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Höchstes Windrad der Welt in Brandenburg365 Meter Zukunft

In der Lausitz wächst gerade das höchste Windrad der Welt in den Himmel – höher als der Eiffelturm. Es könnte die Windkraft grundlegend verändern.

Noch ist der Kran das Höchste Bauwerk in Schipkau Foto: Gicon
Philipp Brandstädter

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Philipp Brandstädter aus Schipkau

Eindrucksvoll und mindestens genauso hässlich, denkt jeder, der vor dem Eiffelturm steht. Für einen ganz ähnlichen Mix der Gefühle in Sachen Bauwerksästhetik muss man nicht mehr bis nach Paris reisen. Schipkau reicht. Hier in der Lausitz, auf einer vom Kieferwald überwachsenen Abraumhalde eines alten Braunkohletagebaus, entsteht gerade ein ganz ähnliches Wunder der Ingenieurtechnik. Mit dem Unterschied, dass es mehr Nutzen hat.

Noch filigraner dank hochfestem Stahl, noch schlanker dank weiterentwickelter Verschraubungen und damit noch höher als das wohl berühmteste Bauwerk in Paris, soll das höchste Windrad der Welt bald in den Brandenburger Himmel ragen. Mit seinen etwa 365 Metern wird es dann so hoch sein wie der Berliner Fernsehturm und doppelt so hoch wie die meisten herkömmlichen Windräder, um dort oben noch effektiver Wind zu verstromen als jede Windkraftanlage bislang.

Die Physik dahinter ist einfach: Je höher wir über der Erde sind, desto stärker bläst der Wind. „Dichter am Boden wird der Wind von Bergen, Wäldern und hohen Gebäuden gebremst“, erklärt Jochen Großmann, Geschäftsführer von Gicon, der Firma, die das Höhenwindrad baut. Wir stehen mit weißen Helmen auf dem Kopf und Schutzkappen an den Schuhen vor einem gigantischen Stahlgerüst und recken die Köpfe in den Herbsthimmel. „In 300 Metern Höhe spielt das aber keine Rolle mehr. Die Winde sind oben stärker und beständiger.“

Die Kraft des Höhenwinds haben die Planer aus Dresden und Leipzig bereits gemessen. Dafür hatten sie an derselben Stelle einen Messmast in derselben Höhe errichtet und ein Jahr lang in unterschiedlichen Höhen Daten erfasst und ausgewertet, neben der Windgeschwindigkeit auch Temperaturen, Luftdruck und Luftfeuchte. Inzwischen steht der Messmast im Windpark Jüchen neben dem Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen und misst dort die Potenziale der bevorstehenden Generation Windräder auf der zweiten Etage.

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Warum wurden Windräder nicht gleich viel höher gebaut?

Die Prognose aus den gesammelten Daten sagt: Die Rotorblätter von Höhenwindrädern werden in der doppelten Höhe auch die doppelte Stromausbeute liefern als eine kleinere Anlage mit gleicher Generatorleistung. Vor allem im windreicheren Winter würde das Höhenwindrad mit seinen konstanten Leistungen den größten Ertrag einspielen und seine höheren Baukosten rechtfertigen, während niedrigere Windräder vielleicht zeitweise stillstehen. Fragt sich nur mal naiv: Warum wurden Windräder nicht gleich viel höher gebaut?

Fährt man von der A 13 auf Höhe des Lausitzrings ab, sieht man schon den riesigen orange-gelben Kran, wie er die Kiefern des Brandenburger Forsts um ein Vielfaches überragt. Das Ungetüm steht mit seinen eintausend Tonnen auf Lastenverteilplatten des Baufelds, damit er beim Montieren der Turmteile nicht im Boden einsinkt.

Noch ist der Kran der mit Abstand höchste Punkt am Horizont. Unter ihm rotieren die Blätter der 59 kleineren Anlagen des Windparks Klettwitz. Doch auch der größte Baukran in ganz Europa ist „nur“ 170 Meter hoch. Das stählerne Baugerüst neben ihm hat bereits annähernd dieselbe Höhe erreicht. Bis zu dem Punkt, an dem sich das Höhenwindrad schließlich drehen soll, fehlen immer noch über 100 Meter.

Die Technik, die das Windrad weit über den Baukran hinaus befördert, ist das, was Jochen Großmann den entscheidenden Technologiesprung nennt. Der Trick steckt im Teleskopverfahren: Vom Boden aus wurden hierfür zunächst zeitgleich zwei Türme aus Stahlverstrebungen gebaut: einen äußeren und einen inneren. Auf die Spitze des inneren Turms, auf etwa 160 Meter Höhe, wird das Windrad mit seiner Turbine und seinen drei Rotorblättern montiert.

Danach wird der innere Turm im äußeren Turm hinaufgezogen, bis der Rotor in einer Nabenhöhe von 300 Metern im Luftstrom steht. Das ist nicht nur beim Aufbau praktisch. Auch für die Wartung kann die Anlage wieder abgesenkt werden.

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Flugwindkraftwerke setzten sich nicht durch

Die beständige Kraft des Höhenwinds ist schon ein paar Jahre länger bekannt. Aber bislang konnte niemand ein Windrad mit Maschinenhaus und Generator so weit hinaufbefördern. Stattdessen experimentierte man mit Flugwindkraftwerken: Ein an einer Seilwinde befestigter Drachen ließ sich vom Wind in die Luft tragen und trieb so einen Generator am Boden an. Durchgesetzt hat sich die Idee nicht wirklich.

Ein Höhenwindrad im Teleskopbau hingegen nutzt den Höhenwind viel wirtschaftlicher – und soll deshalb die Energieform revolutionieren. „Unser Windrad macht Windkraft auch dort möglich, wo er vorher weniger gebracht hätte“, sagt Jochen Großmann. „Wir erreichen damit überall Erträge, wie sie eigentlich nur von Offshoreanlagen bekannt sind.“ Auch in Baden-Württemberg und Bayern. Wo grüner Strom aus Windanlagen bislang von der Küste über landesübergreifende Stromtrassen in den hügeligen Süden befördert werden musste.

Wer dort in Zukunft Windkraft verhindern will, braucht neue Argumente. Denn: Ein Höhenwindrad erzeugt auch in den Bergen rentablen Strom. Ein Höhenwindrad macht keinen Lärm, den man am Boden wahrnehmen könnte. Und: Ein Höhenwindrad dreht sich in Höhen, in denen kaum Insekten und somit auch keine Vögel oder Fledermäuse kreisen.

Seit Juli ist Großmanns Firma Gicon dabei, die Revolution der Windenergie zu errichten. Das Höhenwindrad wird nicht auf einem Betongehäuse stehen, sondern auf dem Stahlgitter von vier angeschrägten Standfüßen, solche mit dem Eiffelturmflair also. „Allerdings brauchen wir keine Millionen Nieten“, sagt Großmann. „Wir kommen mit 80.000 Schrauben aus.“ Schrauben so groß wie Kurzhanteln. Ihre Verbindungen hat Gicon patentieren lassen.

Laut Plan soll das Windrad Juli 2026 in Betrieb gehen

Im Baucontainer liegen ausgerollte Baupläne auf dem Tisch. In einem Glaskasten in der Ecke steht ein Miniaturmodell des Windrads: proportional ungewohnt und ein bisschen ulkig, als hätte jemand ein Windrad auf einen Strommast gestellt.

Im Mai soll auf das quadratische Gerüst des Innenturms die Turbine aufgesetzt werden. Einen Monat später hat ein sogenannter Litzenheber seinen großen Auftritt. Die hydraulische Maschine, die auch beim Brückenbau zum Einsatz kommt, wird die Nabe des Windrads auf 300 Meter befördern.

„Sofern alles mit der Zulieferung der Bauteile und den Behörden klappt, gehen wir schon im Juli in Betrieb“, sagt Großmann. Das Pilotprojekt soll mit einer marktüblichen Windturbine starten. Die im Durchmesser 125 Meter langen Rotorblätter sollen sich dann so schnell und beständig drehen, dass eine Nennleistung von 3,8 bis 4,2 Megawatt herausspringt. Mehr, als die Forschenden vor ihren Messungen erwartet hatten.

Bis 2030 will Gicon bundesweit bis zu 1.000 weitere Anlagen aufstellen, vorwiegend in bestehenden Windparks und weniger in den Bergen Süddeutschlands. In Kombination mit kleineren Windrädern soll das Höhenwindrad am meisten bringen. „Dort können wir auf viel kleinerer Fläche wesentlich mehr Elektroenergie erzeugen“, sagt Großmann. „Die Zukunft der Windenergie liegt darin, dass wir von nun an auf zwei Etagen arbeiten.“

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