Indigene in Venezuela: Die Wächter des Waldes
In Venezuela will eine indigene Initiative ihr Territorium schützen – mit altem Wissen und modernen Werkzeugen.

„Die Figur des Ayukuweni ist eine Institution, die im Zuge der Ausweitung der extraktivistischen Grenze in indigenen Territorien sichtbar gemacht und neu belebt wurde“, erklärt Vladimir Aguilar, Universitätsprofessor und Berater der Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten (GTAI) der Universität der Anden. „In der Geschichte des Ye’kwana-Volkes war der Ayukuweni ein Hüter des Waldes und der Natur sowie seiner Kultur.“

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
Diese Initiative entstand nicht aus dem Nichts. Sie wird durch Partnerschaften mit Organisationen wie dem GTAI, Universitäten und dem venezolanischen Nationalparkinstitut Inparques unterstützt, die Schulungen in Umweltrecht und territorialen Rechten begleiten. In ihren Workshops diskutieren sie darüber, wie man der sozialen Zersplitterung durch den Bergbau entgegentreten und wie man die vorherige Konsultation als Schutzmechanismus durchsetzen kann.

„Wir haben unseren Eid vor unseren Ältesten und Schutzgeistern geleistet“, erklärt Eligio Dacosta, Baniva-Anführer und Koordinator der Regionalorganisation der indigenen Völker des Amazonas (Orpia). Er begleitet die Wächter nach Monaten interner Diskussionen auf den Feldern, in Gemeindeversammlungen und bei Treffen der traditionellen Anführer.
Eine Gemeindewache in Zeiten des Goldes
Die Ayukuweni sind keine improvisierte Gruppe. Jeder Wächter hat klare Aufgaben: Einige überwachen, andere bilden die nächste Generation aus, wieder andere schützen heilige Stätten. Frauen und Jugendliche spielen eine Schlüsselrolle, indem sie Techniken der Kartografie und des Umweltmanagements erlernen und gleichzeitig Schutzrituale wiederbeleben.
Der Auftrag der Ayukuweni ist gemeinschaftlich. Sie erhalten keinen Lohn, denn ihr Engagement gilt als gemeinsame Verantwortung, ist Teil ihres eigenen Rechts. „Wir arbeiten mit der indigenen Basisorganisation Kuyunu zusammen und nutzen unsere eigenen Entscheidungsmechanismen wie Versammlungen, Räte der Weisen und die spezielle indigene Gerichtsbarkeit Tuduma Saka“, erklärt Professor Aguilar.
Doch das Risiko ist enorm. Berichte von Wataniba (Sozio-Umweltarbeitsgruppe des Amazonas) zeigen mindestens 70 aktive Minen auf dem Gebiet der Ye’kwana und Sanema.
SOS Orinoco hat anhand von Satellitenbildern einen Anstieg illegaler Aktivitäten in der Zeit von 2024 bis 2025 festgestellt, insbesondere im Nationalpark Yapacana und entlang des Flusses Ventuari. „Der Bergbau wirkt sich nicht nur auf die Umwelt aus, sondern verursacht auch soziale Spaltung innerhalb der indigenen Gemeinschaften“, betont Aguilar.
Verteidigen – und den Preis zahlen
Im Jahr 2024 kam es zu großen Spannungen am oberen Ventuari. Im Juni war Virgilio Trujillo Arana, ein bekannter Uwottüja-Verteidiger des Amazonas und Mitglied von Orpia, ermordet worden. Führer und Gemeinschaften sahen in seinem Tod eine direkte Folge des Vormarschs des Extraktivismus und bewaffneter Gruppen.
Für viele territoriale Wächter war dieses Ereignis ein Wendepunkt: Die mit dem Bergbau verbundene Gewalt bedrohte nicht mehr nur den Wald, sondern auch das Leben seiner Verteidiger.
Im Januar 2025 organisierten die Ye’kwana-Gemeinschaften im Rahmen des Plan Parú eine kollektive Aktion. Das Ziel: Illegale Bergleute aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Rund 90 Personen schafften es, die illegalen Goldschürfer vom Oberlauf des Parú zu vertreiben und ihre Maschinen zu zerstören. Die Reaktion der Eindringlinge ließ nicht lange auf sich warten: Sie verbrannten das indigene Gemeinschaftshaus sowie die Häuser der Anführer. Dieser Angriff bleibt bisher ungesühnt vom venezolanischen Staat.
Trotz dieser Bedrohungen gehen Ausbildung und Integration der Wächter weiter. Sie durchqueren weiterhin tagelang den Dschungel, stärken ihre Verbindungen zu Universitäten und erhalten ihre kulturelle Legitimität aufrecht. „Den Schutz dieses Territoriums zu übernehmen, ist nicht nur Aufgabe der indigenen Organisationen. Es ist Aufgabe aller, die hier an der Grenze leben, besonders im venezolanischen Amazonas“, sagt Anführer Eligio DaCosta.
Die Gier nach Gold
Der Ayukuweni ist mehr als eine Wachtruppe: Er ist eine Erinnerung daran, dass das Überleben des Amazonas von denen abhängt, die ihn bewohnen. „Unsere Pflicht ist es, den Wald, die Flüsse und die heiligen Stätten zu schützen. Dafür bekommt man kein Geld, es ist ein spirituelles Versprechen an unsere Kinder und Enkel“, so DaCosta.
Weil der Staat schweigt, kriminelle Gruppen eine Gefahr darstellen und es keine passenden öffentlichen Maßnahmen für indigene Völker gibt, mussten sich die Gemeinschaften selbst organisieren und auf ihre eigenen Strukturen verlassen.
Angesichts der Gier nach Gold sind die Wächter des oberen Ventuari heute ein ungewöhnliches Beispiel: Eine unbewaffnete Gruppe stellt sich einer zerstörerischen Macht entgegen. Auch wenn ihr Überleben ungewiss ist, beweist ihre Existenz, dass aus der Tradition neuer Widerstand erwachsen kann.
Liliana Rivas ist eine Journalistin und Dokumentarfilmproduzentin aus Venezuela. Sie schreibt unter anderem für das Onlinemagazin Mongabay.
Übersetzt aus dem Spanischen von Niklas Franzen
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