Historische Fotografie: Kriegszeiten aus bürgerlicher Sicht

Zwischen heiler Welt und Heimatfront: Schon vor dem Ersten Weltkrieg hat die Braunschweigerin Käthe Buchler ihre Welt in Dias gebannt.

Ein klar strukturiertes Familienbild. Bild: Buchler/Photomuseum

Abschiedsstimmung lag bereits über dem Rundgang, den Florian Ebner, Leiter des Museums für Photographie Braunschweig, durch die Doppelausstellung „Käthe Buchler: Fotografien zwischen Idyll und Heimatfront“, führte. Ebner übernimmt Ende des Jahres nach nur gut dreijähriger Tätigkeit in Braunschweig die Leitung der Fotografischen Sammlung am Museum Folkwang Essen.

„So ein Angebot kann man nicht ablehnen“, sagt Ebner diplomatisch. Gleichwohl ist bekannt, welche tagtäglichen Akzeptanzprobleme das Braunschweiger Haus mit seinem internationalen Ausstellungsprogramm im kulturellen Klima der Stadt zu bewältigen hat.

Sinniger Weise zeigt Ebner nun in einer seiner letzten Ausstellungen, in Kooperation mit dem Städtischen Museum, ein Braunschweiger Werk: die Fotopionierin Käthe Buchler, die sich ab 1900 das Medium zu eigen machte.

Im Jahr 2003 erhielt das Museum für Photographie den Nachlass der Braunschweiger Amateurfotografin Käthe Buchler (1876-1930) aus deren Familie. Eine erste Ausstellung 2006 zeigte eine Auswahl ihrer Autochrome, einer Frühform farbiger Diapositive, die Buchler zwischen 1913 und 1930 vorrangig für künstlerisch durchkomponierte Aufnahmen einsetzte.

Nun wird, nach wissenschaftlicher Archivierung des Nachlasses, mit einer großen Materialfülle allen fotografischen Techniken Buchlers und ihren zwei bestimmenden Themenkomplexen nachgegangen: der großbürgerlichen, gebildeten Welt einer weitverzweigten Industriellenfamilie, ganz offensichtlich ohne materielle Sorgen, einerseits und dem caritativen Engagement dieses Bürgertums während des Ersten Weltkrieges, andererseits.

Der erste Teil, betitelt „Die bürgerliche Fotografin“, wird im Städtischen Museum präsentiert. Das Haus verfügt in seiner Dauerausstellung über das Tafelsilber der Familie Buchler, deren ehemalige Villa liegt gleich gegenüber. Ein adäquates Umfeld also für die statischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Käthe Buchler von ihren beiden Kindern und der Familie, aber auch von Haus, Interieur und städtischer Umgebung anfertigte.

Die Fotos zeigen ambitionierte Kenntnisse eines Handwerks, das sich Käthe Buchler am Berliner Lette-Verein aneignete und als Hospitantin bei einem Braunschweiger Berufsfotografen. Die ernsten Posen der Porträtierten, häufig vor neutralem Tuch, sind der Belichtungszeit der Filmplatten von immerhin einigen Sekunden geschuldet, aber wohl auch bewusst gesetzter Ausdruck bürgerlicher Souveränität.

Neben freieren Szenen in Schwarz-Weiß, etwa von Ausflügen und Reisen, wird aber auch Buchlers Beschäftigung mit der frühen Form der künstlerischen Farbfotografie Raum geboten. Mit dem umfangreichen Nachlass dieser ehemals kostspieligen Glasplatten-Diapositive verfügt das Museum für Photographie über eine Rarität in den Fotosammlungen Deutschlands, zudem von hoher künstlerischer Qualität. Ein Teil wird nun mit historischem Gerät vorgestellt.

Mit ihren gut besuchten „Lichtbildervorträgen“, ab 1913 in Berlin und Braunschweig gehalten, wies Käthe Buchler ihren Fotografien nun eine öffentliche Funktion zu. Den hoch ästhetischen Landschafts-, Architektur- oder Porträtfotos in Farbe wurden Schwarz-Weiß-Bilder zur Seite gestellt: vom Braunschweiger „Rettungshaus“ beispielsweise, einer Institution, die sich mit preußischer Strenge herumstreunender Kinder annahm, und den für die Zivilbevölkerung spürbaren Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in der Heimat, weit entfernt von der Front.

Diesem Themenschwerpunkt Käthe Buchlers widmet sich der zweite Teil der Ausstellung, „Die Fotografin der Heimatfront“ im Museum für Photographie. Und hier wird auch die Ambivalenz ihrer Fotoserien deutlich: Zu sehen sind Fotos von Lazaretten, von der Ankunft Kriegsverwundeter am Braunschweiger Bahnhof, von den Kindern armer Leute, die in der „Abfall-Verwertungs-Gesellschaft A.V.G.“ dringend benötigte Materialien requirieren mussten.

Käthe Buchler blieb, bei aller Sensibilität für soziale Missstände und ihrer Empathie für Benachteiligte, in ihrer bürgerlichen Weltsicht gefangen. Sie propagierte durch ihre sozialdokumentarische Fotografie „von oben“ das caritative Engagement des Bürgertums, glaubte, die Gesellschaft verbessern zu können.

Die radikalere Sicht, ein politisch wie moralisch längst überkommenes Gesellschaftssystem in Frage zu stellen, wagte sie nicht. Sie war in ihrer Fotografie eben kein weiblicher Lewis Hine – dieser amerikanische Zeitgenosse Buchlers verstand seine Kamera durchaus als Waffe im Dienste einer gerechteren Welt.

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