Imagewechsel einer Insel: „Das braucht etwas Zeit“

Helgolands Bürgermeister Jörg Singer über das neue Tourismuskonzept der Hochseeinsel, Duty-free-Shops und das traditionelle Ausbooten.

Mehr Urlaubs-, weniger Tagesgäste: Touristen auf dem Weg nach Helgoland. Bild: dpa

taz: Herr Singer, wieso gibt es bei Ihnen noch so viele Duty-free-Shops? Fällt den Helgoländern seit 1952 nichts Neues ein?

Jörg Singer: Es gibt unterschiedliche Konzepte: einerseits solche, die Geschäftsmodelle aus den 1980er-, 1990er-Jahren verfolgen. Inzwischen existieren aber auch Nebenkonzepte, die sehr modern sind und auf ein anderes Publikum zielen.

Wie würden Sie die „alten“ Konzepte beschreiben?

Auslöser war die Reisereportage "Die Insel der roten Köpfe" über Helgoland am 30. 5. 2011 in der taz.nord, die die Insel als einen Ort beschrieb, "an dem sich Militaristen und Ornithologen treffen" und in der Alkoholismus bei Touristen und Einheimischen vermutet wurde.

Helgolands Kurdirektor Klaus Furtmeier drohte daraufhin mit einer Verleumdungsklage und forderte eine Entschuldigung der taz.

Helgoländer und Helgoland-Fans schrieben binnen weniger Tage knapp 300 Kommentare auf die Online-Ausgabe des Artikels; überregionale Medien berichteten über den Streit.

Eine Woche später schaltete Helgolands Kurdirektor eine Anzeige in der taz.nord, mit der er die Leserschaft nach Helgoland einlud.

Sie bestehen im Verkauf möglichst hochwertiger zollfreier Waren – vor allem an Gäste, die nur kurz auf der Insel sind.

Und was verkaufen die modernen Läden?

Hochwertige Bekleidung im Sport-, Fitness- und Outdoor-Bereich. Aber auch Schmuck, Uhren, Porzellan und Maritimes.

Welche Geschäfte überwiegen?

Ich kenne keine Statistik, kann aber sagen, dass in den letzten fünf Jahren zumindest kein Duty-free-Laden dazu gekommen ist. Dafür viele Geschäfte mit modernem Sortiment.

Warum halten sich die Duty-free-Shops so lange?

Ich glaube, dass es zum Teil eine Generationsfrage ist. Jemand, der 40 Jahre lang ein aus seiner Sicht erfolgreiches Geschäft betrieben hat, wird daran vermutlich festhalten.

Wie viele Zollfrei-Läden wurden aufgegeben, weil sie nicht mehr liefen?

Ich glaube, sie sind immer noch lukrativ. Und dass viele an ihren Themen festhalten, ist eine Mentalitäts- und Traditionsfrage.

Wie wollen Sie das „Fuselfelsen“-Image endgültig ablegen?

Ich wünsche mir mehr Angebote für die sogenannten Lohas, die Genießer des Hochwertigen. Und für alle, die auf Nachhaltigkeit Wert legen – etwa bei Kosmetik und Nahrungsmitteln. Und ich wünsche mir mehr Kunsthandwerk. Aber das braucht Zeit.

Könnten Sie das steuern – etwa durch Existenzgründerförderung für nachhaltige Läden?

Wir planen, durch eine Gestaltungssatzung etwas in dieser Richtung zu tun. Aber wir können nicht bestimmte Ladenkonzepte fördern. Ich wünsche mir aber, dass sich die Geschäftstreibenden inspirieren lassen, wenn sie anderswo Urlaub machen. Dass sie nach Trends schauen und sie Stück für Stück in ihre Laden-Ideen integrieren.

Wird auf Helgoland offen über Tourismuskonzepte diskutiert?

Wir wollen bei der nächsten Bürgerversammlung über die touristische Ausrichtung sprechen – und dazu gehört auch der Handel. Was uns nämlich zu denken geben sollte: Nur noch 20 Prozent der Tagesgäste kommen wegen der Zollfreiheit. Sehr gut zieht dagegen ein neues Butterfahrt-Konzept, bei dem man bis 430 Euro zollfrei einkaufen kann. Diese Variante funktioniert noch wie vor 50 Jahren. Bloß: Wir müssen lernen, dass diese Zollfreiheit mehr Potenziale hat – etwa für elektronische Geräte. Das berücksichtigen wir noch kaum.

Wieso kommt der Großteil der Touristen?

Weil die Leute einen tollen Tag erleben wollen. Mit einer Schifffahrt weit draußen im Meer; auch hier arbeiten wir an neuen Konzepten. Da ist Natur, Geschichte, Robben, die Düne, man kann um den Felsen laufen. Es kommen ja immer mehr Urlaubsgäste, während die Zahl der Tagesgäste stagniert.

Apropos Natur: Auf dem Klippenweg beschwören mehrere Schilder den Zweiten Weltkrieg. Hier ein Bombentrichter, dort die Nazi-Hummerschere. Ist diese Beschilderung dem Naturerlebnis zuträglich?

Bombardierung und Evakuierung waren negative Erfahrungen für die Helgoländer, und damit muss man sich auseinandersetzen. Und wenn man das so plakativ erleben kann, finde ich es schon richtig. Außerdem: Das sind Informationen, die man mitnehmen kann, nicht muss.

Aber wenn man, verträumt-urlaubs-gestimmt, auf diese Schilder trifft, verpufft die Erholung. Würde nicht eine Broschüre genügen, die man bei Bedarf liest?

Wenn Menschen, die diese Schilder stören, zur größten Zielgruppe gehörten, müsste man überlegen, ob man den Weg anders beschriebe und ihnen ein positiveres Naturerlebnis gäbe, ja.

Auch Bunkerführungen gehören zum Touristen-Programm, sie erinnern an den Zweiten Weltkrieg. Ist Ihnen bewusst, dass Sie so Kriegsveteranen und -verherrlicher anziehen?

Es ist nicht das Ziel, solchen Menschen einen „Nährboden“ zu geben. Und wir gehen ja auch nicht verherrlichend mit dieser Vergangenheit um. Sie wird nicht hochstilisiert, sondern hat eine große Schlichtheit. Ich weiß auch nicht, ob Menschen gezielt nach Helgoland fahren, um in die Bunkeranlage zu gehen.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Helgoländer in einer Opferhaltung verharren.

Die Evakuierung und die Wiederaufbau-Phase ab 1952 waren für die Helgoländer sehr emotionale Erlebnisse. Der Stolz, etwas aufgebaut zu haben, prägt die Insel bis heute. Und damit verbunden die Erwartungshaltung, dass Helgoland nationale Bedeutung hat und man für die Insel immer noch etwas tun muss.

Wer? Der Staat?

Ja. Und es stimmt ja, dass jede Kommune für manche Dinge die Unterstützung von Land und Bund braucht. Aber wir müssen auch Wege finden, möglichst selbstständig Dinge erfolgreich zu machen. Wir müssen selbstbewusster werden und aus eigenem Antrieb versuchen, etwas zu bewegen.

Sprechen wir über den konkreten Touristen-Empfang: Warum werden sie immer noch ausgebootet, obwohl Schiffe längst die Pier anlaufen können?

In den 1980er-, 1990er-Jahren hatten wir in der Tat zu wenig Liegeplätze für Schiffe. Deshalb sind sie draußen vor Anker gegangen und wurden von Börtebooten an Land gebracht. Das war früher eine touristische Attraktion. Neuere Umfragen zeigen aber, dass das immer weniger Gäste wollen. Wir arbeiten deshalb daran, dass die Schiffe anlanden können.

Wie teuer ist der Börteboot-Betrieb eigentlich?

Die Börte ist in Gemeindehand und sehr kostspielig. Die Boote bestehen aus Edelhölzern, deren Wartung sehr aufwendig ist.

Bezahlt die Gemeinde die Börte-Kapitäne?

Ja. Einige von ihnen sind auch öffentliche Angestellte.

Warum?

Anfang der 1990er-Jahre, als die Fahrgastzahlen sanken, war das der Wunsch, und deshalb haben wir das umgestellt ...

... von Privatunternehmern auf öffentliche Bedienstete?

Ja.

Werden die nicht gegen die Reduktion der Börte protestieren?

Einige Mitarbeiter der Börte werden in ein paar Jahren in Rente gehen. Und was die Jüngeren betrifft: Wir bauen ja gerade den Offshore-Hafen aus und werden dort Dienstleistungen anbieten. Da werden sich diese Menschen sukzessive in andere Arbeitsfelder entwickeln können. Die Kommune steckt zur Zeit sehr viel Geld in Ausbildung, damit diejenigen, die früher in der klassischen Börte gearbeitet haben, hier eine Zukunft finden.

Welches ist eigentlich das größte Problem auf Helgoland? Alkoholismus?

Nein, der ist nicht größer als anderswo. Was uns Sorge macht, ist das Thema Wohnen. Neue Wohnformen sind angesichts des Denkmalschutzes eine Herausforderung. Wir müssen das bald lösen, denn durch die Offshore-Bauarbeiten entstehen 150 neue Arbeitsplätze, und diese Leute müssen beherbergt werden.

Wo werden die neuen Wohnungen stehen?

Da die Landaufschüttung leider gescheitert ist, werden wir zwischen Vogelwarte und Leuchtturm auf 8.000 Quadratmetern neuen Wohnraum hinsetzen. Der darf dann auch eine andere Architektur haben.

Das heißt?

Da es verschiedene Stufen des Denkmalschutzes gibt, nehmen sie Elemente der alten Häuser auf– Farben und Dachform –, sind aber ansonsten modern, mit Glas, größeren Zimmern, Solarthermie und Dachterrasse.

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