Homonormativität: Gebräunt, gut drauf und allzeit bereit

Schwule inszenieren sich gern als zeigefreudige Partymenschen. Abrechnung mit einer nervigen, nicht mehr zeitgemäßen Pose.

Stets eine Spur zu prächtig gelaunt: Besucher des CSD in Berlin. Bild: reuters

Die immer gleichen Bilder. Halbnackte oder Dreiviertelentblößte – und die Sexuelles signalisierende Hautfreiheit auch noch gezeigt, als müsse das Leben unter Sonnenbänken und an Fitnessgerätschaften verbracht werden. Solch einen Eindruck kann jedes Publikum, einerlei ob hetero oder homo, bekommen, das eine gewöhnliche Christopher-Street-Parade besucht oder ihr zusieht. Auch schwule Medien kommen nur selten ohne diese erotischen Lockungen aus: Coverboys und Männer, die, auf hochglänzendem, gut abwischbaren Papier, Folien der Verführung abgeben.

Heterosexuellen Menschen fällt dieser Umstand – wenn sie sich überhaupt interessieren – nur auf, wenn sie sich Bilder begucken, die auf irgendeiner Christopher-Street-Parade in einer Metropole aufgenommen und veröffentlicht wurden. Man erkennt, wie beispielsweise auf dieser Seite, dann weitgehend entblößte Männer, wie sie gewöhnlich nur in privaten Situationen hautnah zu sehen sind.

Nicht erstaunlicherweise sind es gerade heterosexuelle KollegInnen in den Fotoredaktionen, die solche Lichtbilder zur Illustration heraussuchen. Sie sagen, man würde sonst ja nicht erkennen, dass es sich um einen Umzug von Schwulen handelt. Davon abgesehen, dass Lesben in diesem Setting narzisstisch aufgeladener Zeigelust nicht stattfinden, weil sie als Frauen so ihre eigenen, instrumentalisierten Erfahrungen mit dem Ausziehen vor Öffentlichkeiten haben, muss doch notiert werden: Für andersgeschlechtlich orientierte Menschen sind schwule Männer solche, die sich gern sexuell exponieren.

Hat die sexuelle Revolution die Kinder auf dem Gewissen? Oder ist die heutige Aufregung über frühere Pädophiliefreundlichkeit hysterisch? Die taz will das Damals nicht nur aus dem Heute verstehen. Und blickt mit einem Dossier zurück: Auf Wilhelm Reich, Befreiungsdiskurse und Kommunen-Experimente. Und auf das Erbe der Befreiung.

Und richtig ist auch, dass ein politisch inspirierter Umzug von schwulen oder lesbischen Menschen nicht als Parade der sexuell Anderen kenntlich wäre – vielleicht wäre tatsächlich die ästhetische Nähe zu Demonstrationen am 1. Mai, gegen Atombrüter oder für den Frieden zu groß.

Aber ebenso wahr ist, dass diese Fotografien zugleich auch Dokumente vom Authentischen sind. Schwule Männer wollen in der Öffentlichkeit zeigen, dass sie so viel ficken und fetischen dürfen, wie sie es möchten. Aber bestritte das heutzutage noch jemand? Sexuelle Libertinage im Privaten erkennen schließlich selbst Konservative an – die Homosexuelle allerdings dort bewusst missachten, wo sie die gleichen Rechte wie Heterosexuelle beanspruchen – etwa durch Öffnung der Eheparagrafen? Geht es nicht weniger um Sexuelles als um Liebe und die Gesten ihrer Wertschätzung, besser: ihre Nichtgeringschätzung?

Vor gut 40 Jahren begannen in der Bundesrepublik schwule Infrastrukturen zu erblühen, vor allem im sexuell anbahnenden Bereich. Kneipen gab es mehr und mehr, traditionelle Orte wie öffentliche Toiletten („Klappen“) und Parks blieben bestehen. Der Paragraf 175 existierte noch; aber er war nicht mehr als Verbot schwuler Sexualität gefasst, sondern nur noch mit einer besonderen Altersgrenze versehen. Wer erwachsen war, damals 21, konnte machen, was er wollte – die Triebe sollten den Staat nichts mehr angehen.

Wie ein schlaffer Muskel, der mit viel Übung und Ausdauer zum straffen Körperaccessoire wird, entwickelte sich die schwule Szene, vor allem in den 80er Jahren, zu einem Paradies des „Alles ist erlaubt“. Was sich vor allem jedoch herauskristallisierte, war die Norm dessen, was ein homosexueller Mann ist, sein kann – und sein sollte. Auf jungerwachsene und konsumfreudige Leserschaften abonnierte Medien wie die schwulen Stadtmagazine Siegessäule in Berlin oder Hinnerk in Hamburg propagierten kaum mehr als – Party. Das Leben ist ein Event, das so rauscht, als gäbe es kein anderes.

Und Heterosexuelle lernten, zumal bei CSD-Paraden: Schwule sind immer gut drauf, tragen ihre Haut zu Markte, machen offenbar unentwegt Sport, pflegen sich porentief und zeigen sich als sexuell orientierte Qualitätsprodukte.

In diesem Kontext scheint mir wichtig, dass sich die öffentliche Figur des sexuell beinah überphallisch bereiten Homosexuellen in jenen Jahren als attraktiv herausgestellt hat. Mag sein, dass es auch eine Fantasie von Heterosexuellen war, die die eigenen abgespaltenen Anteile, das eigene, erlahmte Begehren nach unbegrenzt verfügbarer Lustabfuhr in Schwulen fasziniert (wieder-) erkannte.

I will Survive

Und die zeigten sich offenbar gern: Keine Demonstration, die politischen Anspruch hegte, zeigte sich so karnevalesk und gut gelaunt. Es war aber, könnte man sagen, auch eine Form der öffentlichen Performance, die wie ein manischer Akt wirkte. Der CSD war – und ist – stets eine Spur zu prächtig gelaunt. Die lachenden Mienen sollen anzeigen, was sie eben herzeigen: Unerschütterlichkeit. So wie die Titelzeile aus einem populären Lied Gloria Gaynors: „I Will Survive“. Insgeheim depressive Fassaden der in heterosexuellen Zumutungen Überlebenden? Körper, die sich präsentieren, weil sie allen Wünschen ihrer familiären, auf jeden Fall nichtschwulen Umwelt zum Trotz sich behaupten wollen?

Als Pose nervt das, gleichwohl jedem es freistehen muss, sich eben darin zu üben: Gegen das, was man Heteronormativität nennt, also die seitens der gesellschaftlichen Mehrheit für einzig gültig gehaltene Matrix von Mann-Frau-Verhältnissen, ein persönliches Statement zu setzen. Aber reicht das? Ist es nicht inzwischen fatal, dass thematisch nichts so umkreiselt wird, ja identitätsstiftend wirkt wie das Sexuelle? Hat sich nicht diese heterosexuelle Welt inzwischen ein wenig aufgeweicht und zugleich die Norm dessen, was als schwul gelten kann, verfestigt?

Homonormativität, das ist das streng geschnürte Tugendpaket, das Schwules am Gipfel wähnt, wenn es mit Sixpack daherkommt, auf erektile Dauerbereitschaft eingestellt scheint, auf Feier und Party. Also auf ein Leben als imaginierte Entgrenzung – wenigstens in der Freizeit. Ein Konzept, das Sex wie ein Papiertaschentuch nimmt: geschnäuzt und nicht mehr benutzbar. Eine maschinell anmutende Sexsuche, die die Frage aufwirft: Ist es nicht ein Fernhalten von Nähe, wenn einer jeden zweiten Tag einen Neuen braucht. Sex als Distanzmittel?

Nie wieder unglücklich sein – das ist für die schwule Community, deren politischer Teil von der heterosexuellen Welt immer mehr wollte als die Lizenz zum Ekstaseersatz, dann doch zu wenig.

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