Immer auf die Kleinen: Gerechtigkeit für den Hamster

Der Prepper unter den Tieren hat derzeit einen schlechten Ruf. Dabei ist er ein Vorbild-Öko. Das Problem ist der Mensch mit seinen Sündenböcken.

Zwei hamster auf einer Wiese

Denn Cricetus cricetus hat derzeit ganz schlechte Presse und einen fürchterlichen Ruf Foto: Kerstin Hinze/Imago

BERLIN taz | Als unsere Kinder klein waren, hatten sie es gut: Warme Kleidung, immer genug Nudeln mit Tomatensoße, Kika im Fernsehen, und geschlagen haben wir sie nicht mal aus Notwehr.

Eine seelische Grausamkeit haben wir trotzdem an ihnen begangen: Mit zwölf Jahren wollte unser Sohn ein Haustier. Er hatte sich sogar schon einen Käfig besorgt. Aber wir kamen nie dazu, einen Hamster zu besorgen.

Heute studiert er Biologie. Also der Sohn. Und ich fordere Gerechtigkeit für den flauschigen Nager. Denn Cricetus cricetus, der europäische Feldhamster, hat derzeit ganz schlechte Presse und einen fürchterlichen Ruf.

„Die Hamster sind unterwegs!“, schrieb eine Freundin alarmiert aus dem Supermarkt. Hamstern ist gefühlt noch asozialer, als Steuern zu hinterziehen, es wird sicher Wort oder Unwort des Jahres. Und selbst der Staatssekretär aus dem eigentlich für Naturschutz zuständigen Ministerium twittert ein Bild von Toilettenpapier im Regal und schreibt: „Kein Hamstern!“

Immer auf die Kleinen. Dabei ist der Hamster der Katastrophenschützer im Tierreich, ein Profiprepper. Hunde vergraben Knochen und finden sie nie wieder. Katzen bringen ermordete Singvögel vor die Terrassentür. Hamster legen in weiser Voraussicht einen Wintervorrat an, zu dem nicht mal Klopapier gehört.

Vegan, schäft lange und verhindert Straßen: Ein Held!

Im Gegenteil: Der mäuseartige Wühler aus der Familie der Nagetiere ist ein großer Ökoheld: Er lebt fast vegetarisch aus lokaler Produktion. Er verschläft die Hälfte des Jahres, statt in einer überheizten Wohnung Netflix zu streamen. Er benutzt fürs Shopping keine Plastiktüten, sondern seine Backentaschen. Er liefert uns sein Fell, testet unsere Medikamente und bremst unseren Siedlungswahn: ein neues Wohngebiet, ein Baumarkt, eine Umgehungsstraße? Auf den Feldhamster ist Verlass, um das Vorhaben zu stoppen.

Wir schieben ja gern unsere schlechten Angewohnheiten den Tieren in die Pfoten: Wenn wir mausen, drosseln, nachäffen oder rumtigern, können die Viecher aber nichts dafür. Wenn wir dumm wie ein Huhn sind, eine Schweinerei anrichten oder jemanden eine blöde Kuh nennen, wenn wir Krokodilstränen vergießen, falsch wie eine Schlange oder hinterlistig wie eine Ratte handeln, dann wissen wir: Das sind alles nur Sündenböcke.

Das Problem ist nicht das Hamstern, sondern das Menscheln. Das fiel mir wie Fischschuppen von den Adleraugen, als ich vor drei Tagen vollgepackt wie ein Lastesel aus dem Supermarkt kam. Ich verstehe jetzt auch, warum wir vor zehn Jahren unserem Sohn kein Nagetier gekauft haben.

Wir brauchten keinen Hamster. Wir hatten ja uns.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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