Impfstart in Indien: 190.000 am ersten Tag

Die weltgrößte Impfaktion zur Eindämmung der Coronapandemie ist gestartet. Wohl ohne schwere Fälle von Nebenwirkungen.

Mediziner hält Box mit Impfstoff, eine Frau drückt einen roten Punkt drauf

Rituelle Begrüßung des Impfstoffes in einem Krankenhaus im westindischen Ahmedabad (Guajarat) Foto: Ajit Solanki/ap/dpa

MUMBAI taz | Madhura Patil sitzt erleichtert auf einem Plastikstuhl in einem Warteraum. Sie ist die erste Person, die in Mumbais Impfzentrum BKC gegen das Coronavirus die erste Spritze in den rechten Oberarm bekommen hat. Dafür wird sie von den anwesenden Reportern wie ein Star gefeiert.

Die junge Ernährungsexpertin arbeitet selbst im Corona-Feldkrankenhaus BKC, das innerhalb kurzer Zeit auf die Beine gestellt wurde. Doch es kamen an diesem Tag weniger Menschen als erwartet. Dennoch ist dem Leiter Rajesh Dere und seinem Team ein erhoffter guter Start gelungen.

In ganz Mumbai kamen nur die Hälfte der Personen zum Impfen, die dazu vorab aufgefordert waren. Das „weltgrößte Corona-Impfprogramm“, wie es die indische Regierung nennt, begann für viele Inder:innen an einem regulären Arbeitstag.

So hatte die Physiotherapeutin Sunita Ringanekar einen Tag zuvor eine SMS erhalten. Sie ist jetzt eine von vielen Frauen, die an diesem Tag in BKC anzutreffen sind, einem von landesweit aktuell 3000 Impforten.

Der Impfstart als „Siegestag“

Auch die 42-Jährige arbeitete bis vor kurzem in einem nahegelegenen Coronazentrum. Bald kann sie mit weniger Angst zur Arbeit. „Ich möchte meine Immunität erhöhen und eine Infektion vermeiden“, sagt sie und vertraut auf Leiter Dere und den Impfstoff Covishield.

In Delhi eröffnete Premierminister Narendra Modi den Impfstart digital. „Wir zeigen damit der Welt unsere Fähigkeiten,“ sagte er. Modi warnte vor Falschnachrichten und Gerüchten, die derzeit über Impfungen kursieren.

Auch andere Politiker:innen ließen sich den Impfstart nicht als Bühne nehmen. In Indiens bevölkerungsreichster Stadt Mumbai sprach Maharashtras Ministerpräsident Uddhav Thackeray von einem „Siegestag“. Er erinnerte an die Zeit vor einigen Monaten, als das Virus Mumbai noch fest im Griff hatte. „Noch heute schaudert es mich, wenn ich an diese Tage denke“, sagt er und lobt die schnellen Reaktionen, als es an Krankenhausbetten fehlte.

Damit es nicht wieder so weit kommt, liegt in der ersten Impfphase der Fokus zunächst auf den landesweit 30 Millionen Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen, gefolgt von Menschen, die an der „Coronafront“ arbeiten wie etwa Polizisten und danach Personen ab 50 Jahren und solche mit Vorerkrankungen.

Die Infektionslage hat sich in letzter Zeit etwas entspannt. Die Zahlen in dem Land mit 1,38 Milliarden Menschen sind nach Angaben der indischen Regierung geringer als in Deutschland. So wurden am Sonntag 15.144 Neuinfektionen gemeldet und 181 Todesfälle. Bisher starben 152.000 Menschen an Covid-19 und mehr als 10,5 Millionen steckten sich bisher an, das ist nach den USA die weltweit zweithöchste Zahl.

Zwei Impfstoffe kommen zum Einsatz

Bis zu 300 Millionen Inder:innen sollen bis Ende Juli eine vorerst kostenlose Immunisierung gegen SARS-CoV-2 erhalten. Derzeit setzt Indien auf zwei Impfstoffe. Covishield vom britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca, das vom Serum Institute in Indien (SII) hergestellt wird, und Covaxin vom indischen Konzern Bharat Biotech.

Um Verwirrung zu vermeiden, wird pro Impfzentrum nur ein Impfstoff genutzt. In Mumbais JJ-Krankenhaus, dem derzeit einzigen Ort der Metropole, in der Covaxin zur Anwendung kommt, war die Besucherzahl am ersten Tag allerdings besonders gering.

Covaxin ist Indiens lokal entwickelte Antwort auf Covid-19. Doch gibt es gegen diesen Impfstoff Bedenken, weil er schon vor Ende der klinischen Tests eine Notfallzulassung erhielt.

Trotz ausreichend vorhandenen Impfstoff-Vorräten wurde in Maharashtra bereits am Sonntag eine zweitägige Impfpause eingelegt. Es gab Probleme mit der Impfplattform CoWin. Darüber werden zum Beispiel die Einladungen zu Impfterminen per SMS verschickt. Laut der Stadt Mumbai erschien nur die Hälfte der Personen, da „viele Mitarbeiter im Gesundheitswesen die Benachrichtigung nicht erhalten haben“. Auch in anderen Bundesstaaten soll es zu technischen Problemen mit der zentralen Software gekommen sein.

So wurden statt der geplanten 300.000 Menschen laut Gesundheitsministerium am ersten Tag landesweit nur 190.000 geimpft. Schwere Fälle von Nebenwirkungen seien aber bisher nicht gemeldet worden.

Nachbarschaftsdiplomatie mit Impfstoff

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat vom Serum Institute Studien angefordert, um das in Lizenz produzierte Covishield für einen internationalen Einsatz zu empfehlen und dessen Aufnahme in das Covax-Programm zu prüfen. Laut Medienberichten plant das Institut Covishield im Rahmen von Covax an 67 Länder und den zur Zeit noch nicht zugelassenen US-Impfstoff Novavax später an 92 Länder zu liefern.

Indien ist derzeit kein Mitglied bei Covax, einem Zusammenschluss der WHO und dem Impfbündnis Gavi, um einen gerechteren Zugang zu Covid-19-Impfstoffen zu gewährleisten. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass Indien 20 Millionen Impfdosen an Nachbarstaaten liefern wolle. Ein staatlich-geführtes Unternehmen kaufe Covishield und Covaxin ein und gebe sie teils kostenfrei an Nepal, Bangladesch, Sri Lanka, Afghanistan, Seychellen und Mauritius ab.

Der Erzrivale Pakistan ist bei Indiens Impfstoffzuteilung an die Nachbarn ausgeschlossen. Pakistan hat 1,2 Million Dosen des Impfstoffs von Sinopharm aus China bestellt. Bisher lieferten sich Indien und China einen Wettstreit um die Führungsrolle in Südasien, die traditionell bei Indien liegt. Die Rivalität könnte sich nun auch auf die Versorgung mit Impfstoffen ausweiten.

Indien will auch Staaten in Lateinamerika, Afrika und der Ex-Sowjetunion Impfstoffe anbieten. Doch Brasilien, das sich eine rasche Belieferung aus Indien erhoffte, ging vorerst leer aus.

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