Hype um Romance-Literatur: Die Lust im Text
Menschen unter 30 greifen immer häufiger zu Lovestorys mit bunten Buchrücken. Schüttet Romance die Gräben zwischen E- und U-Literatur zu?
Gäbe es keine Buchmessen, womöglich wäre der etablierten Literaturkritik der Hype um Romance-Bücher noch gar nicht aufgefallen. Denn dass Verlage ihr anspruchsvolleres Programm mit Liebesromanen im Stile Cecelia Aherns oder Jojo Moyes gegenfinanzieren, ist an sich nicht neu. Doch als im letzten Jahr die Frankfurter Buchmesse eine ganze Halle dem Genre New Adult zuwies, in der sich dann junge Erwachsene in Schlangen einreihten, um ein Foto mit ihren dem Feuilleton gänzlich unbekannten Lieblingsautor:innen zu machen, da ist man doch neugierig geworden. Um nicht zu sagen: alarmiert.
Außerhalb der Messen ist das Interesse an Romance jedoch relativ schnell abgeflaut. Es scheint, man hat sich damit abgefunden, dass Dark Romance, Romantasy und New Adult eben jetzt die Schlachtrösser sind, die das Geld einbringen; die Lastentiere, die die alte Möhre Hochliteratur ziehen. Haftet dieser Perspektive erkennbar etwas Elitäres an, lassen viele der Romance-Szenarios ebenfalls wenig Klassenbewusstsein erkennen.
Einige Autor:innen verpassen ihren Love Interests einen aristokratischen Hintergrund, auch Millionärssöhne gibt es. So etwa in J. S. Wondas „Hunting Angel“-Serie, deren dritter Band mit einer Rückschau beginnt: Zurück zu jenem Tag, als ein reicher Teenager ein Mädchen auf seiner Hausparty vergewaltigt. Er sei „ein ziemlicher Arsch“ damals gewesen, bekennt er.
J. S. Wonda ist eine der bekanntesten deutschen Autor:innen des Genres und „Hunting Angel“ typische Dark Romance: Missbrauch, Verbrechen, Menschenhandel sind die Zutaten, die bei einer heißen Liebesgeschichte nicht fehlen dürfen. Die dunkelste Ecke der Romance-Sparte beschäftigt die bürgerliche Kritik dabei am meisten: Mit Sorgen ums Kindeswohl ist man schnell bei der Hand. Minderjährige vor dem schützen zu wollen, was zwischen zwei Buchdeckel passt, wirkt angesichts all der nur einen Klick entfernten Grausamkeiten allerdings geradezu aberwitzig.
Das lustvollere Leben im Blick?
Gehen wir davon aus, dass die Altersvorgaben bei Dark Romance konsequent eingehalten werden (wie bei Pornovideos). Dass niemand eine schlechte Feministin ist, der Fantasien von gewaltsamem Sex hat, ist klar. Ob das Lesen von Spice und Smut wirklich zu einem lustvolleren Leben führt oder nicht eher Ersatzbefriedigung bleibt, hingegen weniger.
Dabei ist der therapeutische Effekt von Romance-Literatur nicht von der Hand zu weisen. Repräsentation ist wichtig und das Genre durchaus ziemlich queer. Vermischt wird mitunter Lovestory mit Pädagogik und Empowerment.
In Sophie Bichons „Und wir tanzen über den Flüssen“ etwa verlieben sich drei Menschen ineinander und entscheiden, auch zu dritt zusammenzubleiben. Im Jargon nennt man diese Konstellation Reverse Harem. Der Frau und den beiden Männern wird mit Unverständnis begegnet, doch sie klären ihr Umfeld geduldig über Polyamorie auf, Gespräche über Labels, die man verwenden oder nicht verwenden will, finden so statt, dass jede:r Lesende:r sie versteht.
Auch bei Fanfiction, also von Fans geschriebenen Fortsetzungen oder Abwandlungen von Romanen und Serien, spielt Queerness eine Rolle. Die Welt von Harry Potter etwa, eigentlich eine recht heterosexuelle Angelegenheit, wird von Fanseite gewissermaßen gequeert, indem sich etwa Gryffindor-Helden mit bösen Slytherin-Boys vereinigen.
Die Tatsache, dass sich auf Fanfiction-Portalen explizit nach bestimmten Kategorien („tropes“) wie eben Reverse Harem, Enemies to Lovers oder Fake Dating suchen lässt, die auch im Romance-Bereich zum Einsatz kommen, zeigt: Hier geht es um Erwartbarkeit, um Bedürfnisbefriedigung. Romance scratcht einen itch. Literatur wiederum: ist der itch.
Denkpausen nicht nötig
Wenn Roland Barthes von der durchs Lesen ausgelösten Selbstauflösung angesichts neuer Sinnzusammenhänge schreibt, der Lust am Text, ist bei Romance die Lust ausschließlich im Text zu Hause. Die Bücher sind klassische Page-Turner: Denkpausen einzulegen ist nicht nötig, eher hinderlich, denn Befriedigung stellt sich höchstens ein, wenn der Text die Lesende flutwellenartig überspült.
Zumindest, wenn man sich in der Lage dazu sieht, den Figuren Sätze wie „Ich bin inzwischen 23 Jahre alt und stehe auf eigenen Beinen“ zu verzeihen und großzügig über obsessives Tanzen im Regen hinwegsieht. Was nicht vielen diesseits der Gräben zwischen E- und U-Literatur gelingen dürfte. Jedenfalls noch nicht.
Denn wenn der Spätkapitalismus uns eins gelehrt hat, dann das: Wer nicht wachsen will, geht unter. Und das Wachstum im Romance-Bereich war in den letzten Jahren enorm. Bei Penguin Random House, der größten Publikumsverlagsgruppe im deutschsprachigen Raum, habe sich der Umsatz durch New-Adult-Titel von 2023 auf 2024 nahezu verdoppelt, sagte eine Sprecherin gegenüber der taz.
Bei Bastei Lübbe, dem zweitgrößten Verlag, machten die „Community-getriebenen Modelle“, worunter auch die Romance-Imprints fallen, mittlerweile 39 Prozent des Umsatzes aus. Romance ist dabei ein weltweiter Trend. Insbesondere auf den Philippinen, dem Gastland der diesjährigen Buchmesse, wo viel im Literaturbetrieb über Selbstorganisation läuft, hat das Genre Unmengen an Fans.
Es ist nett in der Romance-Welt
Nun ist ein „New Adult“, wer zwischen 18 und 30 Jahre alt ist. Wenn diese kleine Gruppe für derart viel Umsatz in der sonst eher krisengeplagten Buchwelt verantwortlich ist, könnte man es den Verlagen verübeln, gäben sie der Versuchung nach und nähmen immer mehr nährstoffarme Literatur in ihre Programme auf, in der Hoffnung weitere Leser:innen auch jenseits der 30 zu gewinnen?
Es ist nett in der Romance- und BookTok-Welt. Die Fanfiction trägt es bereits im Namen, kritische Distanz zum Gegenstand kennt man hier nicht, mitunter weist die Netiquette einen sogar darauf hin, Kritik nur auf Wunsch der:des Autor:in zu äußern. Was der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler in Bezug auf Fantasy feststellt, gilt für Romance-Communitys ebenso: „Gutfinden ist in der Attraktionskultur das A und O, so wie die Kaufentscheidung in der marktförmigen Populärkultur.“ Fragen der Ästhetik, des Handwerks, des Sinns und der Aussage rückten in den Hintergrund.
Fürs Geschäft sind Buchblogger auf Social Media mittlerweile wohl mindestens genauso wichtig wie die Literaturkritik. Formal unabhängig muss, man erstere in einem Umfeld ohne Daumen-runter-Button wohl trotzdem dem verlagsseitigen PR-Apparat zurechnen: Auf dem hübsch arrangierten Büchertisch, zwischen Duftkerze und Farbschnitt, ist zumeist schlicht kein Platz für Kritik.
Farbschnitte sind übrigens tatsächlich ein Kaufargument: Es scheint so einige Menschen zu geben, die kaufen Bücher eher, wenn die Schnittkanten bunt leuchten. Was häufig bei Romance-Büchern der Fall ist.
Jene Bücher sind schnell geschrieben, schnell gelesen. Die deutsche Bestseller-Autorin D. C. Odesza etwa hat trotz ihres recht jungen Alters bereits über 50 Dark-Romance-Romane geschrieben. Die Werbung übernimmt das Spektakel selbst, indem es sich immer wieder reproduzierende Zustimmungsschleifen auf Social Media erschafft. Ist Konsumierbarkeit das einzige Kriterium, so dehnt sich der Markt bis ins Unendliche: Den Süchtigen verlangt es nach dem immer gleichen Stoff. Es ist womöglich kein Zufall, dass die New-Adult-Leser:innen jener Generation angehören, die Tiktok verfallen ist.
Der Massenmensch
Es ist so eine Sache mit dem Mainstream: Massenmenschen produziert man dadurch, dass man sie Massenware konsumieren lässt, hielt der Philosoph Günther Anders 1956 in „Die Antiquiertheit des Menschen“ fest. Konsum und Produktion fallen so zusammen: Durch den Konsum der Massenware macht sich der Konsument zum Mitarbeiter bei der Produktion des Massenmenschen. Dieser Massenmensch ist im höchsten Maße berechenbar. Der Markt hat leichtes Spiel.
Ein Teufelskreis, in dem mittlerweile übrigens auch die Maschinen mitmischen. Fragt man eine generative Text-KI etwa, wie sie eine Liebesgeschichte schreiben würde, fallen häufig Formulierungen, die bereits in Romance-Büchern unangenehm auffallen: Wir waren nicht „perfekt“, dafür aber „echt“, urteilen Liebespaare regelmäßig über sich. Diese Häufung mag Zufall sein, immerhin wurde die KI mit echten Texten trainiert. Die Maschine greift also auch auf das Werk menschlicher Romance-Autor:innen zu. Dass diese Beziehung wechselseitig ist, das würden hingegen nur böse Zungen behaupten.
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