Homosexuelle AsylbewerberInnen: Kein Zwang zum Versteck

Homosexuelle können nicht mehr mit der Aufforderung abgeschoben werden, in der Heimat ihre sexuelle Identität zu verstecken. Doch damit ist nicht alles gut.

Frauen im Iran: Die behördliche Aufforderung zum Versteckspiel im Heimatland ist Schnee von gestern. Bild: dpa

BERLIN taz | Wenn sie mit ihren „Neigungen nicht auf offener Straße provozieren“ würde, könnte sie in ihrem Heimatland ein sicheres Dasein führen. Sie solle einfach auf „sexuelle Verfehlungen“ verzichten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sah keinen Grund, weshalb die lesbische Iranerin Samira G. in Deutschland Asyl bekommen sollte und lehnte ihren Antrag im Frühjahr vergangenen Jahres ab. Zwar drohen im Iran lesbischen Frauen Peitschenhiebe und Tod durch Steinigung, aber es wird ihr schon nichts passieren, wenn sie einfach aufhört lesbisch zu sein.

Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen. Die queere Community sammelte 2.000 Unterschriften, schickte einen offenen Brief an den Bundesinnenminister. Die Behörden lenkten ein und erteilten Samira G. eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und ein Abschiebeverbot. Durch die mediale Öffentlichkeit war ihr ein diskretes Leben im Iran nicht mehr möglich. Ohne den öffentlichen Druck müsste die Iranierin also weiter fürchten, abgeschoben zu werden.

Derartige Ablehnungsgründe sind künftig nicht mehr möglich. Denn das BAMF hat kürzlich eine Kehrtwende vollzogen. In einem Brief an Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, teilt das Amt mit, dass es in Zukunft Ablehnungsbescheide mit dem Hinweis, die Antragsteller könnten auf die Auslebung ihrer Homosexualität im Heimatland verzichten, nicht mehr geben wird.

„Einem Antragsteller ist es grundsätzlich nicht zumutbar, gefahrenträchtige Verhaltensweisen zu vermeiden, um einer Verfolgung auszuweichen, die ihm andernfalls, z.B. wegen seiner sexuellen Ausrichtung, drohen würden“, heißt es in feinstem Bürokratendeutsch in dem Schreiben. Das Amt bestätigt der taz, dass „kein Verweis auf gefahrvermeidendes, diskretes Verhalten“ mehr erfolgt.

Urteil führt zu Sinneswandel

Die Behörde begründet ihren Sinneswandel mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom September 2012. Demnach kann von Asylbewerbern, die in ihrem Heimatland einer religiösen Minderheit angehören und deshalb verfolgt werden, künftig nicht mehr verlangt werden, ihren Glauben in der Heimat im Stillen auszuleben. Diese Argumentation wurde jetzt auf die sexuelle Identität von Asylbewerbern übertragen.

Volker Beck begrüßt es, dass das BAMF von seiner „menschenentwürdigenden Praxis“ abrückt. Es dürfe von niemandem verlangt werden, seinen politische Überzeugung, seinen Glauben oder seine sexuelle Identität zu verleugnen, um Verfolgung oder gar der Todesstrafe auszuweichen. „In Zukunft dürfen Schwule und Lesben nicht mehr in Länder abgeschoben werden, in denen Homosexualität unter Strafe steht.“

Auch der Berliner Rechtsanwalt Dirk Siegfried, der seit Jahrzehnten derartige Fälle betreut, sieht einen deutlichen Fortschritt. Es bleibe allerdings das Problem der angeblichen Unglaubwürdigkeit der Antragsteller. „Dabei ist meine Erfahrung: wenn jemand aus den entsprechenden Ländern kommt und sagt ´ich bin lesbisch´ oder ´ich bin schwul´, dann stimmt das auch.“

Wenige hundert Fälle im Jahr

„Oft erwarten die Betroffenen bei Anhörungen von ihrem Gegenüber, etwa den Dolmetschern, eine homophobe Grundhaltung und trauen sich deshalb nicht, über ihre sexuelle Identität zu sprechen“, sagt Anwältin Gisela Seidler, die Samira G. vertreten hat. Sie offenbaren sich dann häufig erst später, wenn sie selbst Deutsch sprechen. In den Augen vieler Sachbearbeiter und Richter ein Zeichen der Unglaubwürdigkeit.

„Skandalös ist außerdem, dass immer wieder Mitarbeiter des Bundesamts über derartige Fälle entscheiden, die die Betroffenen nicht selbst angehört und deshalb nie einen persönlichen Eindruck gewonnen haben“, sagt Seidler.

Genaue Zahlen zu Asylbewerbern, die Homosexualität als Grund für den Antrag angeben, gibt es nicht. Pro Asyl schätzt, dass es sich um wenige hundert Fälle im Jahr handelt. Aus dem Schreiben des BAMF geht hervor, dass in den vergangenen drei Jahren 108 Menschen aus Uganda Asyl beantragt haben, wobei „nahezu alle männlichen Antragsteller und auch ein deutlicher Anteil der Frauen“ Verfolgung aufgrund von Homosexualität angaben. Obwohl der Behörde bewusst ist, dass es für Homosexuelle in dem Land zu „schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen kommen kann“, wurden nur zwei Asylanträge bewilligt, die überwiegende Mehrheit dagegen wegen mangelnder Glaubwürdigkeit zurückgewiesen.

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