugoslawien, das war meine Idee. Und bei KONTAKTE, das Kriegsgefangenen-Zwangsarbeiter-Projekt, das war, glaube ich, auch meine Idee.

Aber die Stiftung ZURÜCKGEBEN war überhaupt nicht meine Idee! Beim Jugoslawienprojekt wäre das Geld weg gewesen. Wir haben uns gesagt, wir müssen was draus machen, was beständig ist. Etwas, das einen inhaltlichen Bezug hat zur Herkunft des Geldes. Dann kam schon der Vorschlag mit der Förderung jüdischer Frauen. Daraus entstand dann eine Initiativgruppe, aus zum Teil sehr radikalen jüdischen Feministinnen und Nichtjüdinnen, es war durchaus kompliziert – ich denke, ganz unterschwellig gab’s auch ein Problem mit mir. Ich kann das ja verstehen. Es ist ja schwer, dieses Geld anzunehmen, weil es kontaminiertes Geld ist. Den Namen ZURÜCKGEBEN hat dann eine jüdische Frau eingebracht.

Wir haben es hingekriegt und die Stiftung 1994 gegründet, vier Frauen, Irene Anhalt, Birgit Rommelspacher, ich – und eine Frau, die jetzt nicht mehr genannt werden will. Mit dem, was ich eingebracht habe, und dem, was auch andere noch eingebracht haben, hatten wir nachher 180.000 DM. Für ein Stiftungskapital eigentlich viel zu klein. Wenn man es mal mit der BEWEGUNGSSTIFTUNG vergleicht, die fingen 2002 mit 500.000 Stiftungskapital an – junge Erben, mit hoher Professionalität – und sie sind jetzt bei 5 Millionen. Soziale Bewegungen zu fördern, das spricht eben mehr an, besonders die alten Linken, die Geld haben!

Ethisch, sozial und ökologisch

Es ist wahnsinnig toll, was die Stiftung macht, wunderbar! Heute übrigens feiern sie ihr 10-jähriges Bestehen. Wenn ich noch Geld hätte, es nicht schon hergegeben hätte, ich hätte es da reingegeben, ganz sicher! Sie haben uns auch schon beraten, es hat aber nicht viel genutzt. Es gehen viel zu wenig Spenden ein. Unser Stiftungskapital ist den vergangenen 18 Jahren auch nur mäßig angestiegen. Wir legen es ethisch, sozial und ökologisch an – so haben wir wenigstens keine Spekulationsverluste gehabt.

Es bewegt sich jetzt bei 150.000 Euro. Es bleibt natürlich unangetastet, aus den Kapitalerträgen bezahlen wir nur unsere Bürokosten, Miete usw. Also bei uns wird niemand bezahlt, alle arbeiten ehrenamtlich. Wir haben eine sehr gute Sponsorin für die Öffentlichkeitsarbeit, für die Flyer und alles.

Bei uns werden alle Spenden, ohne jeden Abzug ihrem Zweck zugeführt! Das ist auch für die Spender wichtig, dass sie wissen, wo ihr Geld hingeht: Es geht direkt in die Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft. Insgesamt wurden bisher 92 Frauen gefördert, davon einige mehrmals. Die Gesamtsumme? In 18 Jahren waren das 282.450 Euro, bis Februar 2012. Unter den Geförderten sind überwiegend freiberuflich tätige Frauen, Berufsanfängerinnen, Migrantinnen aus Osteuropa. Es sind Musikerinnen, Tänzerinnen, Filmemacherinnern, Künstlerinnen jeglicher Art oder auch Wissenschaftlerinnen, die historische Sachen machen zum Thema.

Mehr als 90 Prozent der Projekte beschäftigen sich mit jüdischen Themen, obwohl die Ausschreibung da keinerlei Vorgaben macht. Wir haben ein Jahresbudget von etwa 20.000–25.000 Euro. Es hat sich jetzt so eingependelt, dass jede Frau so etwa 3.000 Euro bekommt. Die jetzige Jury tendiert dazu, möglichst viele Frauen zu fördern, es war schon mal anders, damals hat eine Frau praktisch alles gekriegt. Das Problem ist eben, es gehen leider weit mehr Anträge ein, als die Stiftung fördern kann, weil es uns an Spenden fehlt.

Anfangs, als wir uns alle zusammentaten, da waren wir noch der Meinung, das zündet! Kontaminiertes Geld ist ja in der ganzen Gesellschaft unterwegs und interessiert auch die Enkel noch. Wir haben viel Aufklärungsarbeit gemacht und die ’Nachwirkungen‘ immer sehr breit gefasst, absichtlich, es ging uns nicht nur um ererbtes Geld oder Gegenstände, es ging uns auch um die ganz alltägliche Vorteilsnahme. Um rasche Berufskarrieren, durch Berufsverbote, Vertreibung und Deportation der Juden. Aufschwung bei den Geschäftsleuten, durch den Ausschluss der Konkurrenz, um freie Wohnungen, Häuser, Läden, Arzt- und Anwaltspraxen, um Geschäfte- und Geschäftsverbindungen.

Immense Gewinne

Im Krieg bekamen Ausgebombte eine neue Ausstattung aus dem Fundus und so weiter. Und auch nach dem Krieg war das ja mit der Währungsreform nicht zu Ende, wie wir wissen. Auch die deutsche Nachkriegswirtschaft, der Staat, die deutsche Bevölkerung, hat von der Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis noch ganz erheblich profitiert.

Ganz wichtig, das will ich hier noch einschieben, sind auch die immensen Gewinne, die mit der Ausbeutung der Arbeitskraft von Millionen von Zwangsarbeitern im NS gemacht wurden. Das geht in der öffentlichen Wahrnehmung immer unter. Wir haben damals bei KONTAKTE das ganze Elend der alt gewordenen Zwangsarbeiter in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kennengelernt. Zu einer sog. Entschädigungsregelung kam es ja erst 60 Jahre nach Kriegsende und die Auszahlungen dauerten 7 weitere Jahre, so dass einige sie gar nicht mehr erlebt haben. Und diejenigen ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen, die zu den unmenschlichsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, gingen vollkommen leer aus.

Sie stellten vergeblich Anspruch auf Kompensation für geleistete Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft und wurden abgewiesen. Kriegsgefangene Zwangsarbeiter haben, so der Bescheid 2003, ’keine Leistungsberechtigung‘ nach deutschem Recht. Wir kamen dann auf die Idee, selbst die Initiative zu ergreifen, und haben angefangen Spenden einzuwerben. Seither sammelt KONTAKTE sehr erfolgreich private Spenden und vergibt 300 Euro an jede Person. Es ist nur, wenn überhaupt, ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Aber es ist wichtig für die Betroffenen, überhaupt mal wahrgenommen zu werden. Es gibt viele erschütternde Briefe.“ (KONTAKTE/KOHTAKbI e.V. veröffentlicht seit 2004 auf seiner Webseite die „Freitagsbriefe“ von ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Briefe von 2004–2006 wurden als Buch veröffentlicht: „Ich werde es nie vergessen“, Berlin 2007. Anm. G. G.)

„Was ich vorhin sagte, war: Alle diese Gewinne haben sich bis heute entsprechend vermehrt und wurden Bestandteil des Reichtums in diesem Land, den alle zu spüren bekamen. Die ’Wirtschaftswunder-Kinder‘ der gut situierten Eltern bekamen ihre Ausbildung, ihr großzügiges Studium, ihre ganze Sicherheit bezahlt, quasi mit kontaminiertem Geld. Sie haben sozusagen ihre gesamte soziale Struktur daraus bezogen. Daran sind sie natürlich nicht schuld, aber man sollte es wissen. Die jüdischen Nachkommen der Überlebenden hatten kein schützendes familiäres Netz, ihre Kinder und Enkel müssen bis heute mit den spürbaren Folgen fertig werden. Und wir als Stiftung ZURÜCKGEBEN appellieren an unsere Erben. Es geht ja eigentlich nur um eine kleine Geste, um eine Geste der Anteilnahme.

10.100 Milliarden Dollar Reinvermögen

Man muss sich das mal klar machen: Insgesamt verfügen „die privaten Haushalte“ in Deutschland über ein Reinvermögen von 10.100 Milliarden Euro. Davon ist ein erheblicher Teil kontaminiert. Aber das ist nur sehr schwer zu vermitteln. Mir ist in meinem Leben klar geworden, dass man immer hingucken muss – gestern und heute –,wie verdienen Leute ihr Geld, durch wessen Ausbeutung. Da bin ich stur, an dieser Stelle, und ich sage es noch mal: Der ganze Reichtum, der heute erworben ist, der ist nicht unschuldig – überhaupt nicht! Man sollte sehen, wie viele unterschiedliche Formen von Vorteilsnahme auf Kosten anderer an unserer Geschichte hängen.

Sie und ich und unsere Nachgeborenen sind die Erben. Da gibt es natürlich viel Abwehr. Schon allein beim Wort ’ZURÜCKGEBEN‘. Das ist mit Schulden verknüpft, Geborgtes gibt man zurück. Bei zu Unrecht Genommenem kommt die Schuld ins Spiel, für Geraubtes wird Rückgabe gefordert. Damit will niemand was zu tun haben, das widerspricht dem Selbstbild der bürgerlichen Ehrvorstellungen. Also das Spenden wird bei uns nicht leicht gemacht. Zu wissen, man kann nichts ’wieder gutmachen‘, es gibt keine Freisprechung, man kann nicht auf Dankbarkeit zählen, das motiviert nicht.

Man bekommt nichts zurück, weil man es ja bereits hat. Jeder, der spendet, bekommt vielleicht das Gefühl, ich setze mich dem Verdacht aus, ’unrechtes Gut‘ zu besitzen, ich bekenne mich jetzt sozusagen schuldig. Das Ganze provoziert Abwehr. Keine Frage.

Ich möchte eben besonders auch die ansprechen, die zwar viel verstanden haben, aber trotzdem ihr Erbe weiter so verwenden, als gäbe es den Zusammenhang gar nicht. Und jetzt rede ich mal wieder von mir: Ich bin doch heilfroh, dass ich das Zeug losgeworden bin. Dass ich damit auch noch was Sinnvolles machen konnte.“ Ich werfe ein: „Und dann hatten sie auch noch das Meiste davon. Es ist eine Tatsache, dass ’Wiedergutmachung‘ immer übertroffen wird von der Wiedergutwerdung, ob man das nun so will oder nicht.“ Sie sagt, ohne jede Erregung: „Keine Frage! Das habe ich auch selbst schon so formuliert.

Was soll ich machen?! Es gibt auch reichere Erben mit kontaminiertem Geld. Und es gibt auch andere Versuche, sich mit der Familiengeschichte auseinander zu setzen. Also ich habe die Biographie ’Der Vater‘ gelesen, von Niklas Frank.“ (Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur im besetzten Polen, auch genannt „der Judenschlächter“. Er wurde als Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode verurteilt, Anm. G. G.). „Er macht eine gnadenlose Abrechnung und bleibt dann zurück in seiner Reinheit, hat die weiße Weste an. Also ich habe keine weiße Weste. Meinem Gefühl nach nicht. Das ist nicht mein Part, dieses Schädelspalten. Aber er hatte ja vielleicht wirklich Eltern, wo das eher geht. Bei meinen geht es nicht. Mein Vater, meine Mutter haben gute Züge gehabt. Das ist das Problem.

Ich will nicht über meinen Vater sprechen

Ich habe jedenfalls den anderen Weg gewählt und ich hatte das Glück, unter diesem Dach der Stiftung untergekommen zu sein. Ich wollte mich eigentlich im Hintergrund halten, gleichzeitig aber habe ich versucht, die Stiftung über Fernsehauftritte und Interviews bekannt zu machen, nicht aus Eitelkeit, sondern damit Geld dazukommt. Das ist ein Zwiespalt. Die Leute wollen unbedingt eine Identifikationsfigur. Und natürlich musste ich immer über meinen Vater reden und das transportiert aber was Falsches, denn es entlastet die anderen, in einem gewissen Sinn, die keinen solchen Vater haben.

Das mache ich jetzt nicht mehr, ich sage bei Interviews oder Diskussionen immer, ich will nicht über meinen Vater sprechen! Und es gibt noch ein anderes Problem: Jetzt, wo die Stiftung bekannt ist, besteht auch die Gefahr, dass sie eine Alibifunktion bekommt, das wollen wir natürlich nicht! Aber ich kann da nichts machen. Ich bin nur Beirätin – neben so bekannten Frauen wie Margarete Mitscherlich, Adrienne Goehler, Christina von Braun u. a. Aber ansonsten habe ich nichts zu sagen, war nie im Vorstand – schon gar nicht in der Jury, die völlig autonom ist und nur aus jüdischen Frauen besteht, und das finde ich auch richtig so …

Ich bin lediglich eine ganz gute Multiplikatorin. Eine Zeitlang waren alle ziemlich allergisch gegen meine dauernde Präsenz in den Medien usw. Ich habe mich dann immer mehr zurückgezogen. Aber nun sitze ich doch wieder hier mit Ihnen, obwohl ich nur eine Mitgründerin bin, nicht die Initiatorin, nicht die Mutter der Stiftung, die Seele auch nicht und schon gar nicht die Sprecherin. Allenfalls so was wie die ’Graue Eminenz‘.“ „Die Geldgeberin“, sage ich, „das interessiert uns.“ „Ja, das war der Anlass. Es ist ein Dilemma, aus dem man nicht raus kommt. Das Ganze …

Und wenn ich jetzt ehrlich bin, kommt noch was ganz Schlimmes. Ich habe auch einen ehrgeizigen Zug. Und ich schmück mich dann auch mit der Stiftung. Jedenfalls wird mir das zugetragen. Und ich bekomme Anerkennung dafür. Habe viele Kontakte. Ich habe gern Politik gemacht, trete auch gerne auf. Das ist so zwiespältig. Ich hätte vermutlich gut Karriere machen können, wenn ich nicht immer im Kopf hätte: Bloß nicht wie dein Vater ehrgeizig werden! Das ist überall? Alles lauert.

Ich glaub, ich hätte wirklich was werden können. Was? Na ja, es ist ja nun egal. Immer, wenn ich wo dabei war, immer dann, wenn es gut wurde, bin ich weg. Man springt über eine Kluft, damit man nicht reinfällt. Ich konnte nichts werden! Obwohl es so einen starken Zug gibt in mir, der das auch will, was werden. Aber der andere, nichts zu werden, der war stärker …“

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