„Identitäre Bewegung“ und Social Media: „Performance hauptsächlich im Netz“

Die rechtsextremen Identitären sind offiziell rechtsextrem. Der Journalist Sören Musyal über deren Auftreten und Wirkungspotenzial in den sozialen Medien.

Ein Mann schwenkt eine Fahne. Er steht auf einem Sockel. Polizisten sind in der Nähe

Identitären-Aktion auf dem Brandenburger Tor, August 2016 Foto: dpa

taz: Herr Musyal, der Verfassungsschutz hat die „Identitäre Bewegung“ (IB) diese Woche offiziell als rechtsextrem eingestuft. Sie beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit der IB und haben sich im Zuge Ihrer Recherchen auf deren Performance im Netz konzentriert. Was sind Ihre Befunde?

Sören Musyal: Man muss sagen, dass die Performance hauptsächlich im Netz stattfindet. Es gibt natürlich auch Offline-Aktionen, aber unsere Beobachtung ist, dass auch diese Aktionen stets auf das Online-Publikum zielen. Die bekanntesten Aktionen sind die Besetzung des Brandenburger Tors und „Defend Europe“, die auf beiden Ebenen funktionieren.

Es gibt aber auch Aktionen, bei denen niemand oder gar kein Publikum zugegen ist. Das Ziel ist stets: Aufnahmen zu machen und das dann auf den Social-Media-Kanälen zu verwerten. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Besetzung der Stadthalle in Cottbus, wo im Endeffekt vier Leute auf das Dach geklettert sind. Die Leute in Cottbus selbst sind unbeeindruckt vorbeigelaufen. Erst wenn man sich Social Media anguckt, sieht das Ganze wie eine gelungene Aktion aus.

Dienen Störaktionen, wie am Maxim Gorki Theater, nur dem Zweck, die Online-Performance zu unterstützen?

Jahrgang 1989, Soziologe und arbeitet als freier Journalist. Für die Dokumentation „Lösch Dich!“ von Funk, dem Jugendangebot von ARD und ZDF, recherchierte er undercover in rechten Trollnetzwerken. Gemeinsam mit Patrick Stegemann arbeitet er an einem Buch zur Neuen Rechten im Netz.

Die kommen aus der Tradition heraus. Sie beziehen sich sehr stark auf die Aktionsformen der 68er und dann auch auf Götz Kubitschek, der das Ganze eher für eine „konservative“ Bewegung adaptiert hat. Insofern finden diese Aktionen statt. Aber wenn man die Identitäre Bewegung regelmäßig beobachtet, würde ich schon sagen, dass die Performance grundsätzlich stärker online stattfindet als offline. Natürlich gibt es auch offline regelmäßig Ereignisse, die man ja braucht, um ein Ereignis zu erzeugen, filmen und verwerten zu können. Aber die Vermarktungslogik liegt stärker auf online.

Funktioniert die Vermarktungslogik?

Ja, das würde ich schon sagen. Inzwischen geht man davon weg, die Identitären bei ihrem selbstgewählten ganzen Namen zu nennen – nämlich Identitäre Bewegung –, weil ja alleine das schon eine Lüge ist, wenn man so will. Die aktuellen Zahlen liegen bei um die 600 Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland. Das ist ja beileibe keine Bewegung, wie Pegida zum Beispiel, die ja über einen längeren Zeitraum mehrere Tausend Leute mobilisieren konnten.

Die sind aber vielleicht nicht als feste Gruppierung vernetzt, sondern eher als Demonstration, bei der es feste Mitglieder auf Organisationsebene gibt.

Das stimmt. Gleichzeitig kann man schon beobachten, dass bei den Identitären ein sehr harter Kern von Aktivistinnen und Aktivisten immer anwesend ist, der vor allem aus Österreich und Deutschland an alle möglichen Orte gekarrt wird. Das heißt, selbst diese Zahl 600 findet sich nicht auf den einzelnen Aktionen wieder. Insofern gibt es einen kleinen Kern, der überall in Deutschland antritt.

Wenn man sich dann anguckt, wie sie in den sozialen Netzwerken performen, dann haben sie schon für ihre Größe eine relativ große Reichweite. Martin Sellner, das bekannteste Gesicht, hat über 100.000 Abonnentinnen und Abonnenten auf YouTube. Das ist auch noch nicht so wahnsinnig viel. Doch wenn man guckt, was die eigentlich machen, ist das schon beunruhigend viel. Insofern kann man sagen, die machen das Ganze online schon gut und erwecken den Eindruck, dass es eine Bewegung ist.

Wie funktioniert denn deren Performance online?

Da gibt es sehr unterschiedliche Strategien. Wenn es darum geht, als Bewegung zu erscheinen, dann sind es relativ einfache Verfahren, wie Demonstrationen von vorne und unten zu filmen, sodass man nur die ersten beiden Reihen sieht und die leere dritte und vierte Reihe nicht.

Das Inszienieren von etwas, was gar nicht so groß ist?

Genau. Und sehr schöne Bilder verwenden, Zeitlupe und so weiter. Immer die gleiche Anzahl von weiblichen und männlichen Aktivisten in den Vordergrund stellen, sodass das Bild entsteht, dass das Verhältnis relativ ausgewogen ist. Das sind relativ einfache Mittel, die eingesetzt werden, um den Eindruck zu erwecken, man sei sehr viele. Dann kommt die Rhetorik dazu, die man auch von der AfD oder im Rechtspopulismus allgemein kennt: man sei die schweigende Mehrheit, vertrete die Interessen der schweigenden Mehrheit.

Gleichzeitig beißt sich das ein bisschen mit dem Selbstbild der Identitären, die sich selbst als eine Art Elite oder Avantgarde begreifen. Sie bewegen sich da in einem Widerspruch. Es ist auch nicht das Ziel, eine Massenbewegung zu sein. Martin Sellner hat das selbst in einem Interview so zu uns gesagt, dass man mit einem kleinen Kern von Aktivisten im Zweifel mehr erreichen könne als mit einem Kleingartenverein von 20.000 eher lose verbundenen Mitgliedern.

Sehen Sie ein Vernetzungspotenzial zu anderen rechtsextremen Gruppen oder auch rechten Parteien wie der AfD? Haben Sie das beobachtet in ihren Untersuchungen?

Es gibt auf jeden Fall Vernetzungen. Zwar existiert ein Unvereinbarkeitsbeschluss, aber gleichzeitig heißt es nur, wer Mitglied der Idenitären ist, kann nicht AfD-Mitglied sein. Das heißt nicht, dass man auf einer eher inoffizielleren Ebene nicht miteinander kooperieren kann. So hat zum Beispiel ein AfD-Abgeordneter in Hessen ein einschlägig bekanntes Jugendzentrum in Halle gekauft, in dem die Identitären sitzen. Und der Bundesvorsitzende der Identitären hat für einen AfD-Abgeordneten gearbeitet. Insofern gibt es auf jeden Fall personelle Überschneidungen.

Gibt es auch Überschneidungen im Netz, in der Form, wie oder mit wem die Inhalte verbreitet werden?

Nicht explizit. Vonseiten der Identitären wird zwar immer wieder für die AfD und aufgrund des starken Österreich-Bezugs auch für die FPÖ geworben. Andersrum aber werden keine offiziellen gemeinsamen Kampagnen gemacht. Das heißt allerdings nicht, dass man nicht zusammenarbeitet. Zum Beispiel bei der großen rechten Kampagne gegen den UN-Migrationspakt, die von den Identitären ausging und stark von der AfD unterstützt wurde. Insgesamt ist die AfD aber bisher darauf bedacht, sich nicht von der IB zu distanzieren, aber gleichzeitig zumindest oberflächlich die Distanz zu wahren.

Sehen Sie den Effekt, dass die IB als recht kleine Gruppe eine recht hohe Reichweite im Netz erzielt?

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten erzielen sie relativ hohe Reichweiten. Man kann schon sagen, dass es ihnen gelingt, ihre zentralen Begriffe – wie „der große Austausch“, „Remigration“ – in den Diskurs zu bringen. Von „Umvolkung“ war schon im Bundestag die Rede. Eine CDU-Abegordnete war das, die das weniger im bösen Willen als in Unwissenheit so formuliert hat. Aber trotzdem kann man daran sehen, dass, vor allem auf Twitter, die zentralen Begriffe der Identitären und der Neuen Rechten allgemein schon sehr hochfrequentiert wiedergegeben werden – auch von Leuten, die jetzt vielleicht nicht der Identitären Bewegung zugerechnet werden müssen, aber vielleicht rechtes oder rechtsextremes Gedankengut haben.

Müsste man den Diskurs auf Twitter oder auf Plattformen allgemein stärker regulieren?

Tja, mit dem NetzDG gibt es ja eine Handhabe. Die wird aber, soweit ich weiß, wesentlich weniger von Menschen genutzt als vorher angenommen. Ich habe den Eindruck, dass es auf jeden Fall etwas bringt, wenn man gegen große rechte Accounts vorgeht, wie es Milo Yiannopuolos passiert ist, der von allen großen Social-Media-Plattformen gelöscht wurde, und wie es auch Martin Sellner selber auf Instagram passiert ist, sodass es jetzt nur noch einen Account gibt, der als Parodie-Account getarnt ist. Das beschränkt schon die Reichweite. Ich glaube, das ist sehr hilfreich, wenn man verhindern möchte, dass rechtsextreme Verschwörungen sich im Netz fortbewegen, beziehungsweise es zentrale Anlaufstellen gibt. Verhindern kann man es aufgrund der vielen Fake-Accounts wahrscheinlich nicht.

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