In Kyjiw ohne Strom und Wasser: Bis der Kühlschrank endlich brummt

Nach den russischen Raketenangriffen gibt es in Kyjiw kaum Strom. Unser Autor schildert in einer Mail, wie er im dunklen Kyjiw nach Internet sucht.

Eine Person steht in einer dunklen Straße.

Nur die Autos spenden Licht in Kiew: Straßenlaternen und Ampeln funktionieren nicht Foto: Sergei Chuzavkov/Zuma Press/imago

Liebe taz-Auslandsredaktion,

ich habe mich nun fast einen Tag nicht mehr gemeldet. Und das hat Gründe, die ich im Folgenden darlegen möchte. Seit gestern 14 Uhr bis heute Morgen 4:20 Uhr hatte ich keinen Strom, kein Internet und kein fließendes Wasser mehr. Dann ging es eine Weile gut – aber ab 5:00 waren wieder kein Strom, kein Wasser und kein Internet da. Deswegen möchte ich mal schildern, unter welchen Umständen ich meinen gestrigen Artikel abgeschickt habe.

Sobald mir klar war, dass in den nächsten Stunden mit Internet nicht zu rechnen ist, habe ich mein Notebook in meine Satteltasche gepackt, mich aufs Fahrrad gesetzt, bin Richtung Innenstadt. Dort soll es ja, so heißt es, Internet und Strom geben.

Überall waren die Geschäfte zu, in den Häusern brannte kein Licht. Ich bin an einer Pizzeria vorbeigefahren. Da brannte Licht und es saßen Leute drinnen. Aber als ich mit meinem Smartphone in deren Internet wollte, merkte ich, dass die auch kein Internet haben. Also bin ich weiter geradelt.

Nach 20 Minuten, ich war fast schon im Zentrum, habe ich dann gesehen, dass in den Häusern Licht brennt. Also habe ich auf meinem Smartphone nachgesehen, ob hier Internet ist. Und ja, hier gab es Internet. Ich habe mein Fahrrad auf dem Gehsteig abgestellt, den Hotspot auf dem Smartphone aktiviert, mein Notebook auf den Gepäckträger gelegt – und meinen Text abgeschickt.

Und dann bin ich wieder zurückgeradelt in die telefon- und internetfreie Zone.

Heute wohl das gleiche Spiel

Mein Kühlschrank, der brummt immer, ist laut und wenn er anspringt, wackelt die Küchentür. Kurzum: er nervt. Doch wie habe ich mich heute gefreut, als er mal kurz angesprungen ist und ich endlich wieder den vertrauten Sound des Kühlschrankes hören konnte.

Wasser gibt es immer noch nicht. Und wenn ich Geschirr spüle, geht das Wasser natürlich nicht einfach so aus dem Becken in den Abguss. Man kann es ja noch in der Toilette verwenden. Wasser sparen ist jetzt wichtig. Glücklicherweise habe ich über 50 Liter Trinkwasser gebunkert. Aber Trinkwasser für die Toilette verwenden, das geht schon mal gar nicht.

Ich hab auch noch zehn Packungen zum Brot backen. Da werde ich mich wieder mal dran machen, Brot zu backen. Schon lange nicht mehr gemacht.

Nachts ist es so ruhig und so dunkel wie im Bayerischen Wald. Wegen der Ausgangssperre ist kein Auto zu hören, und wegen des Stromausfalles ist es absolut dunkel. Ich werde jedenfalls die nächsten Tage nicht mehr nach 20 Uhr in meine Wohnung zurückkehren. Ist schon ein bisschen unheimlich in einem absolut dunklen Gebiet zu radeln.

Gut, dass die Heizung funktioniert

Wie jeden zweiten Morgen war ich auch heute beim Joggen. Und wenn ich die ganzen Hochhäuser beim Joggen am Sportplatz beobachte, bietet sich mir ein einziges Trauerspiel: nirgends Licht. D.h. auch ich habe jetzt kein Licht die nächsten Stunden.

Doch dann, kurz bevor ich mein Training beendet habe, endlich der Hoffnungsschimmer: eindeutig, da ist Licht im Fenster von einem Hochhaus im Erdgeschoss, sogar ziemlich stark. Also keine Akkutaschenlampe. Freudig renne ich weiter, wissend, dass mich bald Licht, Strom und Internet erwarten werden. Doch wenige Sekunden später die Enttäuschung: im Fenster dieser Wohnung hatten sich nur Scheinwerfer eines Autos von der anderen Straßenseite gespiegelt. Das Auto dreht und ist weg, meine Hoffnung auf baldigen Strom auch.

Es regnet und taut. Ich bin per Rad mitten in der Stadt, auf der Suche nach Internet. Vor einem Wohnhaus tragen zwei Frauen kleinere Wannen an den Hausrand heran. Sie stellen sie direkt unter die Regenrinne, aus der normalerweise das Wasser auf die Straße plätschert. Mein Gott, kommt es mir, die sammeln hier Brauchwasser auf. Aber Wasser sparen ist natürlich wichtig.

Eine Ukrainerin fängt Regenwasser unter einem Fallrohr mit einer Plastikflasche auf

Auch die Wasserversorgung ist bei vielen unterbrochen Foto: John Leicester/ap

Balkon ersetzt Kühlschrank

Dann um 15 Uhr die erlösende Nachricht: Der Präsidentensprecher Kyrylo Tymoschenko teilt mit, man habe in alle Gebiete der Ukraine wieder Strom geliefert. Heißt das, dass alles vorbei ist, frage ich mich? Ich trete also in die Pedale und mache mich freudig auf den Weg vom Stadtzentrum in meine Wohnung am Stadtrand.

Etwa um 16 Uhr geht die Sonne in Kyjiw unter. Auf der Straße gilt meine Sympathie den Fußgängern. Sie machen wirklich nichts falsch. Stehen nur da, wo sie sonst auch immer stehen und warten, bis das grüne Ampelmännchen kommt. Doch heute bleibt die Ampel dunkel und die Autos brettern schonungslos an der kleinen Gruppe der Menschen mit den verängstigten Gesichtern vorbei.

Man erkennt sie oft recht spät. Selber schuld, könnte man sagen. Warum müssen sie auch dunkle Kleidung tragen? Ist doch klar, dass es schwer ist, bei Dunkelheit und nicht funktionierenden Ampeln bei einer vierspurigen städtischen Schnellstraße auf die andere Seite zu gelangen.

Auch jetzt gilt mein Blick den Wohnhäusern. Wenn Geschäfte Licht haben, hat das nichts zu bedeuten, die haben vielleicht auch deswegen Strom, weil sie einen eigenen Generator haben.

Schon seltsam: ich sehe Hochhäuser mit Licht in jeder Wohnung und dann wieder Hochhäuser, die wie ausgestorben scheinen. Je näher ich an meine Wohnung radle, umso seltener werden Häuser mit Licht in den Wohnungen. In meiner Straße ist es dann aus. Alles dunkel, die Straße und die Häuser. Und natürlich in meiner Wohnung auch. Schade eigentlich. Hatte wirklich geglaubt, dass ich heute Abend Strom habe.

Doch dann um 18 Uhr höre ich endlich den Kühlschrank wieder brummen. Hurra! Jetzt sofort alle Akkus aufladen! Und dann ein Bier – vom Balkon, da ist es nämlich kälter als im Kühlschrank.

Ciao

Bernhard Clasen

Der taz-Ukraine-Korrespondent liebt es, Fahrrad zu fahren. Auch im Krieg. Auch wenn es Winter ist. Auch wenn der Strom ausfällt. Mit dem Fahrrad unterwegs, berichtet Bernhard Clasen in der „Kolumne Radelnder Reporter in der Ukraine“ aus seinem Alltag.

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Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

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