Hohe Lebensmittelpreise: Weg mit der Mehrwertsteuer?
Die Linke will die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel streichen – für mehr Entlastung und gesündere Ernährung bei kleinen Einkommen.
Doris Achelwilm, Bundestagsabgeordnete der Linken, argumentierte noch vor der Abstimmung, dass mit einer Abschaffung „Menschen mit geringem Einkommen von Preissteigerungen entlastet werden und alle Menschen mehr gesunde Lebensmittel kaufen können“. Experten haben aber Zweifel, ob das der richtige Weg gewesen wäre, um Haushalte zu entlasten.
Dennoch hat die Linke mit der Problemanalyse recht. Die Preise für diese Lebensmittel sind stark gestiegen, die Inflationsrate auf Lebensmittel beläuft sich seit 2020 auf 34 Prozent. Viele Verbraucher:innen müssen deshalb im Supermarkt genau kalkulieren, Produkte zurücklegen und Prioritäten setzen. Für Grundnahrungsmittel zahlen Verbraucher:innen bislang nur sieben Prozent Mehrwertsteuer, während für die meisten anderen Produkte der reguläre Satz von 19 Prozent gilt. Die Steuerermäßigung sollte ursprünglich für mehr soziale Gerechtigkeit an den Supermarktkassen sorgen.
Für die Linke reicht das nicht, die MwSt auf Grundnahrungsmittel sollte ihrem Antrag nach komplett wegfallen. Schließlich würden Personen mit einem geringeren Einkommen einen Großteil ihres Geldes für Grundbedürfnisse ausgeben. Ein Unterstützer des Antrags ist der Verbraucherschutz. Jochen Geilenkirchen, Leiter des Teams Lebensmittel des Bundesverbands Verbraucherschutz, sagt, dass das „Niveau der Preise gerade immer noch sehr hoch ist“. Wir merken in Umfragen, aber auch in der Verbraucherberatung, dass das viele Verbraucher belastet.“
Hochverarbeitet
Die neueste dieser Umfragen belegt, dass 39 Prozent der Verbraucher:innen sich wegen der hohen Lebensmittelpreise beim Kauf von Lebensmitteln einschränken. Bei Haushalten mit einem Haushaltseinkommen von unter 2000 Euro netto waren es sogar 70 Prozent. Diese Menschen kaufen dann meist „hochverarbeitete Lebensmittel statt gesunde Produkte“, meint Geilenkirchen.
Wie kann man es ermöglichen, finanziell schlechter Gestellten eine gesunde Ernährung zu ermöglichen? Diese Frage ist der Grund, weshalb der Verbraucherschutz die Abschaffung der MwSt. auf Grundnahrungsmittel zwar gut findet, eigentlich aber für etwas anderes plädiert: eine Abschaffung der MwSt. auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Also nicht für Fleisch, Öle oder Milchprodukte. Für sie wäre das eine Win-Win-Situation. Preise sinken und Menschen ernähren sich gesünder.
Damit die Preise nach der Abschaffung der MwSt aber auch wirklich sinken, fordert die Linke in ihrem Antrag eine Art Preisbeobachtungsstelle, ähnlich wie Geilenkirchen vom Verbraucherschutz. Sie sollte nach Auffassung des Verbraucherschutzes bei der Bundesanstalt für Lebensmittel und Ernährung angesiedelt sein und einen Einblick in die Preisbildung „bestimmter ausgewählter Lebensmittel, die besonders hohe Relevanz für eine gesunde Ernährung“ haben. Das bedeutet aber nicht, betont Geilenkirchen, „dass die Preise und die Kosten innerhalb der Kette dann tatsächlich veröffentlicht werden.“ Seiner Meinung nach sollten diese Auswertungen dann zu politischen Maßnahmen führen können. Momentan sei das nicht möglich, weil niemand weiß, wie die Preise ganz genau zusammenkommen.
Aufwand
Sebastian Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung hält eine solche Preisaufsicht für sehr schwierig umzusetzen: „Das wäre ein wahnsinniger Aufwand, auch die ganzen Einzelpreise zu kontrollieren, wo es eigentlich gesamtwirtschaftlich dann doch um eine kleine Summe geht.“ Auch die anderen Parteien im Finanzausschuss haben eine solche Preisbeobachtungsstelle kategorisch abgelehnt.
An sich findet Dullien, dass die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel kein geeignetes Instrument ist, um arme Haushalte zu entlasten. „Man entlastet doch sehr breit alle möglichen Haushalte damit“, meint Dullien. Reichere Menschen kaufen den teuren Käse für acht Euro und bekommen prozentual mehr Entlastung als die ärmere Person, die einen Käse für einen Euro kauft. Diese Ersparnis sei im Verhältnis zu den Einnahmen, die dem Staat fehlen würden, 15 Milliarden Euro, nicht verhältnismäßig. In den vergangenen zwölf Monaten sind etwa 30 Milliarden insgesamt für Bürgergeld ausgegeben worden. Außerdem sei die Entlastung an sich sehr gering. Wenn 10 Prozent des Einkaufs Grundnahrungsmittel sind und da die 7 Prozent wegfallen, dann „reden wir von Einsparungen irgendwo in der Größenordnung vielleicht vom halben Prozent des monatlichen Konsums insgesamt“. Wenn man armen Haushalten helfen wolle, ginge das wirksamer, sagt Dullien: „Mit 15 Milliarden könnte man etwa das Bürgergeld um fast die Hälfte aufstocken.“
Fritz Güntzler, finanzpolitischer Sprecher der CDU, meint, der Vorschlag der Linken sei „reiner Populismus“. Wie Dullien kritisiert die CDU die soziale Treffsicherheit der Maßnahme. „Die Umsatzsteuerbefreiung auf Lebensmitteln kommt allen Steuerpflichtigen zugute, auch mir als Bundestagsabgeordnetem und anderen Gutverdienern“, so Güntzler. Angesichts des bestehenden strukturellen Haushaltsdefizits sei dieser Vorschlag nicht verantwortbar. „Die erste Reaktion darf nicht immer sein: ‚Das können wir uns nicht leisten‘“, sagt hingegen Achelwilm von den Linken.
Zwar könnte eine Abschaffung der Mehrwertsteuer Haushalte kurzfristig entlasten, „doch die Idee ist nicht zu Ende gedacht“, kritisiert SPD-Finanzpolitiker Jens Behrens den Vorschlag der Linken. Statt an der Steuer zu drehen, setzt die SPD daher weiter auf eine Erhöhung des Mindestlohns. Diskutieren könne man aber durchaus, was überhaupt als Grundnahrungsmittel gelten soll.
7 Prozent
„Wollen wir Babynahrung wirklich mit 19 Prozent belasten, während Tierfutter mit 7 Prozent besteuert wird?“, fragt Behrens. Auch die Linke möchte diskutieren, was zu den Grundnahrungsmitteln gehört. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass tierische Ersatzprodukte immer noch mit 19 Prozent besteuert werden und dadurch teurer sind als tierische Produkte“, so Achelwilm. Denn warum sollte die Mandelmilch mehr kosten als die Kuhmilch? Oder teure Lebensmittel wie Trüffel nur mit 7 Prozent besteuert werden?
Der Ökonom Dullien verstehe nicht, warum die Linke sich so auf die Lebensmittelpreise fokussiere. Denn neben den Preisen im Supermarkt sind „auch die Heiz-, Strom- und Mietkosten enorm gestiegen und eigentlich das größere Problem.“ Um diese aber anzugehen, muss man das machen, was Lars Klingbeil vor einigen Wochen ins Gespräch gebracht und Friedrich Merz sofort wieder abgeräumt hatte: „Man müsste überlegen, ob man nicht vielleicht die Einkommensteuer für Reiche erhöht.“ Das größte Problem sieht er aber darin, dass man zwar viel über Verteilungsgerechtigkeit spricht, „dass es auf der anderen Seite auch ziemlich viele Leute gibt, die eben eigentlich kein Interesse daran haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Attentat auf Charlie Kirk
Ein Spektakel der Gewalt
Russische Drohnen über Polen
Testballon in Richtung Nato
US-Armee
Avantgarde des Faschismus
ARD-Doku über Autos und Deutschland
Das Monster, ein Horrorfilm
Präsidentin der UN-Vollversammlung
Baerbocks bizarre Ämterrochade
Diskussion um Wehrdienst
Doppelte Solidarität