Initiative gegen „Bautzner Frieden“: Von goldenen Chemtrails

Mit dem „Friedenspreis“ werden in Bautzen Stars der Verschwörungsszene ausgezeichnet. BürgerInnen haben einen Antipreis ins Leben gerufen.

Daniele Ganser während einem Vortrag zum Thema US-Imperalismus im Konzerthaus Karlsruhe

Der umstrittene Historiker Daniele Ganser ist diesjähriger Preisträger Foto: Tim Carmele/imago

BAUTZEN taz | In Bautzen werden am Mittwochabend gleich zwei Preise verliehen. Der Verein „Bautzner Frieden“ vergibt im deutsch-sorbischen Volkstheater zum siebten Mal seinen „Friedenspreis“. Auf dem Theatervorplatz verleihen Bürger:innen zum ersten Mal den Antipreis „Goldener Chemtrail“ für Verschwörungsideologen – an den Verein „Bautzner Frieden“.

Die Stadt und das Theater, in dem die Verleihung des „Friedenspreises“ stattfinden wird, sehen hingegen wenig Handlungsbedarf. Sie verweisen auf Neutralitätsgebote. Doch wie neutral kann diese Veranstaltung betrachtet werden?

„Verschwörungsideologien klingen lustig, sind sie aber nicht“, sagt Marcel Fischer. Der 32-jährige Bautzner ist Initiator des „Goldenen Chemtrail“. Um die Stadtbevölkerung zu sensibilisieren, wird die Verleihung des Antipreises spielerisch starten und mit einer Ansprache enden. „Ich hoffe, dass die Menschen anfangen nachzudenken“, sagt Fischer.

Wer Frieden hört, assoziiert nichts Negatives. Der „Bautzner Frieden“ entstand 2014, als die „Mahnwachen für den Frieden“ in rund deutschen 100 Städten Menschen aus jedem politischen Spektrum anzog. Wie die Mahnwachen entpuppte sich auch der Bautzner Verein bald als Hort für Verschwörungsideologien. So glauben Anhänger:innen daran, dass die Bundesrepublik eine GmbH sei.

Antisemitismus, Kritik an der Flüchtlingspolitik Deutschlands und der Nato sowie das Narrativ der „Lügenpresse“ sind in den Beiträgen des „Bautzner Friedens“ vertreten. Die Inhalte werden auf „alternativen“ Medien, den Lokalsendern „Denkste mit?!“ und „Ostsachsen-TV“, als vermeintliche Wahrheiten verbreitet und konsumiert.

Das Netzwerk des „Bautzner Friedens“ reicht weit. Ihr wohl einflussreichster Unterstützer ist Jörg Drews. Der Bauunternehmer ist der größte Steuerzahler der Stadt und sitz seit 2019 für das Bürgerbündnis im Stadtrat. Er ist für den örtlichen Fußballverein ebenso wichtiger Sponsor wie für die „Bautzner Bürgerforen“, eine Veranstaltungsreihe, bei denen „ein breites politisches Spektrum“ zu Wort komme, wie Drews sagt. De facto reicht es von Verschwörungsideologen bis AfD. „Denkste mit?!“ und „Ostsachsen-TV“ übertragen die Bürgerforen und die Preisverleihung. Sie gelten ebenfalls als von Drews finanziert.

Wo liegen die Grenzen der Neutralität?

Die Verleihung des „Friedenspreises“ zieht Jahr für Jahr mehr Besucher:innen an. Der große Saal des städtischen Theaters ist lang ausverkauft. Rund 400 Menschen kommen diesen Mittwoch, um den Schweizer Historiker Daniele Ganser zu sehen. Vom Hochschulbetrieb ist der diesjährige Preisträger ausgeschlossen. Dafür ist der selbsternannte Friedensforscher ein Star in der Verschwörungsszene. Er hat über 100.000 Facebook Likes. Seine Youtube-Videos werden hunderttausendfach geklickt.

Im Theater heißt es, man habe zum Zeitpunkt der Anmietung nicht gewusst, an wen der Preis verliehen wird, und ohnehin sei man der Neutralität verpflichtet. Man wolle „offen sein für eine große Bandbreite“. Doch wo liegen die Grenzen der Neutralität? Das ließe sich gar nicht so einfach beantworten, heißt es in der Pressestelle des Theaters. Diese sieht die Verantwortung bei der Stadt. Und diese unterstütze die Veranstaltung, heißt es.

Es gebe vom Veranstalter keine offiziellen Einladungen, heißt es auf Anfrage seitens der Stadt. Doch auch: „Politisch sind wir nicht in der Lage das zu werten.“ Der stellvertretende Oberbürgermeister Bautzens Robert Bömer hingegen ist ein gern gesehener Gast auf den Bühnen des „Bautzner Friedens“. Und auch der CDU-Landrat Michael Harig hielt bei der Verleihung des Friedenspreises im vergangenen Jahr ein Grußwort.

Das Netz des Bautzner Friedens reicht in alle Richtungen: Von Rechtsextremismus bis Stadtpolitik. Doch es gibt sie, die Bestrebungen, sich zu widersetzen. Da ist der „Goldene Chemtrail“, aber auch das „Thespis Zentrum“ des Theaters, das einen Tag vor der Preisverleihung einen Workshop zum Umgang mit Verschwörungsideologien abgehalten hat. Dem Stadtrat liegt zudem ein Antrag von Grünen, SPD und Linken vor, nach dem sich die Stadt von der Veranstaltung distanzieren solle. Mit einer Mehrheit rechnet allerdings keine:r dieser Akteur:innen.

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