Homo-Debatte bei Maischberger: Lecken im Zeichen des Kreuzes

Falsch, falscher, Maischberger: Wie beim Thema Homosexualität Putins Propagandaabteilung in eine deutsche TV-Talkshow geriet.

Maischberger-Talk oder orthodoxe Messe in Bulgarien? Entscheiden Sie selbst. Bild: dpa

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Dieser berühmte Satz Niklas Luhmanns gilt mit gleicher, vielleicht sogar noch größerer Wucht für alles, was wir über unsere Gesellschaft nicht wissen (wollen). Sandra Maischberger ist es am Dienstagabend gelungen, das Nichtwissen über unsere Gesellschaft zu mehren.

Die Sitzordnung ihrer Gäste folgt den geraden und schrägen Linien des orthodoxen Kreuzes. An seiner Spitze sitzt die Moderatorin. Rechts von ihr erklingt im Verlauf der Sendung immer seltener der basso profundo der Transe Olivia Jones. Ihr gegenüber sitzt Birgit Kelle. Zusammen bilden die Tunte und die Focus-Fundamentalistin die erste kurze Querachse des Kreuzes.

An den Enden der zweiten langen Querachse sitzen der Evangelikale Hartmut Steeb und das strahlende Verkündungsengelchen Hera Lind. Am aufragenden Ende der dritten schrägen Querachse sitzt der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn. Er ist so alles andere als orthodox, dass er genau aus diesem Grund an dieser Stelle sitzen muss.

Denn durch ihn hindurch erfolgt heilsgeschichtlich in der Figur des orthodoxen Kreuzes die Himmelfahrt. Am anderen schräg nach unten führenden Ende schmoren wir – das verwirrte Publikum – in der Hölle.

„Droht die 'moralische Umerziehung'?“

Die Sitzordnung bildet die konfuse Dramaturgie der Sendung so perfekt nach, dass von Zufall keine Rede sein kann. „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die 'moralische Umerziehung'?“ Die Gänsefüßchen, die die „moralische Umerziehung“ zieren, verdanken wir Stefan Niggemeier. Erst nach seinem Aufschrei entschloss sich die ARD in letzter Sekunde zu der diskreten Distanznahme. Im Titel wird alles zusammen gerührt, was keine gute Suppe gibt.

Es fängt an mit der Phantasmagorie der Homosexualität, von der wir doch wissen, dass es sie nicht gibt, es sei denn als fixe Schreckensidee. Als unverkörperte Abstraktion namenlosen Schreckens kickt die Maischberger-Redaktion diese Figur nun auf den Lehrplan. Aha, raunt es da aus unserer Hölle. Das kann man also lehren? Um Himmels Willen! Was für ein Stoff ist das denn? Vor welche Prüfungen stellt er uns? Gibt es dafür Kopf- oder Leistungsnoten?

Den Sog ins Ungewisse verstärkt der Untertitel. Ohne jede Distanz spricht er aus, was Tango ist: Was droht uns da? Was sollen wir, ach was, was sollen die armen Kinder künftig gut heißen, was wir doch alle schlecht finden? Das gesunde Volksempfinden bäumt sich historisch gehorsam dagegen auf (die schräge Achse aus der Hölle in den Himmel).

Die Schulen, dieses verlorene Paradies in Serie gebrochener Aufstiegsversprechen, verwandeln sich durch diese Drohung in Straflager, die Lehrer in Politkommissare, die Kinder in Azubi-Perverse im Wartestand. So ist der Widerstand gegen das nur gut Gemeinte programmiert, stellt einen Kraftschluss her in die so fern liegende letzte Nachkriegszeit, wie sie die Reeducation-Versuche der Alliierten kommunikativ beschwieg.

Putins Propagandaabteilung

Die ARD erweckt den Eindruck, als hätte sie alleine für das Aushecken dieses Titels pietistische Redakteure zu einem Crash-Kurs in Putins Propagandaabteilung gejagt. Sie haben alle Zutaten übernommen, die wir aus Russland kennen: die Angst um die Kinder, das Phantasma der Propaganda, die Idee der Verführung unter der überwölbenden Idee elterlicher Sorge.

In der Rhetorik kennen wir diese Anordnung als Chiasmus, als Überkreuzstellung, als sprachliche Figur, die das in ihr verborgene Rätsel durch die Anordnung der Worte offenbart. Durch den Titel macht sich die Maischberger-Redaktion die Idee eines Kulturkampfes zu eigen.

Was hat Maischberger aus diesen Zutaten gemacht? Darauf gibt es eine kurze Antwort: Sie hat es einigermaßen verstanden, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Die lange Antwort ist unerfreulicher.

Es fängt mit den Einspielern an, O-Töne aufgebrachter Demonstranten aus Stuttgart, und das unsägliche Füllmaterial von Straßenumfragen. Sie verwandeln Stimmen aus dem Volk in einen Resonanzkörper, aus dem heraussummt, wie in ihn hineingebrummt wird.

Ist der Hetero mehr wert als der Homo?

Maischberger fasst zusammen: Eltern laufen Sturm. Ist das Hysterie oder berechtigte Sorge? Steeb weicht der Frage erst aus, paraphrasiert, was die kommende Generation lernen solle. Sexuelle Vielfalt bekomme Übergewicht, es fehle die Idee der Familie und wie man mit Behinderten umgehen könne. Toleranz findet er gut, Akzeptanz nicht.

Jens Spahn wendet ein, dass Worte weh tun können. Er ist das Nadelör zur Himmelfahrt, jetzt aber ganz auf der Erde. Es sei Unsinn, dass jemand in der Schule schwul gemacht werde. Maischberger fragt nach: Woher kommt die Aufregung? Birgit Kelle greift Steebs Übergewicht auf. Über Kreuz spielen sie sich die Bälle zu. Schon der bisherige Sexualkundeunterricht sei fragwürdig. Das Akzeptanzziel im Entwurf der grünroten Richtlinien gehe zu weit. Sie will ihren Standpunkt nicht ändern, will nicht gut finden, was sie nicht gut findet.

Hera Lind strahlt mit sich selbst um die Wette. Sie habe ihre Kinder so erzogen, dass sie allem wertneutral gegenüber stehen. Wir möchten uns nicht vorstellen, was das heißt. Spahn spurtet an Maischberger vorbei und fragt den Evangelikalen neben ihm: Ist der Hetero mehr wert als der Homo? Steeb bleibt die Antwort schuldig. Spahn soll darüber Auskunft geben, ob man aus ihm einen Hetero hätte machen können. Natürlich nicht, er konzediert als guter Konservativer aber auch, dass es leichter nur scheine, sich anzupassen.

Grünrote Ideologen

Das dient als Steilvorlage für die Transe Olivia Jones. Sie liebt es zu polarisieren. Sie ergreift Partei. Viele Jugendliche seien nicht so stark, wie sie sein müssten, wenn sie entdecken, dass sie schwul sind.

Das Überkreuzfunken kommt zum Kern der Debatte: Wo endet das Erziehungsrecht der Eltern? Was ist der Bildungsauftrag des Staats? Frau Kelle munitioniert sich aus Papieren der GEW und zitiert eine Übungsaufgabe: „Kannst Du Dir vorstellen, durch Elektroschocks von deiner Heterosexualität geheilt zu werden?“ Sie merkt nicht, in welches Abseits sie sich begibt, welche Chance darin läge, durch anteilnehmende Beobachtung einen persönlichen Konflikt anderer Mitschüler besser verstehen zu können. Natürlich ist die Frage bescheuert. Aber sie bezieht sich auf eine Praxis.

Ihr Eifer verleitet Jens Spahn zu einem parteipolitischen Manöver. Er warnt vor grünroten Ideologen. Sie schießen weit über vernünftige Ziele hinaus, drohten das bereits Erreichte an gesellschaftlicher Liberalität wieder kaputt zu machen, er kritisiert den Übereifer auf beiden Seiten.

Vernünftig klingende Vorhalte der Moderatorin aus dem Original des baden-württembergischen Richtlinienentwurfs verhallen ungehört. Gibt es die Kraft des guten Vorbilds bei der individuellen Herausbildung der sexuellen Identität? Spahn spielt jetzt selbst über Kreuz, wendet sich an Steeb und konfrontiert ihn mit der Aussage, er sei froh darüber, dass keines seiner zehn Kinder schwul oder lesbisch sei. Was stecke da für eine Wertaussage drin?

Er unterlässt die Nachfrage, woher Steeb die Gewissheit nehme. Was für eine selbstgerechte Haltung spricht aus dieser Aussage? Was für eine verheerende Botschaft an jedes Kind, das sein Anderssein durch so einen Vater in ein Unglück verwandelt sieht?

Taliban-Sound

Das Überkreuzspielen bringt Birgit Kelle auf die Palme. Sie ereifert sich darüber, aus den von ihr inkriminierten Papieren erfahren zu haben, wie lesbische Frauen mit einander Sex haben. Dass sie lecken. Dass sie das nicht wissen wolle, dass das kein Unterrichtsstoff für Viertklässler sei, dass der Staat mit solchen Bildungsangeboten in Kompetenzbereiche der Eltern eingreife. Das ist Tailban-Sound, gegen den die Bundeswehr vorgeblich am Hindukusch stationiert wurde.

Olivia bringt die Pietkongdame auf den Boden der Tatsachen zurück. Ob ihr bekannt sei, welche Kosenamen schon in den Vorschulen durch die Luft schwirren, was man als Kind oder Heranwachsender von den Bushidos so zu hören bekomme.

Das Kreuz-Zickzack beschleunigt sich. Übergehen wir den kosmetischen Einspieler mit Straßenumfrage zu Bildern sich küssender Paare. Steeb geht aus der Reserve. Koppelt den Sexualtrieb zurück an den Zeugungsauftrag, verlangt danach, den Jungen (er redet nur von den Jungen) Mut zu machen, Kinder zu zeugen, garniert das sozialpolitisch als nachhaltig. Regenbogenfamilien findet er nicht natürlich.

Zum Abschluss der Sendung zitiert Frau Maischberger Hörer- und Zuschauerstimmen an den Deutschlandfunk und die ARD. Die Stimmen des Volkes werden weder durch die Auswahl noch durch den Tonfall repräsentativ. Sie erfüllen allein die Funktion, sich selbst als Moderatorin der Kritik an dem von ihr verursachten Desaster zu entziehen. Sie hat Brandbeschleuniger in einen aufflammenden Kulturkampf gekippt und schleicht versengt vom Feld.

Frankreich und Deutschland

Es ist abwegig, die Kritik an der Sendung auf die Auswahl der Studiogäste zu beschränken. Die Maischberger-Redaktion hätte auch stumme Vogelscheuchen casten können. Homophobie kommt nicht dadurch zum Ausdruck, dass dafür eingeladene Akteure mehr oder weniger geschickt entsprechende Haltungen formulieren. Homophobie kommt dadurch zum Ausdruck, dass kaum mehr latente Ängste durch PR-Interessen eines zweifelhaften Sendeformats als Verstärker für die öffentliche Wahrnehmung kanalisiert werden.

In der Debatte, die mit den Massendemonstrationen in Paris und dem russischen Antipropagandagesetz begann, gelangt etwas Anderes in den Blick: die Reversibilität des erreichten Fortschritts. Das sprach Jens Spahn an, als er die baden-württembergischen Richtlinien kritisierte. Sie gefährdeten den erreichten status quo gesellschaftlicher Liberalität.

Unter dem Absingen der Marseillaise auf den Straßen von Paris gegen Freiheit, gegen Gleichheit und gegen Brüderlichkeit zu demonstrieren, bezeugt Angst vor der Gleichheit, bezeugt den Hass auf diejenigen, die sich die Freiheit nehmen, nicht gleich zu sein. In der gelebten Autonomie der Schwulen, der Lesben, der Transen wird die Provokation wieder spürbar, mit der sich die Mehrheitsgesellschaft konfrontiert sieht. Der Staat hat in Frankreich, dem Land des Code Napoléon, die Gleichheit vor dem Gesetz in letzter Instanz durchgesetzt.

Schutzversprechen des Staates

In Deutschland haben vormoderne Traditionen bis heute auch den vorletzten Kulturkampf überlebt. Es gehört zu den damit verbundenen Paradoxien, dass eine in Folge von Fukushima und der Erhebung sogenannter Wutbürger ins Amt gewählte Regierung durch Wutbürger des konkurrierenden politischen Lagers wieder weggefegt werden könnte.

Das erledigt nicht das Schutzversprechen des Staats und seine Rolle als Garant gesellschaftspolitischer Neutralität. Gerade deshalb plädieren Reformpädagogen für früh beginnende Vorschulen, um soziale und kulturelle Nachteile schulisch ausgleichen zu können. Da ist der Staat in der Pflicht.

Der neue Kulturkampf ist nicht so leicht zu lösen. Schon gar nicht mit dem Kreuz. Aber auch nicht mit dem Ankreuzen eines Wahlzettels.

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