Homophobie im Sport: Das Glück auf der Bowlingbahn

Ein schwules Bowlingteam – das wird doch in Berlin kein Problem sein, dachte Michael Relling. Da irrte er sich aber gewaltig.

Bunte Elefanten: Yaron Shamir aus Tel Aviv (l.) und sein Partner Henning Louw (r.) aus Dänemark. Bild: Gabriela M. Keller

BERLIN taz | Wenn Michael Relling auf der Bowlingbahn steht, vergisst er leicht, was alles geschehen ist. Dann gibt es nur noch ihn, die rot-schwarz marmorierte Kugel in seiner Hand und die Pins, zehn weiße Kommata hinten an der Wand. Die Beleidigungen, die üblen Scherze, all das ist weit weg.

Im kalten Licht der Neonstrahler spurtet er los, ein schwerer Mann von 43 Jahren. Der Ball rast über die glatte Fläche, es bollert leise. Michael Relling hält die Luft an. Die Kegel fallen, einer taumelt kurz, bleibt aber stehen. „Haarscharf!“, ruft er, dann steuert er auf die Gruppe zu, die hinter ihm auf den Kunstlederbänken sitzt. Er schlägt einem nach dem anderen in die flache Hand. „So gibt man das Glück weiter“, sagt er. Aber mit dem Glück auf der Bowlingbahn ist es für die Rosa Elefanten so eine Sache.

Knapp zehn Spieler des Teams sind gekommen. Sie alle wirken bodenständig. Brave Frisuren, rechteckige Brillen, kurze Bärte. Am auffälligsten ist die einzige Frau, die ihre Haare kurz geschoren trägt, bis auf ein pinkfarbenes Büschel in der Stirn. Relling hat sich vor zwei Jahren mit ein paar Freunden zusammengetan und die Rosa Elefanten gegründet. Die erste offen homosexuelle Mannschaft in der Bowling-Liga in Berlin. Er weiß noch, wie er dachte: Das wird doch kein Problem sein. Er hat sich getäuscht.

„Ich hatte bisher noch nie mit Homophobie zu tun, im ganzen Leben noch nicht“, sagt er leise.

„Von euch habe ich gehört“

Sie treffen sich zweimal pro Woche in der Berolina Bowling Lounge nahe dem Nollendorfplatz in Schöneberg, einem Viertel, das als Zentrum der Berliner Homoszene gilt. Über eine Treppe geht es hinab zu den Bahnen, die Theke ist elektrisch blau beleuchtet. Am Eingang blinken Flipperautomaten und Shuffleboards. „Wir genießen jeden Tag hier“, sagt Michael Relling.

Er hatte gezögert, noch einmal mit der Presse zu sprechen. Vor einigen Wochen hatte ein Radiosender über die Rosa Elefanten berichtet. Es hat ihnen nicht geholfen. Im Gegenteil. Wenig später spielten sie in einer Halle in Neukölln. Relling bat einen Wartungsarbeiter um Schmirgelpapier. Er wollte die Löcher in seiner Kugel etwas vergrößern. „Von euch habe ich gehört“, sagte der Mann, es klang nicht freundlich. „Dann fragte er, ob er bei mir auch das Loch vergrößern soll“, sagt Relling, noch ganz betreten.

Zudem landeten feindselige Nachrichten in seiner Mailbox. Einer schrieb, er sei auch Bowler und schwul. Aber er würde darüber nicht sprechen: „Wenn man schon pervers ist, sollte man es nicht an die große Glocke hängen.“ Die Mail hat Relling zugesetzt: Ein Homosexueller, der sich selbst pervers nennt, „so was mussten wir uns anhören“.

„Wir werden immer mehr“, sagt Michael Relling", der hier gerade Anlauf nimmt, „und das ist cool.“ Bild: Gabriela M. Keller

Rosa Maskottchen

Die Geschichte der Rosa Elefanten handelt davon, wie schwierig es für homosexuelle Sportler auch heute noch sein kann, anerkannt zu werden. Zwar gilt Berlin als liberale Stadt, in der Schwule dazugehören, aber im Sport ergibt sich oft ein anderes Bild, sagt die Göttinger Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, die zu dem Thema forscht. „Es ist nach wie vor ein sehr gravierendes Thema. Weil viele Homosexuelle Sport treiben, aber nicht darüber reden können.“ Zwar ist Homophobie im Profi- ebenso verbreitet wie im Amateursport: „Der Unterschied ist, dass sich sehr viel Aufmerksamkeit auf den Hochleistungssport richtet. Der Amateursport wird weniger beachtet.“

Es ist Sonntag, kurz nach 19 Uhr. Auf der Bahn ist wenig los, denn die Ligaspiele sind mittwochs; heute wird nur trainiert. Die Rosa Elefanten haben sich in zwei Gruppen aufgeteilt und spielen gegeneinander. „Drei Runden, wer die meisten Punkte hat, hat gewonnen“, ruft Michael Relling. Er hat BWL studiert und dann lange keine Arbeit gefunden. Jetzt ist er dabei, sich mit einer Muffinmanufaktur selbstständig zu machen. Ab und an bringt er selbst gebackene Muffins zum Bowlen mit, Schoko oder Apfel-Walnuss. Auf dem Tisch vor ihm liegt das Maskottchen, ein rosa Plüschelefant.

Relling war nervös, als er zum ersten Mal bowlen war. „Trau dich“, sagte ein Freund, „denk an rosa Elefanten.“ Das sollte ihm Mut machen, und weil es funktionierte, dachte er sich: „Das ist der richtige Name für uns.“ Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich jemand daran stören könnte. Dann fragte er in der Berolina Bowling Lounge an. Da hieß es: Ja, sie können mitspielen. Aber nicht mit dem Namen. Zudem dürften sie nur schwarze Kleidung tragen und keine Symbole der Schwulenbewegung.

"Man offenbart sich ja sofort"

Daniel Oehme, sportlicher Leiter der Bowlinghalle, versteht nicht, wo das Problem sein soll. „Wir sind da sehr offen, seit ewigen Zeiten. Die Rosa Elefanten sind voll anerkannt.“ Aber er räumt ein, dass er dem Team geraten hat, den Namen abzulegen. „Ich hab gesagt: Man könnte damit … nicht direkt Probleme haben, aber man offenbart sich ja sofort.“

Mit dem Team an sich gebe es keinerlei Schwierigkeiten, nur mit Relling persönlich. So wie Oehme es sieht, spielt Relling sich auf. „So jemand kann auch anecken“, sagt er. „Dann muss man sich nicht wundern, wenn man in Misskredit gerät.“

Die Rosa Elefanten sitzen ganz ruhig da, vertieft in ihr Spiel. Meistens fühlen sie sich ja wohl in der Liga. Denn es gibt viele Spieler, die zu ihnen halten. An diesem Abend hat sich ihnen ein junges Pärchen angeschlossen, dessen eigenes Team heute nicht spielt. Oli und Vivien hocken nebeneinander und füttern sich gegenseitig mit Vanilleeis. Die beiden wüssten keinen Grund, warum sie sich nicht mit den Rosa Elefanten verstehen sollten. „Das ist doch ganz normal“, sagt Oli.

Viele verstecken sich

Nur weiß Michael Relling auch, dass die Rosa Elefanten nicht die einzigen schwulen Bowler in der Liga sind. So mancher hat sich ihm anvertraut. In deren eigenen Teams darf das aber niemand wissen. Relling sieht nicht ein, sich verstecken zu sollen. Aber es gibt Menschen, die ihn spüren lassen, dass ihnen das nicht passt. Ihm wurde schon öfter gesagt, er solle sich zurückhalten. Für ihn ist das so, als würde man ihm das Recht absprechen, er selbst zu sein.

Erst im Februar ist etwas geschehen, das er noch nicht überwunden hat. Ein Mann trat auf ihn zu. Er war um die 60 Jahre alt, betrunken, drohte ihm mit Schlägen und schrie: „Ihr seid hier alle unerwünscht.“ Relling streitet nicht gern. Doch so einen Angriff einfach auf sich beruhen lassen, das sieht er nicht ein. Er meldete den Vorfall dem Verband, der Fachvereinigung Bowling (FVB). Geschehen ist nichts. Die Funktionäre sagten, er müsse seinen Streit selbst regeln. „Das kann doch nicht angehen“, sagt Relling. Er hat den Verband schon mehrfach gebeten, Diskriminierungsregelungen zu formulieren. Ohne Erfolg.

Uwe Tronnier, Vorsitzender des FVB, hält das für unnötig. „Bei uns gilt, dass jeder spielen kann. Dass keiner benachteiligt wird.“ Die Rosa Elefanten seien willkommen; das Team habe keine anderen Probleme als andere auch, sagt er. „Stänkereien oder Leute, die ein Bier zu viel getrunken haben, das kommt in den meisten Sportarten mal vor.“

Manuel Guse steht nahe der Bahn, er schielt hoch zu dem Bildschirm, auf dem der Punktestand angezeigt wird. Es steht 343 zu 303 für seine Gruppe. „Bowling ist mein Sport“, sagt er. „mein Ausgleich zur Arbeit.“ Guse ist Heilerziehungspfleger und kümmert sich um behinderte Jugendliche. Im Sommer 2011 ging seine Beziehung in die Brüche. Dann stieß er im Internet auf die Rosa Elefanten. „Ich dachte: Das ist ein neuer Lebensabschnitt: Jetzt traust du dich was.“

Das Team wächst

Es ist ein Gedanke, der bei den Rosa Elefanten immer wieder mitschwingt: Für einige ist das Bowlen ein Schritt zu einer Gemeinschaft, die ihnen vorher gefehlt hat. Ein kleines Wagnis.

Auch Michael Relling ging es darum, Anschluss zu finden. „Ich wollte etwas machen, wo man Leute kennenlernt“, sagt er, „wo man ein bisschen rauskommt.“ Zwar haben die Rosa Elefanten noch keine Sponsoren, und es war lange schwer, Mitglieder zu finden. Doch nun wächst das Team langsam; inzwischen gehören auch drei heterosexuelle Spieler dazu. Das macht Relling Hoffnung. „Wir werden immer mehr“, sagt er, „und das ist cool.“ Doch den anderen Spielern ist anzumerken, dass sie nicht gerne über die Probleme sprechen.

„Ich seh das so“, brummt Jürgen Bendler „entweder man kann mich leiden oder nicht.“ Bendler, Mitarbeiter im Kundendienst der Berliner Verkehrsbetriebe, streitet nicht ab, dass sein Team manchmal mit Abwehr zu kämpfen hat; er zuckt die Schultern. „Von meinem Job bin ich das gewohnt. Ich lass manches nicht so an mich ran.“

Selbstgebasteltes

Aber inzwischen ist, ganz allmählich, etwas in Bewegung gekommen. Das Misstrauen löst sich auf, die Vorbehalte zerstreuen sich. Jürgen Bendler sagt, dass einige der Bowler hier noch nie Kontakt zu Homosexuellen hatten, bevor die Rosa Elefanten auftauchten: „Da ist eine Frau, die hatte am Anfang Angst. Jetzt freut sie sich, wenn sie uns sieht, und begrüßt uns mit Küsschen.“

So ist das auf der Bowlingbahn. So sind die Rosa Elefanten. Sie geben sich Mühe, sind freundlich zu allen. An Ostern haben sie selbst gebastelte Osternester für alle Spieler der Liga mitgebracht. „Es gibt viele Leute, die uns lieb haben“, sagt Relling, „das ist es, was wichtig ist.“ Dann ist er wieder an der Reihe. Er nimmt Anlauf, die Hitze steigt ihm in den Kopf und gerinnt als Schweiß auf seiner Stirn.

Auch Relling würde gern einfach bowlen, ohne sich immer wieder mit diesem Thema befassen zu müssen. Aber er kann es nicht hinnehmen, wenn er sich verletzt oder ausgegrenzt fühlt. Gerade weil ihm der Sport so wichtig ist. „Weißt du“, sagt er, „ich war immer der Dicke, der ein bisschen anders war. Und es gab nie einen Sport, den ich gut konnte.“

Nun hat er endlich einen Platz gefunden, an dem er sich, trotz allem, zugehörig fühlt.

Nur ab und an fragt er sich, ob sie sich das Leben nicht etwas leichter machen könnten. Sie hatten sogar überlegt, ob sie nicht doch ihren Namen ändern sollen. Sie haben sich dagegen entschieden, sagt Relling. „Der Jürgen hat gesagt: Das wäre aufgeben.“ Und aufgeben, das kommt gar nicht infrage. Nicht, wo sich die Dinge so gut entwickeln: Zu Beginn ihrer ersten Saison in der Liga hatten sie sich ein Ziel gesetzt: Nur nicht Letzte werden. Sie wurden Sechste von zehn Teams. Für die neue Saison haben sie sich vorgenommen, es auf Platz fünf zu schaffen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.