Human Rights Watch zu China: „Supergau für die Menschenrechte“

Die Organisation wirft Peking vor, Menschenrechte brutalst zu unterdrücken. Die internationale Politik hat die Situation sogar noch verschlimmert.

Demonstranten halten uigurische Fahnen

Hongkong, 22. Dezember 2019: Solidarität mit der uigurischen Minderheit in Chinas Provinz Xinjiang Foto: Lucy Nicholson/reuters

BERLIN taz | Die Volksrepublik China durchlebt unter ihrem Präsidenten Xi Jinping derzeit „die durchdringendste und brutalste Unterdrückung seit Jahrzehnten“. Zu diesem Fazit kommt Kenneth Roth, der Geschäftsführer der internationalen Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch (HRW), im Schwerpunktkapitel des Jahresberichts 2020 seiner Organisation. Er stellte ihn am Dienstag in New York vor.

Eigentlich wollte Roth den 650-Seiten-Bericht mit Passagen über mehr als 100 Länder in Chinas Sonderverwaltungsregion Hongkong persönlich präsentieren. Doch die chinesischen Behörden ließen ihn dort nicht einreisen und bestätigten damit seinen verheerenden Befund.

HRW hat in der autonom regierten Stadt, die bisher als recht liberal galt, seit Jahren ein Büro, das Roth schon mehrfach besuchte. Doch jetzt wurde ihm die Einreise mit der nachgeschobenen Begründung verweigert, HRW stecke hinter der seit Monaten anhaltenden Protestbewegung. Diese wehrt sich genau gegen jene zunehmende Einmischung Pekings in Hongkongs Politik und die Aufweichung des Autonomieprinzips „ein Land, zwei Systeme“.

„Die chinesische Regierung betrachtet die Menschenrechte als existenzielle Bedrohung“, so Roth. „Offenbar aus Sorge, die Gewährung politischer Freiheiten könne ihren Machterhalt gefährden, hat die Kommunistische Partei in China einen hochtechnisierten orwellschen Überwachungsstaat geschaffen“, heißt es im Bericht.

Bei der Vorstellung in New York meldete sich auch ein chinesischer Diplomat der dortigen UN-Mission zu Wort. „Wir können den Inhalt dieses Berichts nur zurückweisen“, sagte er laut dpa. Der Bericht enthalte Vorurteile und Erfindungen. Wer nicht erwähne, dass China in den letzten Jahrzehnten 700 Millionen Menschen aus der Armut geführt habe, dürfe sich nicht Menschenrechtsorganisation nennen. Zu Roth direkt sagte er: „Angesichts dessen, was Sie gesagt haben, denke ich, dass es allen klar ist, warum Ihnen der Zutritt [nach Hongkong] verwehrt wurde.“ Roth forderte den Diplomaten auf, konkret zu sagen, was an den Vorwürfen falsch sei. Der ging darauf nicht ein.

Auch Trump schwächt Menschenrechte

Roth wirft dem Regime die Schwächung internationaler Menschenrechtsnormen und -institutionen vor. Doch werde Peking dies auch von anderen erleichtert: „Staatschefs wie US-Präsident Donald Trump, Indiens Premierminister Narendra Modi oder der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro sträuben sich gegen dasselbe internationale Gesetzeswerk, das auch von China untergraben wird“, so Roth.

Viele Regierungen, die bislang wenigstens teilweise verlässliche Verteidiger der Menschenrechte gewesen seien, hätten sich laut HRW weitgehend von ihnen abgewendet. Als ein Beispiel wird die EU genannt, die durch den Brexit abgelenkt, durch Nationalismus gespalten und Uneinigkeit in Migrationsfragen behindert werde.

Enttäuscht ist HRW auch von den 57 Mitgliedstaaten der Organisation für Islamische Kooperation (OIC). Die hätten zwar die ethnischen Säuberungen gegen die muslimische Rohingya-Minderheit in Myanmar kritisiert, die massive Unterdrückung der Minderheit der muslimischen Uiguren in China aber opportunistisch als „Fürsorge für seine muslimischen Bürger“ gelobt.

Viele Autokraten blickten laut HRW sogar neidvoll auf Chinas verführerische Mixtur aus wirtschaftlichem Erfolg, rasanter Modernisierung und scheinbar gefestigter politischer Macht. China werde deshalb sogar hofiert.

Starke Wirtschaft stärkt Diktatur

„Tatsächlich hat die Kommunistische Partei gezeigt, dass wirtschaftliches Wachstum eine Diktatur stärken kann, in dem es ihr die nötigen Mittel zur Durchsetzung ihrer Herrschaft bereitstellt und sie in die Lage versetzt, die Kosten des Machterhalts zu bezahlen“, bilanziert der Bericht.

Roth geht darin auch mit zwei von westlichen Regierungen gern propagierten China-Strategien – „Wandel durch Handel“ und „stille Diplomatie“ – hart ins Gericht. Ersteres habe bei ausländischen Unternehmen dazu geführt, dass diese sich jetzt auch außerhalb Chinas selbst zensierten. „Die Vorstellung, die Unterdrückung unabhängiger Stimmen ende an Chinas Grenzen, ist obsolet“, so Roth.

Viele Autokraten blickten sogar neidvoll auf Chinas verführerische Mixtur aus wirtschaftlichem Erfolg und scheinbar gefestigter Macht

Und wer behaupte, er brächte in Peking Chinas Menschenrechtsbilanz unter vier Augen zur Sprache, müsse sich fragen lassen, „inwieweit das chinesische Volk – der wichtigste Motor des Wandels – sie überhaupt hören kann“.

Chinesische Politiker müssten vielmehr öffentlich für ihre Unterdrückung zur Rede gestellt werden – um den Preis des Unrechts zu erhöhen und die Opfer zu bestärken, fordert Roth.

„Den Preis des Unrechts erhöhen“

„Die chinesischen Amtsträger sollten zu spüren bekommen, dass sie niemals zu Ansehen gelangen werden, solange sie ihre Bevölkerung verfolgen“, so Roth. Chinesische Beamte, die direkt an der massenhaften Internierung von Uiguren beteiligt seien, sollten zu Personae non gratae erklärt werden.

Der Bericht zeigt deutlich, dass die bisherige Menschenrechtspolitik gegenüber Peking nicht nur weitgehend gescheitert ist, sondern das Thema Menschenrechte im Umgang mit China von der internationalen Tagesordnung weitgehend verschwunden ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.