Historiker Schmiechen-Ackermann über die Zukunft der Grenzmuseen: "Es wird zu wenig erklärt"

Bis Samstag treffen sich in Hannover Vertreter von Grenzmuseen. Der Historiker Detlef Schmiechen-Ackermann sagt, was sich ändern muss, damit die Museen bleiben.

Beliebtes Ziel für Schulklassen: Abfertigungsbaracken am ehemaligen Grenzübergang Marienborn. Bild: dapd

taz: Herr Schmiechen-Ackermann, wie muss man sich die Grenzmuseen an der ehemaligen niedersächsischen Zonengrenze vorstellen?

Detlef Schmiechen-Ackermann: Das sind meist wenige Räume, in denen alles ausgestellt wird, was man 1989 bei der Öffnung der Grenze gefunden hat. Dokumente, Fotos, Uniformen, Fahrzeuge. Manchmal gibt es wie in Rüterberg in Mecklenburg auch nur einen einzigen Raum, der von dem einzigen Aktiven in seinem Haus auf eigene Kosten eingerichtet wurde. Ohne die Privatinitiative von Einzelpersonen wären viele inzwischen als wertvoll angesehene Ausstellungsobjekte wahrscheinlich auf dem Müll gelandet.

Was könnte man Ihrer Meinung nach bei den Grenzmuseen verbessern?

Es besteht das Problem, dass zu viel gezeigt und zu wenig erklärt und eingeordnet wird und dass die Ausstellungen von Ort zu Ort sich so sehr ähneln. Sinnvoll könnte es sein, dass man sich an einzelnen Standorten auf Schwerpunkte beschränkt und zum Beispiel in Schnackenburg an der Elbe die Geschichte des Zolls an der innerdeutschen Grenze zeigt, weil dort einst der Sitz des Zolls war. Eine Umgestaltung ist aber nicht einfach – fast alle Museen werden ehrenamtlich und mit großem Engagement geführt und den Aktiven liegt die Präsentation sämtlicher Exponate sehr am Herzen. Außerdem können und wollen wir als Forscher niemandem vorschreiben, wie eine Ausstellung auszusehen hat.

Was fehlt Ihnen vor allen?

Man erfährt nicht selten zu wenig darüber, wie es auf der anderen Seite der Grenze aussah. Außerdem geht es zu wenig um die Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in der Region, zum Beispiel wie die Zonenrandförderung im Westen funktionierte und sich auswirkte. Vor allem aber fehlen Konzepte für die Inventarisierung und Konservierung der Ausstellungsstücke sowie die Bildungsarbeit.

57, ist Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Hannover und Sprecher des Forschungsprojektverbundes "Nationalsozialistische Volksgemeinschaft? Konstruktion, gesellschaftliche Wirkungsmacht und Erinnerung vor Ort". Er hat die am Donnerstag beginnende Tagung "Die Zukunft der Erinnerung an die innerdeutsche Grenze" mit konzipiert.

Haben die kleinen Grenzmuseen in ihrer jetzigen Form eine Zukunft?

Die meisten der Grenzmuseen zählen pro Jahr zwischen 1.000 und 10.000 Besucher, wobei mancherorts nicht exakt gezählt, sondern geschätzt wird. Ob diese Zahlen tendenziell steigen oder fallen, ist schwer zu sagen. Eines der Grundprobleme ist der fehlende Nachwuchs: Fast überall sind es nur wenige Aktive im Rentenalter, die die Arbeit ehrenamtlich leisten. Das sind ja meist sehr kleine Orte abseits großer Zentren, in denen die Jugend abwandert, um einen Ausbildungs- oder Studienplatz zu bekommen. Ohne neue Aktive droht der Hälfte der Grenzmuseen in den nächsten Jahren die Schließung.

Sind darüber vielleicht nicht auch viele Menschen ganz froh, die ihren Wohnort nicht immer nur mit Todesstreifen und Selbstschussanlagen in Verbindung gebracht sehen wollen?

Das glaube ich nicht. Das Interesse an dieser Geschichte ist sicher unterschiedlich groß, aber es passiert selten, dass es darüber zwischen den Bewohnern zu Kontroversen kommt. Ich denke eher, dass die Chancen gesehen werden, durch so ein Museum Touristen in den Ort zu bekommen. Das passiert ja auch tatsächlich an der Elbe, wo viele Radwanderer gezielt Grenzmuseen besuchen. Außerdem wird das Museum selber mancherorts zu einem der wenigen öffentlichen Treffpunkte. In Schnackenburg hat sich nach der Abwanderung des Zolls die Einwohnerzahl halbiert, hier gibt es außer dem Museum nur noch ein Gasthaus und einen Kiosk, der stundenweise geöffnet ist.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Schließung zu verhindern?

Wir können nur Hilfe zur Selbsthilfe anbieten und zum Beispiel neue Ehrenamtliche entsprechend schulen. Klar ist, dass man nicht alle 20 Kilometer an der einstigen Grenze ein gut ausgestattetes Museum mit hauptamtlichen Kräften fordern kann, das ist unrealistisch – ohne Freiwillige wird es auch in Zukunft in den meisten Fällen nicht gehen. Und dieses ehrenamtliche Engagement macht ja auch eine besondere Qualität der Einrichtungen aus, denn die Aktiven sind meist gleichzeitig Zeitzeugen und können aus eigenem Erleben berichten. Außerdem gibt es ja auch einige professionell geführte Grenzmuseen mit hauptamtlichen Mitarbeitern, in erster Linie die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn und das Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen. Die haben einen sehr starken Zulauf, darunter viele Schulklassen.

Inwieweit sollte ein Grenzmuseum auch heutige Grenzen thematisieren – zum Beispiel die Technik, die eingesetzt wird, um zu verhindern, dass notleidende Menschen in die EU kommen?

Eine solche Generalisierung des Themas ist sehr sinnvoll, denn es sollte nicht nur darum gehen, Relikte einer bestimmten Grenze zu bewahren, sondern im Sinne der Demokratieerziehung grundsätzlicher über den Charakter von Grenzen nachzudenken. Ob man alle diese Facetten immer in jedem der kleinen Grenzmuseen umfassend behandeln kann, da bin ich allerdings skeptisch. Die großen Einrichtungen in Marienborn und Teistungen greifen die universelle Dimension des Themas Grenze aber auf.

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