Homosexueller Ex-Bundesanwalt: „Gewohnt, Versteck zu spielen“

Rund 50.000 Männer wurden wegen ihrer Homosexualität verurteilt. Ex-Bundesanwalt Manfred Bruns über die Opfer des Paragrafen 175 und sein eigenes Coming-out.

Nicht mehr ganz so versteckt: Zum CSD weht die Regenbogenflagge am Hamburger Rathaus. Bild: dpa

taz: Herr Bruns, wie viele schwule Männer können jetzt auf eine Rehabilitierung hoffen?

Manfred Bruns: Niemand weiß, wie viele von den ursprünglich rund 50.000 verurteilten Männern noch leben. Sie dürften heute jedenfalls alt sein. Die Bundesregierung und der Bundestag sollten sich beeilen, solange die Betroffenen noch am Leben sind.

Warten die Verurteilten darauf, dass diese alten Urteile aufgehoben werden?

Wir wissen sehr wenig über die Betroffenen. Kaum jemand, der damals wegen Unzucht verurteilt wurde, geht heute an die Öffentlichkeit. Die Männer waren es gewohnt, Versteck zu spielen, und können das bis heute nicht ablegen. Manche wollen ihre Homosexualität auch weiterhin vor ihrer Familie und ihrem Umfeld geheim halten.

Mit einer Flut an Entschädigungsanträgen ist also nicht zu rechnen?

Überhaupt nicht. Falls die Bundesregierung davor Angst hat, kann ich sie beruhigen. Es geht hier um eine symbolische Frage: Ob Deutschland bereit ist, das Unrecht anzuerkennen und, soweit möglich, aus der Welt zu schaffen.

78, war bis 1994 als Bundesanwalt beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe tätig. Seit 1990 ist er Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland. Für sein Engagement erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Die Justizministerin sieht den Rechtsstaat in Gefahr, wenn das Parlament Strafurteile aufhebt …?

Ich schätze die Ministerin sehr, aber hier verstehe ich sie nicht. Es kann doch nicht falsch sein, wenn Unrechtsurteile aufgehoben werden.

Hatten Sie persönlich unter dem Paragrafen 175 zu leiden?

Mittelbar. Ich wurde nie bestraft, weil ich meine Homosexualität jahrzehntelang unterdrückt habe. Ich habe mir was vorgemacht und wollte davon nichts wissen. 1961 habe ich geheiratet und bis in die 80er-Jahre strikt an der Ehe festgehalten, auch weil ich Angst um meine bürgerliche Existenz hatte.

Was passierte, als Sie sich Mitte der achtziger Jahre schließlich outeten?

Im Jahr 1983 war General Kießling wegen angeblicher Homosexualität zwangspensioniert worden. Da ging ich zum meinem Vorgesetzten, Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, und sagte, ich sei zwar homosexuell, aber nicht erpressbar, denn meine Frau wisse Bescheid. Trotzdem wurde ich sofort versetzt. In der Revisionsabteilung für Staatsschutzsachen hatte ich bis dahin auch mit geheimen Unterlagen zu tun. Doch nun galt ich als Sicherheitsrisiko.

Haben Sie sich gewehrt?

Ja, ich war sehr wütend und habe das öffentlich gemacht. Da hat Rebmann, der sehr konservativ war, jahrelang nicht mehr mit mir gesprochen. Einmal hat er mich sogar angezeigt, wegen Beihilfe zum Drogenmissbrauch. Damals hatte ich für die Aids-Hilfe ein kurzes Gutachten geschrieben, dass es rechtmäßig sei, an Heroinsüchtige Einwegspritzen abzugeben, um die Ausbreitung von Aids zu verhindern. Das Verfahren gegen mich wurde natürlich eingestellt.

War das Mobbing?

Vermutlich. An solchen Schwierigkeiten sieht man, dass die Stigmatisierung, die der Paragraf 175 ausdrückte und bewirkte, auch nach 1969 weiter fortbestand.

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