Indigene in Schweden: Epochaler Sieg für Samen

Schwedens oberster Gerichtshof gibt Indigenen Rechte zurück. Das könnte weitreichende Auswirkungen auf Landnutzung haben.

Das Ende eines langen Streits – mit Erfolg für die Gemeinde Girjas Sameby Foto: Anders Wiklund/TTNEWS AGENCY/picture alliance

STOCKHOLM taz | „Wow!“, war der erste Kommentar von Matti Blind Berg: „Es ist fantastisch, dass wir nun auch ganz oben recht bekommen haben.“ Am Donnerstag vergangener Woche verkündete Schwedens höchster Gerichtshof, Högsta domstolen, ein Urteil, dass in den meisten Kommentaren mit Worten wie „epochal“ bedacht wurde. Formal entschieden wurde nur die Frage, wer das Recht zur Ausstellung von Jagd- und Fischfanglizenzen hat. Doch die Konsequenzen könnten weitreichend für die künftige Landnutzung in ganz Nordschweden sein.

Es geht um die Rechte der schwedischen Samen. Girjas Sameby war die Klägerin, die nach zehnjähriger Prozessdauer durch drei Instanzen nun endgültig recht gegenüber dem schwedischen Staat bekommen hat. „Sameby“ heißt „samische Gemeinde“ und ist in Schweden das Gebiet, in dem eine örtliche Gemeinschaft von Samen der Rentierzucht nachgeht.

Girjas Sameby, deren Vorsitzender Matti Blind Berg ist, umfasst einen 200 Kilometer langen Landstreifen auf dem Gebiet der Gemeinde Gällivare im ­nordwestlichsten Teil Schwedens. Ihrer geografischen Abgrenzung liegt wie bei den 50 weiteren „Sameby“ Nordschwedens der Jahreszyklus der natürlichen Wanderung der Rentiere zugrunde.

Hintergrund des Rechtsstreits ist die seit dem 16. Jahrhundert durchgeführte Kolonialisierung des Siedlungsgebiets der samischen Indigenen durch das schwedische Königreich. Damals begann diese fast menschenleere Region wegen ihrer Naturschätze für die Krone plötzlich interessant zu werden.

Die „Lappen“ galten Stockholm als „niedrigstehende Rasse“

Zudem hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1940er Jahre die Rassenbiologie zunehmend Einfluss auf die in Stockholm geführte Samenpolitik genommen. Die „Lappen“ galten als „niedrigstehende Rasse“, die nicht in der Lage sei, ihr eigenes Bestes zu erkennen. Sie müsse deshalb durch Verbote und Aberkennen von Rechten bevormundet und „geschützt“ werden.

Schweden erkannte zwar 1977 den Samen gesetzlich den Status als Urbevölkerung zu und unterschrieb internationale Konventionen, die Indigenen Rechte wie das auf Landnutzung garantieren. Sie hielt sich aber in Bezug auf die einheimischen Samen nicht daran. Im Gegenteil: 1993 etwa nahm der Reichstag in Stockholm den Sameby über eine „Jagdreform“ das bisherige Recht auf Regulierung der Kleinwildjagd – was letztlich der Auftakt zum jetzt entschiedenen Rechtsstreit war.

Der Sameby dieses Recht zu nehmen sei illegal gewesen, entschied jetzt der Gerichtshof und begründet das mit einem den schwedischen Gesetzen übergeordnetem Gewohnheitsrecht der Ursprungsbevölkerung, das „von alters her“ bestehe. Es sei nicht nur ein Mitspracherecht, sondern ein Alleinrecht. Gleichzeitig soll aber an der Souveränität des schwedischen Staats nicht gerüttelt werden.

Was bedeutet das? Juristisch ist das Urteil des Högsta domstolen zunächst einmal ein Pre­judikat, an das Gerichte ähnlich wie an ein Gesetz gebunden sind. Deshalb könnten vermutlich alle Sameby die Girjas eingeräumten Rechte einklagen.

Folgen für Bodenschätze, Windkraft und Tourismus

Aber die Folgen könnten wesentlich weiter reichen. Es wird bereits darüber diskutiert, was das Urteil etwa für die Erschließung von Bodenschätzen, den Ausbau der Windkraft oder den Tourismus auf dem Gebiet der Sameby heißen könnte. Die zuständige Ministerin Jennie ­Nilsson will das Urteil erst einmal „gründlich analysieren“. „Erst einmal analysieren“, war auch die Reaktion von Matti Blind Berg, „und dann müssen wir es auf vernünftige Weise handhaben.“

Man ist sich sehr wohl im Klaren darüber, dass Sonderrechte ein gefährlicher Keim für Konflikte werden könnten. Durchaus auch innerhalb der Samenbevölkerung, von der nur eine Minderheit Mitglied in einer Sameby ist. Nur für deren Mitglieder gilt der Spruch des Gerichts.

Vor allem aber in Bezug auf die nichtsamischen Lokalbevölkerung beginnt es bereits zu brodeln. Dass nun nicht mehr eine staatliche Behörde, sondern eine Sameby zuständig sein soll, will man eine Jagd- oder Fischfanglizenz haben, ließ in sozialen Medien sofort den Hass hochkochen.

Dabei halten die Sameby eigentlich nur den Kopf für das Versagen der Politik hin. Die Vorsitzende des Reichsverbands der schwedischen Samen, Åsa ­Larsson, hofft, dass die schwedische Regierung endlich die Rechte der Samen gesetzlich regelt. Das erwartet auch Mari Heidenborg, die Vertreterin des schwedischen Staats im Verfahren: Jetzt habe man jedenfalls Klarheit über die Rechtslage.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.