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Historische Entscheidung im LibanonHisbollah soll komplett entwaffnet werden

Die libanesische Regierung hat die Entwaffnung aller nicht-staatlichen Akteure bis Jahresende beschlossen. Der Plan gilt als politisch riskant.

Friedlicher Protest gegen die Entwaffnung: Hisbollah-Anhänger mit einem Plakat „Wir werden die Waffen nicht aufgeben“

Beirut taz | Jetzt ist es amtlich: Die libanesische Regierung hat am Donnerstag Abend beschlossen, die Hisbollah vollständig zu entwaffnen. Das Kabinett hat einem US-Plan zugestimmt, dass bis zum Jahresende alle Waffen im Land unter staatliche Kontrolle fallen sollen. Die libanesische Armee soll bis Ende des Monats ihren Plan für die Abnahme der Waffen vorlegen.

Obwohl die Entwaffnung aller nicht-staatlichen Akteure in der libanesischen Verfassung steht, beschreitet die libanesische Regierung mit ihrer Entscheidung einen Weg, den keine ihrer Vorgänger-Regierungen gegangen ist. Denn seit dem Ende des libanesischen Bürgerkrieges 1990 setzte der Staat sein Monopol auf Waffen nicht durch. Das nutzte nicht nur, aber vor allem, die schiitische Miliz der Hisbollah.

Die Hisbollah wurde 1982 mit Hilfe der iranischen Revolutionsgarden gegründet, um gegen die israelische Besatzung im Süden Libanons zu kämpfen. Nach dem Bürgerkrieg durfte sie ihre Waffen für diesen Zweck behalten. Trotz Abzugs Israels im Jahr 2000 gab die Hisbollah ihre Waffen nicht ab – mit der Begründung, sich künftig gegen israelische Angriffe verteidigen zu wollen. Der Iran unterstützt die Hisbollah ideologisch und finanziell.

Schiitische Hisbollah-Minister*innen verließen am Donnerstag die Regierungssitzung und signalisierten damit Unzufriedenheit, aber nicht ihren Austritt aus der Regierung. In vielen Teilen des Landes protestierten Anhänger der Hisbollah-Partei mit Motorradkorsos und Parteiflaggen.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Der US-Plan sieht eine vollständige Entwaffnung der Hisbollah bis zum Ende des Jahres vor, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Im Gegenzug soll Israel seine Angriffe auf den Libanon einstellen und seine Truppen aus fünf besetzen Stellungen im Süden des Landes abziehen.

Israel soll Truppen abziehen

Laut Plan soll der Libanon in 60 Tagen mit der Umsetzung beginnen, während Israel den Abzug einleitet und libanesische Gefangene frei lässt. Nach 90 Tagen soll Israel sich dann aus weiteren Stellungen zurückziehen. Innerhalb von 120 Tagen sollen dann die verbliebenen schweren Waffen der Hisbollah wie Raketen und Drohnen zerstört werden. Anschließend wollen die USA, Saudi-Arabien, Frankreich und Katar eine Wirtschaftskonferenz für Wiederaufbau-Gelder organisieren.

Informationsminister Paul Morcos sagte nach dem Treffen, das Kabinett habe sich zwar nicht mit den Einzelheiten des Vorschlags befasst, stimme aber dem Ziel zu.

Irans Außenminister Abbas Araghtschi sagte dem staatlichen iranischen Fernsehen, die Entscheidung über eine Entwaffnung liege bei der Hisbollah. Die Hisbollah hatte am Mittwoch verkündet, dass sie die Entscheidung ignorieren werde. Wegen ihrer extrem geschwächten Position nach dem Krieg mit Israel lehnt die Hisbollah eine Debatte über das staatliche Waffenmonopol nicht grundsätzlich ab.

Fast täglich bricht Israel das Abkommen

Die Miliz kooperiert mit der libanesischen Armee, die im Süden Waffenarsenale räumt und Stützpunkte übernimmt. Hisbollah Chef Naim Qassem macht die Abgabe weiterer Waffen davon abhängig, dass Israel sich zuvor aus dem Südlibanon zurückzieht, die fast täglichen Angriffe einstellt, Gefangene freilässt und Garantien gibt, nicht weiter anzugreifen.

Während die Regierung über den Abrüstungsvorschlag abstimmte, wurden bei zwei israelischen Angriffen im Osten des Landes mindestens sechs Menschen getötet und zehn weitere verletzt, meldet das Gesundheitsministerium. Ein Angriff traf ein Fahrzeug, der andere einen Mann, der laut staatlicher Nachrichtenagentur ein Zivilist war, der vor seinem Haus in der Stadt Kfar Dan stand. Das israelische Militär kommentierte die Angriffe nicht. Es war die jüngste Verletzung des Waffenstillstand-Abkommens vom November. Fast täglich bricht Israel das Abkommen durch Angriffe im Libanon.

In dem US-Vorschlag heißt es, die Dringlichkeit des Plans werde durch zunehmende israelische Verletzungen des Waffenstillstands unterstrichen, die einen Zusammenbruch des Status quo riskierten.

Entscheidend für wirtschaftlichen Erholung des Landes

Wirtschaftsminister Amer Bisat bezeichnete die Entscheidung am Donnerstag als „entscheidenden Moment“ zur wirtschaftlichen Erholung. Wirtschaftsreformen könnten nur durch die Konsolidierung aller Waffen und Autoritäten unter dem libanesischen Staat gelingen. Globale Partner zögerten, „in einen Staat zu investieren, der nicht über die volle souveräne Kontrolle verfügt.“

Gleichzeitig hat die Regierung auch indirekt beschlossen, der Hisbollah den Geldhahn zuzudrehen. Sie entschied über strengere Kontrolle und Sanktionen von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Der Handel mit Schmuck, Gold und Edelmetallen sowie Organisationen, die als Fassade für illegale Geldgeschäfte dienen, sollen stärker überwacht werden. Zudem soll es verschärfte Kontrollen bei der Einreise in den Libanon mit Bargeld und härtere Sanktionen bei ungenauen Erklärungen geben. Bereits am 15. Juli hatte die libanesische Zentralbank beschlossen, jegliche finanzielle Transaktion mit der Hisbollah unter Strafe zu stellen.

Noch gibt es keine Details, wie genau die Entwaffnung erfolgen soll. Sollte das libanesische Militär konkrete Schritte einleiten, könnte eine innenpolitische Krise drohen und die Hisbollah sich militärisch wehren.

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